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Thema: Operation Affen-drohne
pomme

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Operation Affen-drohne 18.12.2019 17:53 Forum: Bücher und Printmedien

OPERATION AFFEN-DROHNE

Unter diesem Titel veröffentlichte der Autor pomme, Jahrgang 1936, ein Satire-Buch im epubli-Verlag, dem er aus aktuellen Erwägungen den Untertitel „DER-NEUE -MAUER-FALL“ hinzufügte.

Den Inhalt skizziert er mit folgenden Worten:

Es ist wieder soweit nach dem im Abfall gelandeten „NIE WIEDER“: Ein neuer Weltenkrieg zwischen den Kapitalmächtigen und dem weltweiten Volk ist am Laufen. Wer fragt da nach Ursachen, wer nach Lösungen? Fakt: Ein NEUER MAUER-FALL muss her. Was also tun?

Ein bisher in menschlichen Kinderhänden verbrachtes „Leben“ eines Akleinen Affen mit Namen DIDA, angeblich geboren im fernen ALTAI-Gebirge, haucht der Mensch BENNO Leben ein und verbindet es mit ihrem Freund DADA und dem noch im Gebirge lebenden Urgroßvater SCHIMPF-PANSE, dem politisch Erfahrenen und Gebildeten.

Die Höhlenbewohner müssen mit Bitterkeit erfahren, dass der Klimawandel sowie viel Kriegsgeschrei auch sie erwischt hat. Eine eilig zusammengerufene Vollversammlung beschließt: Wir müssen erkunden, ob es Schuldige gibt an der Erderwärmung. Ob Überirdisches im Spiel ist  oder gar die Menschen, unter denen der SCHIMPF-PANSE einst gelebt hatte? DIDA soll sich mit ihrem Freund DADA auf die mit Drohnen angetriebene Lanze setzen. Sie mögen Ursachenforschung betreiben, besonders wegen der zunehmenden Kriegsgefahr – gemeinsam mit ihrem Bekannten, dem Menschen BENNO.

Satire, Sarkasmus und Humor, gemixt mit treffenden Zitaten aus Wissenschaft und Literatur, ergibt ein spannendes Kaleidoskop von Eindrücken und Nachdenkenswertem, das hinführt zur Einsicht: Es gilt, den Planeten und die Menschen zu retten vor dem unglaublichen Raubzug der Profitgier der „Kraken“. Jeder tue, was er kann. Doch letztendlich  gibt es eine Überraschung...

LESE-SPLITTER

Seiten 176/177: Über Megaphon heißt es: „Kommt morgen hierher zur Demo vor den Toren der Eliten-Festung und stimmt mit uns ein in das neue Lied: Alles muss raus!!! Das schuftende Volk bietet den Schuldigen für Armut und Krieg Migrantenplätze im Altaigebirge an, wo sie ohne Privateigentum, aber mit eigener Muskelkraft auf dem Feld oder in der Höhle bei Handarbeiten ein bekömmliches Auskommen haben!! Macht mit bei diesem Volksentscheid!“

DIDA, die Pfiffige, bekommt große Ohren. Das ist es doch. Sie wird sich diesen Aufruf merken. Inzwischen lenkt BENNO die fragenden Blicke seiner beiden Zöglinge auf eine hoch herausgeputzte und einigermaßen schöne Dame. Sie wässert mit einer Gießkanne den Vorgarten der Festung. Warum? BENNO legt den Zeigefinger an seine Lippen, denn neuerdings haben selbst so manche Straßenbäume kleine winzige Ohren, die jeden verdächtigen Laut an die unterirdische Geheimzentrale weiterleiten.

BENNO hatte davon gehört: Das seien jene, die ganz offensichtlich etwas am Auge haben. Sie sehen geflissentlich nach rechts gar nichts und tolerieren rechtes Geschehen, während sie nach links so scharf gesehen werden muss, dass selbst ein in der Abendsonne rot  gefärbtes Sandkorn verteufelt und bekämpft werden muss. So seien die Mächtigen in die Lage gekommen, sogenannte Gefährder bald zu entlarven und, falls die Sicherheit des Geldeintreibens gefährdet ist, diese hinter Schloss und Riegel zu bringen.

Sie konnten noch nicht ahnen, dass die Dame mit der Gießkanne eine Kriegskönigin allererster Güte ist und bei weitem die Erfolgsleiter noch viel höher klettern sollte. Sie wird über kurz oder lang – so war zu vermuten - Arm in Arm mit einem gewissen Generalsekretär zu sehen sein, wobei sie darauf während der Übergabe des Bambi 2019 an die EU den Volksmassen betörend flötete: Im Interesse der EU müssten alle an einem Strang ziehen. Der hochgestellte Mann der NATO wird ergänzend prompt mit dem inhaltsschweren Satz hinzufügen: „Einer für alle und alle für einen“.

Seiten 147/148

Auch will man Hilfskräfte anfordern, um die unter Brücken Pennenden endlich mal zu zählen in dieser auch von Flüchtlingen überschwemmenden Stadt. Dem Vernehmen nach sollen überall, wo es möglich ist, Kunstrasen ausgelegt werden, um stürzenden Leuten und Parteien auf diese Art den seelischen und körperlichen Schmerz zu lindern. Mit großem Medienrummel wird auch dies angekündigt: Ein neues Ministerium soll sich um all die kleinen Unwägbarkeiten, um all diese Symptome von Freiheit in dieser so gut funktionierenden Demokratie demnächst kümmern. Es soll sich „Das Pflaster-Ministerium“ nennen. Deren erste Aufgabe: Die Tafeln besser unterstützen, statt sie abschaffen zu wollen. „Siehste“, ruft ein etwas angetrunkenes Männlein, „man kümmert sich...“ Vereinzelt fröhlicher Beifall ringsumher.


Harry Popow: „OPERATION AFFEN-DROHNE“, epubli-Verlag, Erscheinungsdatum: 09.12.2019, ISBN: 9783750261105,
Bindungsart: Softcover, Format: DIN A 5 hoch, 288 Seiten, Einzelpreis: 18,99 €

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Thema: Den Jahren Leben geben...
pomme

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Den Jahren Leben geben... 26.01.2019 13:01 Forum: Bücher und Printmedien

„Wunderwasser Harkány. Ein Gesundheitstrip & kulturhistorischer Ausflug in die Baranya – Heimat der Donauschwaben.“ - Karl-Heinz Otto


DEN JAHREN LEBEN GEBEN …

Buchtipp von pomme

Dieses Buch „Wunderwasser Harkány“ mit dem Untertitel „Ein Gesundheitstrip & kulturhistorischer Ausflug in die Baranya – Heimat der Donauschwaben“ könnte leicht in die irrige Annahme führen, es handele sich nur um die Gesundheit des Autors mit hinzugefügten Reiseerlebnissen. Nein, es ist ein Plädoyer für die Liebe. Und so muss ich als Rezensent gleich jenen Schlusssatz des Autors Karl-Heinz Otto hervorheben, den ich für den tiefsinnigsten des in letzter Zeit gelesenen halte: „Es kommt nicht darauf an, dem Leben Jahre zu geben, sondern den Jahren Leben!“


Ergänzend hebt er auf Seite 365 hervor: „Was für die gesamte Menschheit der Frieden ist, ist für das Individuum die Gesundheit, „denn sie bedeutet, Frieden mit seinem Körper und Geist zu schließen ...“


Wer so genau hinschaut auf die wahren Werte für die Menschen, der nimmt auch nicht jeden angeblich gut gemeinten Ratschlag auf, weder von der Politik noch von Ärzten. So ist zu lesen, dass der Autor seit dem 68. Lebensjahr an einer schmerzhaften Hüftarthrose litt, und der Arzt ihm alternativlos eine Hüftprothese empfahl. Im Hinblick auf die Beschwerden seiner Mutter, die nach mehrmaligen Hüft-Operation schließlich auf einen Rollstuhl angewiesen war, lehnte Carlotto, wie er sich als Schriftsteller nennt, jeglichen operativen Eingriff ab. Er fragte sich, wie er es bisher in seinem ganzen Leben gewohnt war, ob es nicht eine Alternative gebe, von dem der Herr Doktor nicht eine einzige erwähnt hatte. Etwa des ausbleibenden Gewinns wegen? Sein kritischer Geist und sein Mut verhalfen ihm jedenfalls, am Vorschlag seines Arztes zu zweifeln.

Dabei zweifelte er keinesfalls Kompetenz und Können seines Arztes an, sondern hinterfragte lediglich dessen vorschnelle Entscheidung, um möglicherweise doch noch eine Alternative zur Hüftoperation zu finden. Wenn der geneigte Leser diese Haltung auch für sich positiv zu vermerken weiß, dann wohl auch für die Fragen von Krieg und Frieden. Der Autor, um es vorwegzunehmen, hat auch folgenden Satz als seine Lebensmaxime betrachtet: Er mache sich keine Gedanken darüber, was er nicht beeinflussen kann. Doch er widerspricht sich selber: Denn jede Zeile dieses Buches handelt nicht von Wundern, sondern vom prallgefüllten Leben eines aktiven und lebenshungrigen Menschen, der mit tausenden kleinen und großen Taten den Jahren Leben gab und gibt.

Die Neugier, der Wissensdrang, das Wunder von menschlicher Kraft und Einfühlungsvermögen – sie sind es, die das eigentliche Wunder darstellen. Nicht allein das Heilwasser ist es, dass das Wunder zu 99.99 Prozent vollbringt, seine Hüftleiden zu heilen (siehe Seite 122) und das Leben wieder in vollen Zügen zu genießen, sondern der menschliche Wille, die heilenden Naturkräfte zu erforschen, zu analysieren und für sich nutzbar zu machen. Und wäre der nach Heilung suchende Autor nicht von einer möglichen Alternative überzeugt gewesen und hätte nicht Kraft, Ausdauer und die notwendigen finanziellen Mittel aufgebracht, hätte er wohl nie das europaweit einmalige Wunderwasser von Harkány aufgespürt.

Folgen wir als Leser dieser Odyssee, die ihn zunächst nach Bad Doberan, nach Heiligendamm und in das slowakische Weltbad Pistany führt, um endlich in einer Zeitreise durch die Geschichte der Baranya und Ungarns zu enden, dann finden wir auf nahezu allen Seiten die Liebe Karl-Heinz Ottos zu den Mitmenschen, seine ausgeprägte Sucht, der Geschichte und den von den gesellschaftlichen Bedingungen abhängigen Menschen und deren Mut zum Überleben auf den Grund zu gehen.

Seine erste Reise nach Ungarn verdankt er persönlichen Beziehungen. Dort trifft er sich mit seinen ehemaligen Schulkameraden Ingrid und Rolf Poser, die nach der politischen Rückwende ausgewandert waren. Der ehemalige Botschaftssekretär hat sich am Rande der ungarischen Puszta der Weinkelterei verschrieben und macht sich als talentierter Laienmusiker und versierter Akkordeonspieler im dortigen katholischen Kirchenchor nützlich.

Diese und viele andere Kontakte zu Ungarn, Donauschwaben, Literaturfreunden, Bauern und Katholiken bereichern nun das Leben des Autors. Er gewinnt nicht nur neue Leser für seine Bücher, er erfährt Lebensgeschichten, Schicksale und Lebensbedingungen auf Dörfern und in Städten. Ihn interessieren neben Lebensgeschichten seiner Wahlverwandten, wie er sie bisweilen nennt, vor allem deren Kenntnisse über die Geschichte des Landes, über ihre Burgen, Schlösser und anderen kulturellen Denkmäler. Beeindruckend, mit wieviel Liebe er seine Freunde zeichnet und seine Leser an deren – manchmal auch kontrovers geführten – Gesprächen und Disputen teilhaben lässt, die sie selbst beim Baden im Heilwasser führen. Da zu den Badegästen neben einheimischen Ungarn auch zahlreiche Serben und Kroaten, Tschechen und Slowaken gehören, kommen auch so manche Erinnerung an sozialistische Zeiten ins Spiel. Er verneigt sich vor der Gastfreundschaft, vor der ehrlich gemeinten Höflichkeit und den Kochkünsten seines Gastlandes.


Es gibt keinen einzigen Ausflug des neugierigen Autors in die südungarische Baranya, bei dem er lediglich die Schönheit der jeweiligen Feste oder Kirche beschreibt. Stets hinterfragt er, weshalb diese steinernen Zeitzeugen aus dem jahrhundertealten Kampf gegen die Türkenherrschaft noch heute so zahlreiche Besucher anziehen? Der atheistisch geprägte Autor bemüht sich, Hintergründe und Zusammenhänge zu erkennen und setzt sich vor allem kritisch mit den Auswüchsen der katholischen Kirche auseinander, ohne ehrliche Gläubige zu verletzen. So nimmt er an Schrifttafeln Verschleierungen von Realitäten wahr, setzt sich auf Seite 205 mit der Behauptung auseinander, „den Ursprung der Kirche in die Römerzeit zurückzuverlegen“. Über einen Katholiken und dessen Glauben an fantastische Erscheinungen fällt er kein Urteil, kann und darf er auch nicht als toleranter Mensch, solle doch jeder seinen Glauben pflegen, wenn er ihm guttut. Durch Wallfahrerei komme ja niemand zu Schaden, dafür aber „durch das Segnen der christlichen Waffen und Krieger während der letzten verheerenden Weltkriege“. (Seite 223)

Einen aktuellen Seitenhieb gegen die beiden herrschenden deutschen Parteien, die sich als Christen verstehen, lesen wir auf Seite 232: „Statt der Bibel zu folgen und Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden – also abzurüsten –, folgen sie diesem amerikanischen Wahnsinnspräsidenten und verschleudern immer höhere Milliardensummen für immer grausamere Tötungsinstrumente, obwohl die Bundesrepublik Deutschland von keinem einzigen Staat militärisch bedroht wird ...“

Selbst im Wunderwasser in Harkány, so schreibt der Autor auf Seite 342, erwacht in ihm sein Hunger, „den schillernden Facetten des Lebens nachzuspüren und meine nie versagende Neugier zu befriedigen“. So fragt er sich, wer der ungarische Ministerpräsident ist, „an dem die vielfachen Schmährufe aus allen Ecken Europas stoisch abzuprallen scheinen“? Trotz der kostenlosen öffentlichen Verkehrsmittel für EU-Pensionäre, trotz der Legalisierung der familiären steuerfreien Schnapsbrennerei für den Eigenbedarf, was natürlich beim Volk gut ankommt. Weshalb aber die Anfeindungen aus dem Ausland? Ist es dessen Staatsprogrammatik, wie der Autor auf Seite 354 feststellt, die auf dem christlichen Árpáden-Mythos fußt? Ist es dessen Anti-Migrationsrede, die an die „simpelsten Instinkte“ appelliert und eine dämonische Angsthysterie schürt, obwohl die Ursachen für die Flüchtlingskrise bei den westeuropäischen und den USA-Rüstungsgewinnlern liegen? Der Autor resümiert, sein Orbán-Bild habe sich gründlich eingetrübt.

Das Resümee für den Leser mag so aussehen: Einem Menschen mit fundiertem Wissen über gesellschaftliche und geschichtliche Zusammenhänge mag vergönnt sein, mit offenen Augen die Welt zu sehen, sie anzuschauen. Diese Haltung ist es, die einem Urlauber, Touristen oder auch Leser erlaubt, jegliche Erscheinungen zu hinterfragen, nach Antworten zu suchen und sich selbst einzubringen, statt sich wie ein lahmes Schaf durch den Alltag treiben zu lassen.

Was für ein Gewinn des Autors, nach über einem Dutzend Kuraufenthalten in Hakánys Wunderwasser mit seinen eigenen Hüftgelenken wieder schmerzfrei die Welt und sein Leben genießen zu können.

Der Autor, so heißt es auf den letzten Seiten, wünscht ebenso anderen Lesern oder auch Leidtragenden ebenso Widerstandskraft gegenüber ausschließlich profitorientierten Heilvorschlägen mancher Chirurgen. Und sicherlich auch dies: Nach Alternativen suchen sollte man nicht nur auf dem Gebiet des Gesundheitswesens.

Die Haltung, stets mehr zu erfahren, also in die Tiefe zu gehen mit aller Gründlichkeit, das hebt sich von normal Reisenden mit ihren Schilderungen erheblich ab. So lernt man wieder zu forschen, nachzudenken und sich an Genüssen, besonders auch der kulinarischen, zu erfreuen. Zu lieben bedeutet, unsere Existenz zu bereichern, unserem Leben einen Sinn zu geben und die Welt zu verändern. Jeder tue also was er kann.

Der Autor blickt im 81. Lebensjahr auf ein Dutzend Harkány-Kuren zurück und stellt fest: Ich habe alles richtig gemacht. Ich gebe meinen Jahren Leben, ein lebenswertes Leben.
(Übrigens: Die zahlreichen farbigen Fotodokumente sind wie Perlen in diesem Buchgeschenk für die Leser.)

Eine Entdeckungsreise besteht nicht darin, nach neuen Landschaften zu suchen, sondern neue Augen zu bekommen. 
Marcel Proust (1871 – 1922)

„Liebe ist nicht in erster Linie eine Bindung an eine bestimmte Person. Sie ist eine Haltung, eine Orientierung des Charakters, welche die Beziehung eines Menschen zur Welt als Ganzes und nicht nur zum Objekt der Liebe bestimmt.“
Erich Fromm





Karl-Heinz Otto: „Wunderwasser Harkány. Ein Gesundheitstrip & kulturhistorischer Ausflug in die Baranya – Heimat der Donauschwaben. 1. Auflage 2018, Edition Märkische Reisebilder, Korrektur: Regine Miks, Vertrieb: Phon: 0331 270 1787, Mail: dr.carlotto@t-online.de, ISBN 978-3-934232-99-0, 367 Seiten, Preis: 20 Euro

Thema: Der Ruf Der Taube
pomme

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Der Ruf Der Taube 05.01.2019 18:28 Forum: Bücher und Printmedien

Leseprobe aus dem Buch

„DER RUF DER TAUBE“

Von pomme

Die Taube im Babylon

Ich suchte sehr lange nach dieser Taube, denn sie wurde verschwunden gemacht. Weder im Fernsehen gesehen noch in den „Qualitätsmedien“ erwähnt. Man schien sie vermisst, oder doch besser verjagt zu haben aus dem Gedächtnis der Menschen. Und heute, genau am 21. Oktober des Jahres 2017 wurde ich fündig. Hat die Seherin Kassandra dabei geholfen? Im Kino Babylon. Da saß ich nun im großen Saal, der voll gerammelt war. Eingeladen hatten die DKP, der Förderverein RotFuchs und der SDAJ. Mein Blick zur Tribüne. Und da stockte mir der Atem: Da war sie, die Taube. Auf einer großen Leinwand. Sie saß in der so wohlbekannten roten Sichel mit dem so wohlbekannten Hammer. Über dem allen die Erinnerung daran, dass wir nunmehr den 100. Geburtstag des Roten Oktober begehen. Tolle und inhaltsreiche Reden, Gesang und Gedichte, wo auch Bert Brecht und andere Publizisten und Dichter mit ihren politischen Erkenntnissen und Bekenntnissen nicht fehlten. So auch „Partisanen vom Amur“.

Im Saal nicht nur Graubärte, die dieses Lied ja wohl kannten, sondern auch viele sehr Jugendliche. Neben mir in der Sitzreihe johlte es, man sang die Strophen mit, und nicht nur von diesem Text, auch von anderen Kampfliedern. Welch ein glücklicher Moment. Denn es geschah sehr Außerordentliches: Die Friedenstaube wurde wieder flügge, ganz nach dem Motto, das diese Konferenz prägte: REVOLUTION IST ZUKUNFT.


Presseinformation

In diesem Sachbuch mit 548 Seiten und über 91 Buchtipps geht es um Zusammenhänge in Politik und Wirtschaft, um die Ursachen von antagonistischen Widersprüchen und deren Überwindung. Es sind jene Konflikte , die von Politikern und hörigen Printmedien des westlichen Kapitalismus bewusst unerwähnt, ja totgeschwiegen werden. (Unterzeile: „Blüten“ im Kreuzfeuer)

Es trägt mit Analysen, Meinungen, Kommentaren sowie autobiografischen Notizen zum Alltag und zu politischen und persönlichen Problemen des gesellschaftlichen Lebens Symbolcharakter für gesellschaftskritische Literatur - im Interesse der notwendigen Veränderungen im System der kapitalistischen Herrschaft in der BRD, im Interesse von Abrüstung statt Aufrüstung. Es ist ein bemerkenswerte konzentriertes Angebot an philosophischen, geschichtlichen und besonders aktuellen Erkenntnissen sowie deren Lösungsansätzen.

Zu danken sind den um Wahrheit kämpfenden Autoren wie Lucas Zeise, Daniela Dahn, Jürgen Grässlin, Hans-Dieter Mäde, Jürgen Roth, Matthias Eik & Marc Friedrich, Heiko Schrang, Christiane Florin, Herman L. Gremliza (Hg.), Brigitte Queck, Wolfgang Bittner oder Arn Strohmeyer, um nur einige zu erwähnen.

Wir brauchen in Deutschland nicht den politischen Stillstand, sondern den Aufbruch, die Veränderung, die auch im Buch „Staatsfeind bis heute“ von Gunter Pirntke, die 11. Feuerbachthese betreffend, dringend angemahnt wird.

Die nach vorne drängenden politischen Sachbücher – sie sind nur wenige Sandkörner auf dem Damm der Vernunft gegen verheerende entpolitisierende Überflutung und Krieg. Sie sind kenntlich gemachte Bruchstellen im Gefüge zwischen Mensch und kapitalistischer Profitgier.

Harry Popow: DER RUF DER TAUBE. „BLÜTEN“ IM KREUZFEUER. © Copyright by Harry Popow, Verlag: epubli, Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin, Erscheinungsdatum 19.11.2018, ISBN: 9783746782256/80635, Seiten: 548, Preis: 33,99 Euro

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Sonderdruck: Layout: Carlotto, 412 Seiten, Farbfotos, 16,67 EURO. Zu bestellen nur über Mail an den Autor.


Der Rezensent

Geboren 1936 in Berlin Tegel, erlebte Harry Popow (alias Henry Orlow in seinem Buch „In die Stille gerettet“) noch die letzten Kriegsjahre und Tage. Ab 1953 war er Berglehrling im Zwickauer Steinkohlenrevier. Eigentlich wollte er Geologe werden, und so begann Harry Popow ab September 1954 eine Arbeit als Kollektor in der Außenstelle der Staatlichen Geologischen Kommission der DDR in Schwerin. Unter dem Versprechen, Militärgeologie studieren zu können, warb man ihn für eine Offizierslaufbahn in der KVP/NVA. Doch mit Geologie hatte das alles nur bedingt zu tun… In den bewaffneten Kräften diente er zunächst als Ausbilder und danach 22 Jahre als Reporter und Redakteur in der Wochenzeitung „Volksarmee“. Das Zeugnis Diplomjournalist erwarb der junge Offizier im fünfjährigen Fernstudium an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Nach Beendigung der fast 32-jährigen Dienstzeit arbeitete er bis Ende 1991 als Journalist und Berater im Fernsehen der DDR. Von 1996 bis 2005 lebte der Autor mit seiner Frau in Schweden. Beide kehrten 2005 nach Deutschland zurück. Sie sind seit über 55 Jahren sehr glücklich verheiratet und haben drei Kinder, zwei Enkel und zwei Enkelinnen.

Thema: Dem Morgenrot
pomme

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Dem Morgenrot 28.06.2018 18:16 Forum: Bücher und Printmedien

Dem Morgenrot entgegen?

Ein satirischer Blick auf die Wirklichkeit

Von pomme

Es ist nicht zu fassen, ja, es scheint, die Welt wird umgekrempelt. Nicht NEU GEORDNET, wie es offiziell heißt, mit „Neuer Verantwortung“ und so. Nein, es sieht nach einer neuen Wende aus? Die Erleuchtung kommt von ganz unten. Von einem Mann, der ganz unpolitisch sein wollte. Und nun hat er sich doch eingemischt. Mit einem Buch. Einem Protokoll, das ehrlicher nicht sein kann. Der Titel: „Stein auf Stein dem Himmel entgegen“. Und das Absonderliche: Es wurde gedruckt. Mehr noch, es wurde unter die Leute gebracht. Vorneweg in einigen online-Plattformen, so in der Linken Zeitung. Dem schlossen sich nicht wenige der fortschrittlichsten Printmedien an. Und schließlich packte die ARD, das ZDF und auch der rbb in sensationellen Abendsendungen zu. Nur Anne Will rümpfte noch die Nase.

Das alles blieb nicht ohne Wirkung. Die SPD steht nicht mehr Kopf bei der Beurteilung der Arbeiterklasse, sondern räumt grundsätzlich mit der Anbiederung an das Kapital auf. Mit der rückwärts gewandten und nichtssagenden Tagespolitik zur Stärkung des Marktsystems soll Schluss sein. Die Linke klopft sich an den Kopf und bemüht verstärkt Marx, an den Diskussionen teilzunehmen. Die zahlreichen Autoren von kritischen Sachbüchern frohlocken: Endlich finden sie Gehör auch in den Printmedien. Es brodelt im Volk. Neue Rufe „Wir sind das Volk“ sind zu vernehmen.

Die Obdachlosen beschweren sich, keine Liegeplätze auf Vorbestellung mehr zu erhalten. Ihnen drohen Arbeit und zu bezahlende Mieten in extra gebauten Unterkünften. Die Miethaie demonstrieren erfolglos, da nahezu aller Privatbesitz an Wohnungen ab sofort wegen Menschenrechtsverletzungen untersagt ist. Auch wird der „Runde Tisch“ wieder eingeführt, um so die Quatschbude „bürgerliches Parlament“ zum Teufel zu jagen.

Wenn es bisher hieß, besonders für junge Leute, sie sollen sich in „Selbstverwirklichung“ üben, kommt rasant das neue Umdenken. Sie schließen sich zu Jugendbündnissen zusammen, zu sogenannten philosophischen Rundtischgesprächen und schwören den buddhistischen Kreisen, dem Achtsamkeitsverein und anderen Fluchten aus der Wirklichkeit wie auch der sogenannten ENTSCHLEUNIGUNG ab. Mehr noch: Sie stellen Fragen an die Großeltern, wie es denn so war früher im Antikapitalismus. Es ist schon so, irgendetwas ist ihnen zu Kopf gestiegen, sie wollen – wie in den 65er Jahren - ,wieder ernst genommen werden.

Arme Kirche: Sie stellen wiederholt eine Abwesenheit von Querdenkern fest, die den Glauben verloren haben, dass sich alles mit Gottes Hilfe bessern ließe. Zu früh jubelten die Kirchenleute darüber, dass der Industrieschornsteinmaurer, der Mann von der Arbeiterklasse, bis in die Höhe des Himmels bauen wollte.

Auch wirbelt es die Leute so richtig im Politikbetrieb durcheinander. Die Regierungschefin erinnert sich an ihre Studienzeit in der DDR und gesteht, sich in westlichen Gefilden zu sehr verbiegen zu müssen. Die Verteidigungsministerin stoppt das Programm mit den Morddrohnen und beschäftigt sich mit der Auflösung der Bundeswehr, denn trotz mancher Unkenrufe sollen die Russen ja doch friedliche Absichten haben. Also wendet sich Deutschland von den Möchtegern - Weltbeherrschern USA ab und richtet den Blick immer mehr nach Osten, wo zur Zeit das sportliche Jubeln die Herrschaft inne hat. Dorthin, wo nach wie vor zum Schrecken des Abendlandes nun doch die Sonne aufgeht. Und das schönste Geschenk für den Schornsteinmaurer, der stets in die Höhe strebt: Marx hatte recht: Wenn die Idee die Massen ergreift, wird sie zur materiellen Gewalt... Auch hierzu hat der Arbeiter sein Ja gegeben: Die BRD erhält in einer Volksabstimmung den Namen AWG - ALLE WERDEN GLÜCKLICH.

Bevor es soweit kommt, klopft es noch zu nachtschlafender Zeit recht polternd an der Wohnungstür des Autors...

Das Morgenrot muss warten!

Manfred Otto: Stein auf Stein dem Himmel entgegen. Aus dem Arbeitsleben eines Schornsteinmaurers/Zwischen Aufstieg & Abstieg / Zwischen Aufbruch & Abbruch, Edition Märkische Reisebilder, 1. Auflage 2018, 370 Seiten, Verlagsprogramm: www.carlotto.de, ISBN 978-3-934232-98-3, Telefon: 0331/270 17 87, Preis: 25 Euro

„INGO. Spaziergänge im Niemandsland“, 232 Seiten, unter der oben genannten Adresse zu bestellen. Preis: 12 Euro


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Drei der letzten Bücher des Rezensenten:

Harry Popow: „WIR SONNENKINDER. AUTHENTISCHE LEBENSBILDER“, Texte: © Copyright by Harry Popow, Umschlaggestaltung: © Copyright by Harry Popow, Verlag: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin, ISBN: 978-3-746719-09-2, Seiten: 504, Preis: 26,99 Euro
https://www.epubli.de/shop/buch/WIR-SONN...746719092/74250

Harry Popow: „STICH-PROBEN. TOTGESCHWIEGENES IM RAMPENLICHT“. Texte: © Copyright by Harry Popow, Umschlaggestaltung: © Copyright by Harry Popow, Verlag: epubli, Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin, Sprache: Deutsch, ISBN: 9783746719931, Format: DIN A5 hoch, Seiten: 376, Preis: 20,99 Euro
https://www.epubli.de/shop/buch/STICH-PR...746719931/74336

Harry Popow: DIE CLEO-IKONE, Taschenbuch, Texte: © Copyright by Harry Popow, Umschlaggestaltung: © Copyright by Harry Popow, Verlag: epubli, Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Erscheinungsdatum: 06.06.2018, ISBN-10: 3746730791, ISBN-13: 9783746730790, Format: DIN A5 hoch, Seiten: 224, Preis: 19,99 Euro,
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Thema: Die Cleo-ikone
pomme

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Die Cleo-ikone 12.06.2018 11:55 Forum: Bücher und Printmedien

DIE CLEO-IKONE

Leseprobe
Gefrierende Träume?

Guten Morgen, Du Schöne

von pomme

Über dem Regenbogen. Ein zartes Lied. Melodisch. Gedankenreich. Eines, das unter die Haut geht. Frühlingstag. Sonne. Balkon. Das Grün. Die Wärme. Sie – Tränen in den Augen. Bald kommt der ewige Abschied. Er nimmt sie in seine Arme. Sie tanzen im Wohnzimmer. Nach dem Frühstück. Ihr Kopf liegt fest an seiner Schulter. Er streicht ihr leicht mit den Fingern hinter den Ohren. Ganz fest halten sie sich. Das Schöne und Liebe ist bei beiden zu Hause. Über ihnen der vielfarbige Regenbogen. Seit über einem halben Jahrhundert.

Auf dem Balkon. Beide blicken in die vor ihnen gelegenen Gärten und Parkanlagen. Sie erfreuen sich an den roten Blüten des Oleander, den sie neu gepflanzt haben und die im morgendlichen Sonnenlicht glänzen. Über den Gärten, im Wald in der Nähe, den unter Linden und Eichen hervorlugenden Einfamilienhäuschen – da liegt eine unglaubliche sonntägliche Stille. Nur eine Amsel, vielleicht auch eine Lerche, sie zwitschern drauflos. Und viermal rufen die Tauben. Es duftet nach frischem Grün. Im Unterholz flitzen Füchse mit ihren Jungen.

Wärme menschlicher Nähe. Tiefes Durchatmen. Frei sein. Im Alter. Die verrinnende Zeit. Kostbar, je älter du bist. Wie lange noch? An jedem Tag dieses Glücksgefühl. Ausnahmslos. Liebe! Aus dem tiefsten Innern. Man liebt nur einmal – dann aber richtig. Zärtlichkeit. Auch nach 60 Jahren.

Empfindet man etwas Schönes, liest man Geistvolles, erfährt man menschliche Wärme – muss man sich da vor innerer Freude zurückhalten? Ist es nicht im gleichen Atemzug genauso mit dem Zorn, dem Zweifel. Wie könnte man jeglichem Angriff auf´s Menschliche widerstehen, ohne im Herzen die Liebe zu spüren, die Kraft, die in einem ist? Die ins Umfeld wirkt – in eine weltweite Ungewissheit, die seit dem geschichtlichen Rückfall jegliche Erinnerung im Keime zu ersticken sucht, die neue Zukunftsträume zu Eis gefrieren lässt? Was gehört dazu, mutig zu protestieren, Widerstand zu leisten? Trillerpfeifen? Spruchbänder? Lichterketten? Teilnahme an Demonstrationen? Sich mit Gleichgesinnten zusammenschließen? Jeder muss tun, was er kann.

Harry Popow: DIE CLEO-IKONE, Taschenbuch, Texte: © Copyright by Harry Popow, Umschlaggestaltung: © Copyright by Harry Popow, Verlag: epubli, Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Erscheinungsdatum: 06.06.2018, ISBN-10: 3746730791, ISBN-13: 9783746730790, Format: DIN A5 hoch, Seiten: 224, Preis: 19,99 Euro,
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Thema: Die Verzauberung
pomme

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Die Verzauberung 17.05.2018 19:19 Forum: Bücher und Printmedien

Aus dem Buch "Wir Sonnenkinder"

Die Verzauberung

Von pomme

Man schaue sich dieses Gemälde an (siehe Link zum Cover). Es ist mein erstes Bild gespachtelt, abstrakt und gleichzeitig auch gegenständlich. Acryl auf Leinwand. Geschenk für Cleo zur "Goldenen Hochzeit" am 23.12.2011. (Siehe Text im Buch III). Das war eine schwierige Geburt. Einerseits wollte ich die herrliche Pose von Cleo im Gemälde festhalten (nach einer Fotografie). Aber nicht in einem gewöhnlichen Gelände, nicht in einer „nur schönen“ Landschaft. Und hier begann das Problem: Bisher hatte ich Landschaften dargestellt. Gut und weniger gut. Manche sogar verkauft. Manche verschenkt. Und nun hatte ich es satt. Die Unruhe, die innere! Was passiert in der Welt? Sind wir zu brav, alles ertragen zu müssen? Nicht privat, nein, es geht um viel mehr. Wohin treiben wir, die Menschheit? Ich greife wieder einmal zu hoch!!!

Was also als Hintergrund, nahezu unbewusst angedacht, aber immer stärker im Kopf und im Gefühl? Was also? Spielte das eine Rolle? Aber gewiss doch… Tagelanges Grübeln. Cleo, in dieser bescheidenen Pose, ein einfaches Blumensträußchen in der Hand. Selbstvergessen, des Fotografen Blick nicht bemerkend. Und welch eine Unabhängigkeit, welch eine Würde. Welch eine Schönheit in diesem Bild. Schönheit, die aus dem Inneren kommt, nicht angewiesen auf Beifall und Zuspruch. Einfach so. Aus sich heraus. Das alleine hat seinen Wert. Wo doch heutzutage so vieles auf Demonstration aus ist, auf die Notwendigkeit reduziert, sich präsentieren, ja, verkaufen zu müssen.

Und wie diese Pose in die Welt stellen? Nachts der Gedanke: Erde und Welt. Welt als Planet Erde und dazu eine riesengroße Sonne. Kontrast von blau und gelb-orange. Das war die Idee!!! Cleo, Frau, Mensch – in Beziehung zum Großen. Keine Reduzierung der Figur auf ein handelndes Subjekt, sondern als Symbol menschlicher Kraft und Schönheit. Nicht die Gefahren in der Welt stehen im Vordergrund, sondern das Dasein des Menschen, das allerdings irgendwann – genauso wie die Erde – seine Endlichkeit erreicht haben würde.

Sicher – ein Symbol, ein Teil steht für das Ganze. Aber es steht nicht für sich allein. Es hat ein Umfeld. Beides, das Einzelne und das Gesamte, muss im Blickfeld bleiben. Das ist das Wesentliche: Komplexes Denken und Handeln ist gefragt. Wer sein Dasein lediglich auf das eigene Ich reduziert, bleibt ein Spielball des Übermächtigen. Teilweise und unter bestimmten Umständen ist das Ich überlebensnotwendig. Der Sinn des Lebens: Darüber hinaus das Sehen und Tun erlernen und anwenden…

Aus den Trümmern kam die Generation der vor 1945 Geborenen. Darauf verweisen die Eierschalen rechts unter der Figur, dieser lichten Gestalt. Im Uhrzeigersystem nach links und oben schauend sehen wir ein defektes Haus, siehe zerbrochene Streichhölzer, und darüber ein angedeutetes Wohnhaus, nicht ohne Blut. Wie klein mögen die unerhörten menschlichen Verluste wirken, wenn man die Lebenswege, mitunter schwarz eingefärbt, der im Bild links verlaufenen Linie verfolgt. Bis in die Sonne, dem unendlichen Verbrennungsprozess folgend, dem jeglichen Ende entgegen. Schaut man genauer hin, dann bemerkt man einen geklebten Strick. Wer dreht der Menschheit einen Strick, dem vorzeitigen Ende entgegen?

Manche sagen, die Farben sprechen an, der Kontrast. Das ist Absicht, gefühltes Wollen. Mitunter möge man dabei stehen bleiben, aber das größere Vergnügen mögen die persönlichen Entdeckungen sein. Dieses große Rätsel: Der Mensch. Die Hochachtung vor der menschlichen Existenz. Sie sollte uns beflügeln, die Welt – solange sie noch nicht ganz zerstört wurde – zu erhalten, Maß zu halten, der unendlichen Gier nach immer Mehr und Größer und Reicher den Garaus zu machen. Wer fragt nach dem Partner dieser lichten Frauengestalt? Dem Maler? Er hätte es so nicht „klecksen“ können, hätte er nicht innerlich ein reiches und tiefes Innenleben, mit Visionen, mit Träumen. Verlacht mitunter, gewiss, aber das große Glück ist in ihm, der ein halbes Jahrhundert eine Frau lieben durfte und immer noch darf, die selbst alle menschliche Liebenswürdigkeit in sich hat, eine Kameradschaftlichkeit ohnegleichen, die an Selbstaufopferung grenzt – aber auch eine derbe Impulsivität, die Ungereimtheiten gefühlsstark Ausdruck verleiht. Sie sagt: „Jubel dich nicht so hoch, wer bist du denn...“

Ich mach´s trotzdem. Ein gemaltes Trotzdem. Ein gemalter Seelenzustand. Eine Verwandlung. Eine Verzauberung. Eine Aufforderung zum Disput. Eine Provokation für die Unruhe, fürs Wachsein!! Deshalb ein Buch der Rückbesinnung. So, als Cleo ins Lebensbild trat. Unverhofft. Ein glücklicher Umstand. Ich lernte SIE kennen. In Plauen i.V. am 15.02.1957. (Siehe Beitrag „Volltreffer“ im Buch – ein Vorgriff)

Harry Popow: Wir Sonnenkinder - Authentische Lebensbilder

Umschlaggestaltung: Harry Popow, Verlag: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin, ISBN: 978-3-746719-09-2, 504 Seiten, 26,99 Euro, https://www.epubli.de/shop/buch/WIR-SONN...746719092/74250

Pressemitteilung zum Buch

Unter dem Titel „WIR SONNENKINDER“ veröffentlichte der Diplom-Journalist und Blogger Harry Popow im Eigenverlag epubli, Erscheinungsdatum 24.04.2018, seine in der DDR als Militärjournalist gesammelten Lebensdaten sowie seine Erlebnisse und Erfahrungen während eines neunjährigen Aufenthaltes in Schweden (1996 bis 2005) als auch nach der Rückkehr nach Deutschland.

Der Titel, so das Anliegen des Autors, möge vor allem an jene Generation erinnern, die nach der Befreiung vom Faschismus mit viel Mühe aus den Trümmern an materiellen Werten und denen in den Köpfen versucht haben mit gutem Erfolg einen neuen Staat zu errichten, dem als grundlegendes Anliegen die Entmachtung der einst herrschenden Geldeliten, die Beerdigung sämtlicher Kriegsgelüste als geschichtliche Notwendigkeit oblag, sondern vor allem dem friedlichen Aufbau sowie dem militärischen Schutz der DDR.

Angesichts des gesellschaftlichen und staatlichen Absturzes blickt der damalige Militärjournalist und Oberstleutnant zurück in die Anfangsjahre der DDR, in die Kindheit mit seiner liebevoll sorgenden russischen Mutter, die 1935 zu ihrem Ehemann nach Berlin übergesiedelt war.

Es sind Tagebuchnotizen eines inzwischen über 81-Jährigen. Es umfasst die Zeit von 1944 bis 2018. Die Notizen sind sporadisch entstanden und halten fest, was ihn am großen Vorhaben fesselte, ein gänzlich anderes und neues Deutschland aufzubauen.

Das Buch mit seinen 504 Seiten teilt der Autor in vier Teile: Das persönliche Erleben vor und nach 1945, der Aufbruch im Ostwind, die im Westwind untergehende DDR, der vorläufige Aufenthalt in Schweden, die Rückkehr nach neun Jahren sowie die glücklichen Jahre am Rande Berlins, wobei die Beschäftigung als Blogger und Autor für Harry Popow die innere Befriedigung gibt, nicht ganz tatenlos der politischen Verdummung und Orientierungslosigkeit entgegentreten zu können.

„WIR SONNENKINDER“ ist gleichzeitig ein nach 57 Ehejahren authentischer Liebesroman zwischen seiner Frau Cleo und ihm, dem Autor und Träumer von einer anderen und menschlicheren Welt.

Der Autor: Geboren 1936 in Berlin-Tegel, erlebte noch die letzten Kriegsjahre. Ab 1953 war er Berglehrling im Zwickauer Steinkohlenrevier und ab Herbst 1954 Angehöriger der KVP, später NVA. In den bewaffneten Kräften diente er bis 1986 u.a. als Militärjournalist. Den Titel Diplomjournalist erwarb er sich im fünfjährigen Fernstudium an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Nach Beendigung der fast 32-jährigen Dienstzeit arbeitete Harry Popow bis Ende 1991 als Journalist und Berater im Fernsehen der DDR. 81-jährig betätigt er sich als Blogger, Rezensent, Autor und Hobbymaler. Er ist seit 1961 sehr glücklich verheiratet.

(Siehe auch NRhZ, Online-Flyer Nr. 657 vom 02.05.201cool

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pomme

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24.10.2017 18:39 Forum: Bücher und Printmedien

Harry Popow: Eiszeit – Blüten. Rote – Nelken – Grüße aus blühenden Landschaften

BLÜTENLESE

Buchtipp von Elke Bauer

Blüten – schönste Zier des menschlichen Umfeldes, werden in diesem Buch ans rechte Licht gebracht, besser, ins linke Licht gestellt. Blüten, geschaffen vom menschlichen Geist, Tatkraft/Leistungen und Visionen zur Verständigung über das Erhaltenswerte und zu Bedenkende. Vielen Menschen ist das seit 1989 verschwundene Gesellschaftsgebilde Volksdemokratien, Sowjetstaat und eine gesicherte Zukunft noch im Bewusstsein.

Die Blüten der kurz zurückliegenden Vergangenheit werden von Harry Popow, Offizier und Militärjournalist zu DDR –Zeiten, an die Öffentlichkeit gebracht. Er knüpft ideenreich an den sensationellen Fund von 30 000 Jahre alten Pflanzen an, die sibirische Forscher unlängst unter sibirischem Eis entdeckten und wieder zum Leben erwecken konnten. Nun zeigt er in seinem 508-seitigen Buch, dass doch auch Errungenschaften und Gedankengut, die in den letzten 100 Jahren in östlichen Bereichen erkämpft und entwickelt wurden, gegenwärtig wohl unters Eis gebracht werden – aber sie könnten und müssten doch wieder gefunden und als nötig in eine spätere Gesellschaft integriert und wieder zum Blühen gebracht werden.

Gemeinsam mit seinen Blog- Usern bringt er aus deren realen Lebenserfahrungen der genannten letzten 100 Jahre Bedenkenswertes dem Leser nah und will zur Diskussion anregen. Zu Wort kommen also Zeitgenossen, die sowohl Vergangenes als auch Gegenwärtiges ihres Lebens sehr lebendig und natürlich, mit kritischem Blick, darstellen. Sie machen sich auch Gedanken über die vielgepriesenen „blühenden Landschaften“, die nicht zur Dankbarkeit gegenüber den „Brüdern und Schwestern“ westlicher Hemisphäre führten. Sie wollen die Glasperlen, mit denen man „unterentwickelten Völker“ vergangener Epochen köderte, nicht. Sie zeigen den Echtheitsgrad der Perlen im heutigen Leben. So können ALEX, Günther, Lotti, Hanna, Judith und Harry selbst, weit über dem heute verbreiteten Gazetten – Niveau hinaus, ihre Ansichten zur Diskussion stellen.

So beschreibt die studierte Ökonomin Judith ihre Entwicklung und Tätigkeit in den staatlichen Handelsorganisationen und in der Wirtschaft der DDR. Trotz aller Probleme hatte sie ein erfülltes Leben. Durch Ihre Erfahrungen im Sozialismus vermag sie bei ihren Reisen in und um das gegenwärtige Deutschland herum die gepriesenen blühenden Landschaften hintersinnig und kritisch zu durchschauen und darzustellen. Ihr Blick auf Weimar und die Ostsee, die Krim, Irland, das Baltikum, Bulgarien und Russland zeigt unbestechlich heutige und historische Verhältnisse. Sehr treffend die Fragestellung nach der Zugehörigkeit der Krim seit dem 18.Jahrhundert zu Russland, wie war das doch mit Potjomkin, Katharina der Zweiten und der Krim?

Da schreibt ALEX über seine Erfahrungen von der furchtbaren Zerstörung Plauens, seiner Heimatstadt, die schweren Jahre der Nachkriegszeit für einen Jungen, der nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurde. Er berichtet von seinem Weg als Offizier der DDR-Streitkräfte, den er gegen den Krieg zur konsequenten Friedenserhaltung ging. Wie viele Soldaten der Bundeswehr mussten im offenen oder verdeckten Kampf in den verschiedensten Gegenden der Welt, z.B. am Hindukusch, der auf einmal zu Deutschland gehörte, ihr Leben lassen. Diese Gedanken fordert ALEX geradezu heraus – uninteressant für den Zeitgeist jeden Couleurs?

In Günthers Beitrag sticht vor allem die fundierte Einschätzung des Wirkens Gorbatschows heraus. Seine Einschätzung ist so umfassend, dass dem nicht zu widersprechen ist. Er studierte Journalistik, ging 10 Jahre zur Armee um dann im Militärverlag der DDR zu arbeiten. Zu seinen im Kiro – Verlag erschienen Erzählungen gehört auch das  Anti – Kriegsbuch „….angeordnet Schweigen. Das Ende einer Mädchenklasse“.

Hanna, als gestandene Frau, mit umfassendem Wissen und Klassenstandpunkt, steuert kritisch und unverblümt ihre Meinung zu den Zeitereignissen bei. Stalinnote - (von Adenauer abgelehnt – wer kennt ihre Bedeutung?), Mauerbau - wem nützte er wirklich ? Wem nützt das Nachrücken der NATO im Ring um Russland? Viel Bedenkenswertes. Ein besonderer Beitrag im Buch sind ihre eingefügten Gedichte, poetisch, sowohl in der Darstellung menschlicher Gefühle als auch gesellschaftlicher Gegebenheiten. Auch ein paar kritische Seitenhiebe gegen heutige linke Politik und Politiker fehlen nicht – Salz an der Suppe – und sehr treffend herausgearbeitet.

Lotti beschäftigt sich mit Rezensionen und gegenwärtiger progressiver Literatur aus dem Blog von H. Popow und seinem eigenen literarischen Schaffen. Sie will auch Literatur, die contra Mainstreamdenken und Oberflächlichkeit wirkt, bekannt machen. Vieles belegt sie mit Zitaten und Abhandlungen aus der klassischen Literatur. Sie will, dass das von den Vätern ererbte, bedeutsame geistige Vermächtnis, mit in die Zukunft genommen wird und diese damit menschenwürdig gestaltet wird.

Harry Popow hat das Verdienst, die Stimmen seiner Mitakteure zu Gehör zu bringen und trägt eigenes Wissen und geistiges Potential bei. Durch seine Beiträge erfährt man die Darstellung gesellschaftlicher Probleme eines unbestechlichen Zeitkritikers, Bloggers und Autoren. Durch ihn erkennen wir, dass sich ein Mensch nach der Wende nicht verbiegen muss, wenn er schriftstellerisch und sachlich eingreift und die Finger auf obskure Zeitereignisse legt. Er macht in seinen kritischen Buchrezensionen progressiv denkender Zeitgenossen auf Gedanken aufmerksam, wie man entgegen der sogenannten „Lügenpresse“ die Zeitereignisse auch sehen kann und kritisch hinterfragen muss. Damit sei auf seine streitlustigen Sachbücher und seine autobiografischen Romane hingewiesen. Poetisch und eindringlich zum Beispiel die Bücher um seine Mutter Tamara, „In die Stille gerettet“, „Im Stillen Park der untoten Seelen“ sowie „Der Schütze von Sanssouci“. Stephane Hessels „Empört Euch“ durchzieht die Abhandlungen. Dank dem Autoren und Herausgeber für unser Aller Bereicherung.

Harry Popow: „EISZEIT-BLÜTEN. ROTE-NELKEN-GRÜßE AUS BLÜHENDEN LANDSCHAFTEN“, Taschenbuch: 508 Seiten, Verlag: Independently published, Brokatbook Verlag, (17. September 2017), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 1549766864, ISBN-13: 978-1549766862, Größe und/oder Gewicht: 14 x 3,2 x 21,6 cm, Preis: 12,50 Euro
https://www.amazon.de/EISZEIT-BL%C3%9CTE...EIT-BL%C3%9CTEN

Thema: Ein Schützendasein
pomme

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Ein Schützendasein 14.01.2017 16:15 Forum: Bücher und Printmedien

„Der Schütze von Sanssouci. Das Leben mit einer Göttin – Erkenntnisse und Bekenntnisse aus acht Jahrzehnten“ - Harry Popow

Ein Schützendasein

Buchtipp von Elke Bauer

Ehrlicher geht es nicht. In diesem biographischen Bericht erfahren wir die Gedanken eines Zeitzeugen, eines Offiziers der NVA, der drei gesellschaftliche Etappen der deutschen Geschichte durchlebte:
- Faschismus, dargestellt an den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges,
- 40 Jahre DDR - vom Optimismus der Aufbaujahre bis zum Unvermögen, den Staat mit den hochgesteckten Zielen zu erhalten,
- und der Wende/ Nachwende als Negation seines bisherigen Lebens- und Menschenbildes.

Durch die kritische Sicht auf das neue Staatsgebilde BRD sowie durch persönliche Erlebnisse und Begegnungen lernte er die durchlebte und erkämpfte Zeit im Staat DDR noch mehr schätzen und steht zu ihr - trotz alledem. Das bedeutet aber nicht, dass er das Leben in der DDR und die staatliche Ordnung nicht kritisch hinterfragt hätte und Erscheinungen, die zum Ende der DDR führten, nicht benennt. So entwirft er anhand seiner Biografie, seiner Erlebnisse und persönlichen Auseinandersetzungen ein realistisches Bild vom kleinen Land mit den hohen Ansprüchen. Damit bekommt der Leser ein Erinnerungsbuch in die Hand, das ihn zum: "Ach ja, so war es - war das alles schlecht?" sowohl in Ost, als auch wegen seiner Aufrichtigkeit in West bringt. Man denke an: "Es höre jeder auf die Flüsterungen der Geschichte" (Antoine de Saint - Exupery).

Mahnende Worte von Bertolt Brecht "Zum Volkskongress für den Frieden" (Wien 1952) sind der sinngebende Ausgangspunkt für des Autors Erkenntnisse und Bekenntnisse. Mit der Schilderung seines Lebens, der letzten Kriegsjahre, die er gebeutelt erleben musste, der Evakuierung und der Rückkehr nach Berlin 1945, die Bemühungen der Eltern, an der Gestaltung des neuen Deutschlands mitzuwirken, benennt er die Probleme der Zeit und seine heutige Sicht darauf. Er erlebte die Leistungen seiner Mutter als Dolmetscherin (sie lebte seit 1934 als gebürtige Russin in Deutschland) beim Bau des Treptower Ehrenmals (stolz, sie in der Krypta abgebildet zu sehen), als Personalleiterin und Dolmetscherin bei der SDAG Wismut in Aue und Schwarzenberg im Erzgebirge, ihre Stationen als Dolmetscherin in Berlin und Dresden, als Dozentin in Merseburg.
Er malt sehr plastisch und wahrhaftig das Bild des Neubeginns, immer dargestellt an den Handlungen seiner Familie, Freunde und Kollegen ohne in Phrasen zu verfallen. Seine Erinnerung an diese Zeit führt er weiter in seinem biografischen Bericht von der Entwicklung als Bergwerklehrling – auch unter Tage - in Zwickau, seiner beginnenden Ausbildung zum Geologen in Schwerin. Diese bricht er ab, als man ihn "überzeugt", in die KVP, später NVA einzutreten.

Viele Stationen des Armeelebens an den verschiedensten Standorten in der DDR, sein Fernstudium der Journalistik an der Leipziger Karl-Marx-Universität, der Tätigkeit als Diplomjournalist im Offiziersrang an Zeitungen der Armee, sie sind fest eingebettet in das Leben der DDR-Gemeinschaft. So entsteht ein Kaleidoskop des gesellschaftlichen Gefüges in der DDR. Bewusst reiht er sich als „Schütze“ in die große Schar der Verteidiger des Sozialismus in der DDR ein, indem er im Klappentext darauf verweist, dass bereits über 900 Ehemalige und aktive DDR-Bürger ihre Erinnerungen als wertvolle Spuren in die Vergangenheit zu Papier gebracht haben. Das macht das Buch so umfassend.

Nach insgesamt 32 Dienstjahren in der KVP/NVA geht er zum Fernsehen der DDR als journalistischer Berater.

Nicht vergessen sollte man den Untertitel "Das Leben mit einer Göttin". Seine Göttin im Focus, nimmt er die wichtigste Bezugsperson in seine Schilderung auf - Cleo, seine große Liebe. Sie steht in allen Lebenslagen schön und klug an seiner Seite, sie erlebte seine Kämpfe mit, erduldend und duldend, aber auch mit kritischen Hinweisen, treu und Freude bringend, die Familiengeschicke beeinflussend.

Das bedeutete auch, drei Kinder, oft allein, groß zu ziehen, die in der Wendezeit bestanden und heute tüchtig ein selbstbestimmtes Leben führen. Dankbar stellt er diese Seite seines Lebens, die große Liebe und die Fürsorge für die Familie dar, ehrlich und offen. Dabei benennt er auch politisch haltlose Unterstellungen von verschiedenen „Genossen“, die ihm besonders gegen das Ende der DDR hin widerfuhren. Sehr lesenswert wird das Buch auch dadurch, dass er sich nicht als fehlerfreien Menschen, sondern sowohl als kritisch denkendes aber auch als kritisch handelndes Gesellschaftsmitglied darstellt.

Sein Weg nach der sogenannten Wende war steinig, er musste sich mit Minijobs durchschlagen, wie tausende andere Bürger ebenfalls, verließ mit seiner Frau 1996 für neun Jahre Deutschland und ging nach Schweden.

Seit 2005 lebt er wieder mit seiner Frau in der Nähe seiner Kinder in Deutschland, wurde Blogger und Hobbymaler, bespricht interessante politische Sachbücher und macht seine Leserschaft mit Abhandlungen aus linken Zeitungen bekannt. Seine Erlebnisse und Erfahrungen hält er in selbst verfassten Büchern und Essays fest.

Er beendet, wie immer, seine Bücher mit Originalmeinungen und Abhandlungen seiner User zu Zeitereignissen. Besonders erinnerlich ist mir die Erzählung vom "Der Mensch vor dem Supermarkt", die Abhandlungen "Lügenpresse", "Staatsferne" und "Ehe alles zerbricht".
Beigefügte private Fotos erhöhen die Authentizität des Buches. Es ist durch sein breites Spektrum des DDR - Lebens, ob seiner Ehrlichkeit und Vielfalt, interessanter Schauplätze und kritischer Sichten, eine sowohl unterhaltsame als auch nachdenklich machende Lektüre. Der Schütze steht hier für´s Ganze, poetisch erweitert durch das Bild des Bogenschützen von Sanssouci.


Harry Popow: „Der Schütze von Sanssouci. Das Leben mit einer Göttin – Erkenntnisse & Bekenntnisse aus acht Jahrzehnten“, Taschenbuch, 356 Seiten, Farbfotos, Druck und Verlag: dbusiness.de gmbh, Greifswalder Str. 152, 10409 Berlin, ISBN 978-3-94683-729-9, Copyright © 2016, Email: info@dbusiness.de, www.dbusiness.de, Bestelladresse:
http://www.shop.dbusiness.de/article/sho...e-von-sanssouci ,
Preis: 12,95 Euro


Zur Rezensentin: Elke Bauer, geb. 1939, Bibliothekar an allgemeinbildenden Bibliotheken der DDR/ Fachschule für Bibliothekare Leipzig 1961, Diplomkulturwissenschaftler/Universität Leipzig 1970, Bibliothekar in ltd. Funktion bis 1991, Aufbau einer eigenen Buchhandlung, selbstständige Buchhändlerin 1991 bis 2001, Rentnerin, ab 2011 in München lebend. (Dieser Buchtipp wurde mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin veröffentlicht.)

Thema: Die Plauener Spitzenfrau
pomme

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Die Plauener Spitzenfrau 02.02.2016 19:02 Forum: Bücher und Printmedien

(Eintrag durch pomme)

Meine Bemerkungen zu Harry Popows Roman „Cleo“

Die Plauener-Spitzen-Frau
und ihr Bogenschütze

Von Dr. Karl-Heinz Otto, Potsdam
(Carlotto – Autor und Verleger)

Harry Popow hat seine bemerkenswerten Prosageschichten unter dem exotischen Namen „Cleo“ versammelt, und, um es dem Leser leichter zu machen, zusätzlich gleich zwiefach untertitelt. Mich erwarten also, wenn ich mich dem Lesevergnügen „Cleo“ hingebe, „Persönliche Lebensbilder“ im literarischen Kleid eines „authentischen Liebesromans“. Allein, dass ein Autor den Mut aufbringt, sein tatsächlich gelebtes Leben, insbesondere seine mehr als dreißig Jahre währende kurvenreiche „Karriere“ im „Ehrenkleid“ der längst im Orkus der Geschichte gestrandeten Nationalen Volksarmee und seine beneidenswert schöne und bis ins Heute gepflegte Liebe zu Cleo mit ungeschminkt ehrlicher Authentizität offenzulegen, wirkt verführerisch genug, mich auf Popow einzulassen.

Im Vorsatz des Romans springt mich dann dieser tiefsinnige Aphorismus aus Konstantin Paustowskijs feinfühliger Erzählung „Die Goldene Rose“ an: „Alles, was den Menschen niederdrückt und betrübt, alles, was ihn auch nur eine Träne vergießen lässt, muss mit der Wurzel ausgerottet werden … Die Wüsten ebenso wie die Kriege, die Ungerechtigkeit, die Lüge und die Gleichgültigkeit gegenüber dem menschlichen Herzen.“ Anspruchsvolle, humanistische Worte, die der Autor diesem aus seinen persönlichen Lebensbildern komponierten authentischen Liebesroman quasi als Leitmotiv vorangestellt hat. Meine letzten Bedenken, Popows Roman zu lesen, schwinden.

Wer die Messlatte schon zu Beginn seiner Geschichten so hoch legt, der muss sich seiner Sache nicht nur sehr sicher sein, nein, der wird auch Gewichtiges zu den unsterblichen Menschheitsthemen von Krieg und Frieden, von den kleinen und großen Ungerechtigkeiten und Lügen und der beschämenden Gleichgültigkeit der immer wieder nachwachsenden Mitläufer zu erzählen haben. Und Harry Popow gelingt es in der Tat, viel Nachdenkliches aus seiner Erinnerungstruhe ans Tageslicht zu befördern, ist sie doch glücklicherweise reichlich mit allerlei Briefen und Tagebuchnotizen gefüllt.

Dabei war dem Arbeiterjungen, der seinen beschwerlichen und doch so hoffnungsvollen Lebensweg in den sächsischen Steinkohlenrevieren von Zwickau beginnt, im Jahre 1936 an seiner Wiege wahrlich nicht gesungen worden, sich später einmal unter die Schriftsteller zu wagen. Auch als er Armeeoffizier wird und Journalistik studiert und schließlich als Reporter der Wochenzeitung „Volksarmee“ auf Achse ist, denkt er nicht in literarischen Kategorien, die für ihn auch weiterhin jenseits seiner journalistischen Pflichten angesiedelt sind. Das ändert sich auch nicht, als er dann nach langen 32 Jahren die Uniform auszieht und beim Deutschen Fernsehfunk in Adlershof glücklicherweise eine Arbeit findet, die mehr als nur ein ungeliebter Job ist.

Erst als ihn 1989 – wie Millionen andere auch – diese Zeitenwende – die er, vielen Gesinnungsgenossen gleich, so nicht gewollt hat und deshalb ohne Umschweife als Rückwende oder gar als Konterrevolution empfindet – mit brachialer Gewalt aus der Bahn wirft, beginnt er, der immer nur vorwärts gewandt für eine lebenswertere sozialistische Zukunft eingetreten war, sein bisheriges Leben neu zu bedenken. Doch dazu braucht er einen klaren Kopf und klare Luft vor allem. Deshalb sagen Harry Popow und seine Cleo dem mit heißer Nadel wieder zusammengeflickten Deutschland für neun Jahre ade. In einem bescheidenen schwedischen Holzhaus haben sie sich im wahrsten Sinne des Wortes in die Stille gerettet und finden allmählich wieder zu sich. Während dieses nicht ausschließlich schmerzfreien Prozesses des Zusichfindens öffnet Harry Popow endlich seine lange verschlossene Erinnerungstruhe. Welch herrliche Schätze lachen ihn da an! Unter ihnen manch traurige Geschichte, die er am liebsten hätte aus seinem Leben streichen wollen. Er staunt, wie bitter wahr sich die Behauptung erweist, dass die tiefsten Beulen am Helm eines Kommunisten meistens von den eigenen Genossen stammen. Er ist stolz darauf, dass er sich trotz mancher Versuchung niemals hat verbiegen lassen. Am stärksten aber beeindrucken ihn die vielen, vielen Liebesbriefe …

Vor dem nun schon ergrauten Alten breitet sich sein gesamtes facettenreiches Leben aus. Vielleicht birgt jene Floskel ein Körnchen Wahrheit, nach der jedes Leben einen Roman in sich trägt. Nun liegt er vor, der Roman des Harry Popow. Das Authentische der bunten Lebensbilder nimmt man dem Autor unbedenklich ab, auch wenn er nicht den allerletzten Mut aufbringt, seine Geschichten durchgängig in der Ich-Form zu erzählen. Stattdessen versteckt er sich in der fiktionalen Figur des Henry Orlow, die aber unschwer als Alter Ego des Autors erkennbar ist. Nur manchmal wechselt die Erzählperspektive vom Auktorialen zum verräterischen Ich. An dieses ungewöhnliche Vibrieren der Erzählsicht kann man sich jedoch schnell gewöhnen und als Stilmittel zur Steigerung der authentischen Elemente anerkennen.

Harry Popow ist mit seinem Roman ein lesenswertes Stück Prosa gelungen. Manche werden ihn als aufschlussreiche Memoiren eines romantischen NVA-Offiziers lesen. Andere werden sich an der berührenden Liebesgeschichte zwischen dem Bogenschützen Harry und der Plauener-Spitzen-Frau Cleo erfreuen. Doch unabhängig davon, wie man die Lebensbilder des Harry-Henry interpretieren will, klüger, als man in den Roman eingetaucht ist, wird man allemal aus ihm wieder auftauchen. Ich aber muss nun dieses beneidenswert glückliche Liebespaar Cleo und ihren romantischen Bogenschützen verlassen. Bleibt mir am Ende nur noch der Wunsch, dass ihre Geschichte einen großen Leserkreis finden möge.

Der autobiographische Roman von Harry Popow „In die Stille gerettet. Persönliche Lebensbilder“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3, ist nunmehr auch mit neuem Titel und Cover - siehe oben - bei Amazon erhältlich:

Amazon: http://www.amazon.de/CLEO-Pers%C3%B6nlic...her+Liebesroman


Inhaltsverzeichnis:

Das kleine Schwedenhaus - Erich, der Berliner - Tamara, die Moskauerin - Ein Groschen für den Leiermann - Ohrfeige für Henry - Ein gutes Wort für jeden – Tiefflieger - Weiße Armbinden - Von Schöneberg nach Pankow - Mutter im Denkmal -  Träumender Trommler - Bandenkriege - Bei Präsident Pieck - Drahteseltour  -  Steinkohlen-Zeit - Geologen-Zeit - Knobelbecher-Zeit - Glück ab - Tee mit Rum -

Das weiße Spitzenkleid - Das verbotene Tagebuch - Parade in Berlin - Eine Pforte für den „Fußballer“ - Sekt in der Badewanne - Die „Taiga“ - Auf Werbetour - Die Heiligabend-Dropsrollen - Posten auf dem Damm - Waldi mit Depressionen - Rebellion des Geistes - Stalinstadt(Eisenhüttenstadt) - Kopfwäsche - Sackgasse Pinnow - Theatertage in Weimar - Kranker Pedalritter - Einöde - Unter Mpi-Begleitung – Bilderstürmer - Am Kai ohne Neid - Jungfernfahrt ohne Geld - Zum Feuerschiff ohne Hemmungen -

Der Dukatenscheißer - Heiraten, oder? - Nasse Füße contra Kulturschande - Neuer Anlauf - Cleo auf dem Sozius - Die schöne Gouvernante - Vom Umtausch ausgeschlossen - Patricia in Aussicht - „Der kommt auch noch dahinter...“ - Ab in den Wald! - „Seelsorger“-Sorgen – Wortgeklingel - Wer schläft hier sanft? - Reinfall am „runden Tisch“ - „Götter-Ohren“ an Soldaten-Herzen - Der Feldherrenhügel - Befehl zum Antanzen - „Marter“ unter Gitarrenklängen - Buschfunk an der Tankstelle - Guten Tag Sanssouci - Frisiert und zahnlos - Mann mit Format - Paroli bieten -

Der Zauberer Otto Nagel - Die zweite Geburt - Im Donaudelta - Redaktion „Atemlos“ - Flucht nach Sotschi – Gorbatschow - Jubel aus allen Rohren - „Kampfplatz“ -  Adlershof - Die „Konterrevolution“ - „Soldatenhochzeit“ - Aufruhr in Kinosälen - Der Vortragskünstler – Spießrutenlauf - Papa, Papa...! - Versteinerte Gesichter - „Gorbi“ hilf – Mauerfall-Chaos - Immer noch rot? - Abzockerei auf Gran Canaria - Die „alternative“ List - Silvester in der Schifferstube -

Blind gekauft - Empfang bei „Pippi Langstrumpf“ - Lüpft bitte den Hut - Schwedische Gastfreundschaft - Hurra, der Schornstein raucht - Spitzlichter auf`s Gemälde - Siebzig und kein Wodka - Dorfball in Orrefors - Grillen im Schnee - Großer Bahnhof - Flu auf dem Traktor - Brennerausfall beim Nachbar - Endlich Sauerkraut - Kaffeewasser auf Teelichtern - „Pfingsttreffen“ mit Stolitschnaja - Das Pendel der alten Uhr - Alter Mann und rote Rose - „Seit wann denn das, Opa?“ - Auf der Sonneninsel - Lenin, komm heraus! - Stürmische Nachbemerkung - Worte zum Titelbild

Thema: Gysis "Erkenntnisse"
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Gysis "Erkenntnisse" 02.02.2016 18:59 Forum: Bücher und Printmedien

„Worte des Vorsitzenden Gregor Gysi“ – Hrsg.: Hanno Harnisch und Olaf Miemiec

Gysis „Erkenntnisse“

Buchtipp von Harry Popow

Wenn die Neugier nicht wäre – schon wieder Gregor Gysi. Er sei ironisch, gewitzt, kokett und gescheit. So charakterisieren ihn die Herausgeber Harnisch und Miemiec in ihrem soeben veröffentlichten Büchlein „Worte des Vorsitzenden Gregor Gysi.“ Die Rezension zu dem Buch „Ausstieg links?“ ist kaum veröffentlicht, da schneit also ein weiteres – diesmal vom Eulenspiegel Verlag - auf meinen Schreibtisch: Es ist ein rotes Minibuch, angelehnt an die Minilektüre „Worte des Vorsitzenden Mao Tse-Tung“. Man nannte es auch die „Mao-Bibel“. Ob dieser Vergleich bewusst gewählt wurde?

Das tut gut, so eine handliche Handreiche für Zitatensammler und schnell lesende S-Bahn-Leser. Ein Griff in die Jackentasche – und schon wirst du aus dem Alltag in die hohe Politik eingeführt, nimmt man an. Vorausgesetzt, du kennst dich schon ein wenig aus im Dickicht der Gregorschen Wortwitze. Da geht es munter zu. Mit den hier versammelten Worten aus Reden, Interviews, Dokumenten und Talkrunden wirst du mit einem Mann konfrontiert, der ein reines Vergnügen daran hat, zu polemisieren. Oft verbunden mit einem verschmitzten Lächeln. Mal was ganz Persönliches, Privates, mal Neckisches, mal Angreifendes, mal andere Politiker Charakterisierendes, mal nur Spaßiges, mal Orientierendes, mal weniger Konstruktives oder Zweifelhaftes. Für jedermann etwas? Amüsanteres als in anderen Bibeln?

Im Vorwort kündigen die beiden Herausgeber und einstigen DDR-Bürger an, der Werdegang und die Aussagen des Gregor Gysi mögen die „Massen ergreifen“. Denn schließlich sei das Buch aus einem Scherz heraus entstanden und werde nun zur „materiellen Gewalt“. Und tatsächlich. Ergriffen ist so mancher bei der Verkündung, Die Linke sei eine pluralistische Partei und jeder dürfe, wie er wolle und je nach Belieben seine Meinung sagen. Eine Einheitstheorie gebe es nicht mehr. Gregor Gysi macht es vor. Pickt man sich aus seinen Zitaten die Rosinen heraus, dann triffst du als gewiefter Politikkenner auf so manche bekannte Aussagen. Denen bist du bereit, auf dem holprigen Weg in eine Zukunft ohne weiteres zu folgen. Wer wollte zum Beispiel bestreiten, dass der Wert jedes Einzelnen und seine freie Entwicklung seinen Wert habe. Oder dass das Ende der Geschichte noch nicht erreicht ist. Dass es um eine bessere Welt gehe. Dass der Krieg nach 1989 nach Europa zurückgekehrt ist. Dass es keine Versöhnung mit dem Kapitalismus gebe. Dass man sozialistische Politik neu durchdenken müsse. Dass er persönlich stolz sei auf solche Köpfe wie Karl Marx, August Bebel, Wilhelm und Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Clara Zetkin - „fantastische Namen der Geschichte der Linken und Deutschlands“. (Seite 136) Herzlich zustimmen möge man dem Autor auch für die Aussage, er sei Sozialist, weil „der Kapitalismus Kriege verursacht, von Kriegen lebt, und schon so lange so viel an Kriegen verdient wird“. (S. 139) Als historische Leistungen des Sozialismus bezeichnet Gregor Gysi die „Abschaffung des Kolonialsystems, die Niederschlagung des deutschen Faschismus“ und eine in der Geschichte einmalige Reduzierung sozialer Unterschiede. (S. 142/143)

Hallo! Stutzt da nicht mancher Leser? Woher kam die „Reduzierung“? War das nur so ein Einfall einer endlich nichtkapitalistischen Regierung in der DDR? Hatte sie nur den Antifaschismus im Auge? Oder hatte sie nicht grundlegend aufgeräumt mit einer Macht, die den Völkern erneut haarscharf weltweit zu schaffen macht? Daran sei doch zuerst zu erinnern. Gysi räumt auf Seite 144 ehrlicherweise ein, „vieles an diesem Gesellschaftssystem ist noch unzureichend aufgeklärt...“. Desto mehr verwundern Begrifflichkeiten des Gregor Gysi, die die DDR-Geschichte auf Kürzel reduzieren und den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang subjektivistisch verschleiern sollen: Staatssozialismus, Politik der Repressalien, Kommunismus sowjetischer Prägung, administrativ-zentralistischer Sozialismus.

Keine Frage: So werden härteste Klassenkampfbedingungen, unter denen der Aufbau einer Alternative zum kapitalistischen Nachkriegsdeutschland mühevoll herzustellen war, einfach negiert, unter den Tisch gefegt.

Weder im Buch „Aufstieg links?“ noch in dieser kleinen roten „Bibel“ fragt der Zitatengeber nach dem Grundlegenden, der Überwindung der Macht des Kapitals in der DDR von Anbeginn. Wie auch, wenn die Linke ökonomische Gesetzmäßigkeiten durch Reformen zur friedlichen Überwindung des Kapitalismus außer Kraft setzen will und mit der Illusion einer Ideologie der Transformation versucht, „eine Mehrheit der Menschen in unserem Land von unserem Weg zu überzeugen“. (S. 5cool Da knüpft man „anpassungsfähigerweise“ nicht an die größte historische Errungenschaft der DDR an.

Und wovon sollen „die Massen“ denn überzeugt werden? Wohin soll die Reise gehen? Dazu noch ohne wissenschaftlich begründete Theorie? Ohne Kompass? Was „die Massen“ wollen, ist doch schon heute sonnenklar: Kriege lehnen sie ab. Und eine andere Wirtschaftsordnung können sie sich – laut Umfragen – ebenso vorstellen. Muss man da auf die Zustimmung derjenigen warten, die im globalen Maßstab nur an Profit interessiert sind, die an Kriegen verdienen, wie Gregor Gysi feststellt? Im Gegenteil: Die husten dir eins. Mit illusionären frommen Wünschen ist also kein ewiger Frieden herzustellen.

Alles im Allen: Das rote Minibuch spielt dem Neoliberalismus, der Ideologie des Kapitals, in die Hände. Die Zitatensammlung nährt - trotz geäußerter wünschenswerter humaner Ziele - die Illusionen einer friedlichen Wandelbarkeit des Kapitalismus. Transformation des Sozialismus in die verkommene und krisenhafte alte Gesellschaftsordnung – diese stark rosarot eingefärbte Wunschvorstellung spricht jeglichen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Entwicklungsgesetze der menschlichen Gesellschaft Hohn. Ein Verwirrspiel für jedermann? Ganz im Sinne des Pluralismus? Jeder hat seine Sicht, aber nicht jeder sieht etwas? (Polnischer Aphorismus) Ist das rote Eulenspiegelbüchlein nun doch nur eine Bibel für Gläubige und wenig Wissende? Oder mehr ein Scherz der Herausgeber, wie im Vorwort angekündigt? Ein Buch nur der Witzigkeit und der Polemik wegen, das letztendlich in die nicht aufklärerische Sackgasse führt? Bleiben somit kluge Erkenntnisse im Ungefähren stecken, versinken sie nicht im mentalen und Gleichgültigkeit erzeugenden Sumpf pluralistisch gewollter Beliebigkeiten?

Der Rezensent hält sich da besser an Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP. Der schreibt in der jungen Welt vom 02. Oktober 2015 unter der Überschrift „Besser als der beste Kapitalismus“ u.a.: „Mangelhafte Analyse ist auch mit Blick auf das kapitalistische Deutschland in seiner politischen Form der bürgerlichen Demokratie festzustellen. Da wird nicht mehr nach seinem Wesen als Herrschaft des Kapitals bzw. des Monopolkapitals gefragt, und über die Fragen der Macht zu reden, gilt als unfein. Das entwaffnet die Linkskräfte, lässt sie durch ihre bloße Parlamentsfixierung verkümmern.“

Danke den Herausgebern für erneute Offenbarungen:

Hanno Harnisch, geb. 1952, studierte Philosophie in Rostow am Don und in Berlin; arbeitete als Journalist (DT 64 und Neues Deutschland) und als Pressesprecher der PDS, aktuell bei der Linksfraktion im Bundestag; lebt in der Prignitz.

Olaf Miemiec, geb. 1968, studierte Philosophie und Logik in Leipzig und promovierte dort; arbeitet für die Linksfraktion im Bundestag und lebt in Berlin.

Hanno Harnisch und Olaf Miemiec (Hrsg.): „Worte des Vorsitzenden Gregor Gysi“, Eulenspiegel-Verlag, 160 Seiten, 7,5 x 10,5 cm, broschiert, sofort lieferbar, ISBN 978-3-359-02490-3, Preis: 10,00 €

Erstveröffentlichung dieser Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung.

http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22420

Weitere Texte des Rezensenten:

Harry Popow: „WETTERLEUCHTEN - Platons erzürnte Erben haben das Wort“. Rezensionen, Essays, Tagebuch- und Blognotizen, Briefe – ein Zeitdokument“, Verlag: epubli GmbH, Auflage: 1 (18. Dezember 2015), Berlin, 392 Seiten, www.epubli.de , ISBN-10: 3737580650, ISBN-13: 978-3-7375-8065-6, Preis: 21.99 Euro

Harry Popow: „In die Stille gerettet. Persönliche Lebensbilder.“ Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3

Thema: Göttinnen im Zorn
pomme

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Göttinnen im Zorn 02.02.2016 18:53 Forum: Nachrichten und Zeitgeschehen

„Patriarchat und Kapital“ - Maria Mies

Göttinnen im Zorn

Buchtipp von pomme

„Niemand liebt dich so wie ich...“ Wer kennt das noch, das tolle Lied von Manfred Krug, damals in der DDR? Er hatte sich davongemacht, aber seine Lieder und Texte sind manchem noch heute im Herzen. Die Liebe. Mann und Frau. Seite an Seite. Ob auf dem Felde oder in Betrieben oder in Redaktionen. Und die Ehrungen und die Hochachtung vor den werktätigen Frauen. Ungern wurden sie als Hausfrauen zurückgelassen. Arbeiten war auch ihnen nicht nur Last, sondern Lust, da sie einen Sinn ergab. Nicht nur des Geldes wegen. Nicht zu unterschlagen: Die Förderung, besonders der Frauen, in der Bildung. Dazu kostenlose Kindertagesstätten. Voll bezahlten Schwangerschaftsurlaub. Und, und, und... Nie hat es eine soziale Ausgrenzung gegeben. Und die Blumen zum Frauentag. Kamen sie nicht etwa aus den Herzen der Männer? Und die Brigadefeste.

Trotzdem: Die Mühen der Ebenen waren gerade erst in Fahrt gekommen, da überstülpte uns der Kapitalismus mit erneuter Ausbeutung von Männern und Frauen. Die mit großer Anstrengung durch die Arbeiter-und-Bauern-Macht erzielte Harmonie im Volk, was die Regel war, wich der erneuten Ausbeutung und Unterbezahlung und Unterdrückung von Frauen. Elende Stellungssuche! Nun stand wieder im Vordergrund: Frauen ran an den Kochtopp. Die Entwürdigung nahm ihren Lauf und hält an...

Ein Buch mit dem Titel „Patriarchat & Kapital“ über die Befreiung der Frauen von Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt kann nicht aktueller sein als gerade heute, im Jahre 2016, in einer Zeit, da Kölner und Hamburger Willkürakte und Vergewaltigungen von Frauen Deutschland und die Welt erschüttern.

Die Autorin: Maria Mies. Emeritierte Professorin in der Fachhochschule Köln. Mit ihren Studentinnen gründete sie 1976 das erste Frauenhaus in Deutschland. Seit 1985 engagiert sie sich im feministischen Kampf. Hut ab vor dieser starken Frau. Es sei ihr wichtigstes Buch, schreibt sie. Es sei 1986 in London und 1988 im Rotpunktverlag in Zürich veröffentlicht sowie 2015 im bge-verlag erneut aufgelegt worden. Wie kann es anders sein – mit einem neuen Vorwort. Voll auf die heutige Zeit zugeschnitten. Als neue Rahmenbedingungen – vor allem seit 1989 – nennt sie die Ideologie des Neoliberalismus, das gesteigerte Profitstreben des Imperialismus, den weltweiten Siegeszug des Kapitalismus, Internet und neuerliche Kriege, Terrorismus, neue Feindbilder. (Seiten 9-11) Dazu zählen auch die kulturellen und ethnischen Konflikte, die oft und zunehmend mit physischer Gewalt einhergehen.

Das Buch sei eine Frucht des Zorns, schreibt sie. Darüber, „dass auch in den sogenannten fortschrittlichen Ländern Frauen Opfer von Diskriminierung und Gewalt sind“. Doch sie wollte mehr, nämlich die Geschichte dieses frauenfeindlichen Systems, seine tieferen Ursachen und seine Erscheinungsformen erforschen. Es war ihr klar, dass Zorn zwar wichtig ist, dass man aber „ohne theoretische Begründung nicht zu einer Veränderung dieses Systems“ in der BRD kommen könne. (S. 1) Auch bloße Appelle und Boykottmaßnahmen seien wenig hilfreich.

Ihr Ausgangspunkt: Viele junge Menschen sehen mit Angst in die Zukunft. Der Kapitalismus zerstört die Natur, provoziert Kriege, vergrößert die Kluft zwischen Arm und Reich und setzt durch seine stets wachsende Akkumulation von Geld und Profit für alle späteren Generationen die Zukunft aufs Spiel. (S. 16)

Ihre Suche nach Quellen und Beispielen begann nicht bei Büchern, betont die Autorin, sondern bei Reisen in die Welt, vor allem bei einem Aufenthalt in Indien in den Jahren 1963 bis 1968. So erweiterte sie ihren Horizont durch eigene Erfahrungen bei nationalen und internationalen Tätigkeiten und Verbindungen.

In den Kapiteln 1 bis 7 geht es um den Feminismus, die sozialen Ursprünge der geschlechtlichen Arbeitsteilung, die Kolonisierung und Hausfrauisierung, die internationale Arbeitsteilung, die Rolle der Gewalt, die des Sozialismus sowie um Gedanken zu einer künftigen Gesellschaft.

Warum aber Patriarchat? Maria Mies gibt sich mit der Lektüre der Klassiker des Marxismus/Leninismus (Marx, Engels, Zetkin, Luxemburg, Lenin) nicht zufrieden, denn, so meint sie, diese hätten der Frauenbewegung nicht genügend Raum gegeben, zumal das Verhältnis Männer zu Frauen seit Urzeiten eine dominierende Rolle spielt. Auf Seite 7 notiert sie, dass die Männer in vor-patriarchalen Gesellschaften wussten, „dass die Mütter der Anfang menschlichen Lebens sind...“ Sie waren die Große Göttin. Nicht so in patriarchalen Gesellschaften. Sie verweist auf den griechischen Philosophen Heraklit (500 v.u.Z.), der schrieb: Der Mann als Krieger sei der Vater aller Dinge, er gilt als Anfang des Lebens. Er sei der „Macher“ (Patriarchat: Herrschaft der Väter.) Und daraus zieht die Autorin den Schluss: „Die ganze moderne Technologie, insbesondere die neue Kriegstechnologie, beruht bis heute auf diesem Männerbild.“ Nicht die größere Körperkraft mache die Männer zu Herren über Frauen und die Erde, nicht die Anatomie, sondern die Gewalt.

Sehr interessant zu lesen sind in diesem Zusammenhang die Rückblicke in die Geschichte, in die Zeit der Jäger und Sammler, des Mittelalters mit Hexenverbrennungen, in die Zeit des Feudalismus und des Frühkapitalismus. Sie teilt die Erkenntnis von Frauen, dass Vergewaltigungen, das Schlagen von Frauen, das Quälen und die Belästigungen, „nicht nur Ausdruck abweichenden Verhaltens seitens eines Teils der Männer waren, sondern wesentlicher Bestandteil des ganzen Systems der männlichen oder eher patriarchalen Herrschaft über Frauen“ sind. (S. 65)

Wenn die Autorin auf Seite 25 betont, die Frauenfrage müsse im Kontext aller sozialen Verhältnisse begriffen werden, dann stellt sich die Frage, warum sie Gewalt und Waffen als die dominierenden Ursachen für diese Fehlentwicklungen hinsichtlich der Frauenunterdrückung bezeichnet? Ja, sie warnt, der Akkumulationsprozess zerstöre „überall das Innerste des menschlichen Wesens“. Sind also ihrer Erkenntnis nach die Waffen schuld am Verhängnis? Man entreiße also, um das mal ganz banal auszudrücken, den Herrschern ihre Mordinstrumente, den Jägern ihre Schusswaffen, den Truppen ihre Raketen, und schon könne man eine Veränderung des Systems erreichen? Auf den Punkt bringen wir das Problem, wenn wir uns auf der Seite 295 die folgende Frage der Autorin im Zusammenhang mit Befreiungskämpfen und der Teilnahme von Frauen daran, ansieht: „Oder genügt es zu sagen, dass es einen grundlegenden Unterschied zwischen einem Krieg, den eine Nation oder ein Volk für seine Befreiung von imperialistischer und kolonialistischer Abhängigkeit führt, und einem Krieg zwischen Imperialisten gibt?“

Wer an dieser Stelle nicht nach ökonomischen und politischen Interessen fragt, läuft mit jeglichen Analysen in die Sackgasse. Sicher, Gewalt hat seine Ursachen, und wer Waffen benutzt, hängt von den jeweiligen persönlichen und Klasseninteressen ab. Eine Waffe hat keinen Klassencharakter. Sie kann ein Angreifer benutzen und ein Verteidiger. Das ist wohl zu unterscheiden. Deshalb führt auch jeder schematische Vergleich Kapitalismus/Sozialismus in die Irre. Keiner bezweifelt, dass nach der Befreiung von Ausbeutung die Beziehungen zwischen Mann und Frau als patriachalisches Verhältnis nicht automatisch liquidiert ist. Dazu bedarf es einer langen moralischen und kulturellen Erziehung, bei der die Frauen in der gewonnenen Freizeit „den müßigen Männern ein Gefühl von Sinn, Realität und Leben vermitteln sollen“. Denn von deren Kreativität, so die Autorin, sei „weiß Gott nicht viel zu sehen“. (S. 366)

Wenn Maria Mies von Alternativen schreibt, dann geht sie – ganz im Gegensatz der marxistischen Klassiker und zahlreicher gegenwärtiger Autoren, nicht von einem weiteren industriellen Wachstum und der unendlichen Befriedigung menschlicher Bedürfnisse aus, denn die Ressourcen seien alle sehr begrenzt. Insofern plädiert sie für Selbstversorgung, für eine Subsistenzproduktion (für sich selbst), dafür, nicht nur als Konsummarionetten zu dienen, sie nimmt Stellung gegen die  zunehmende Brutalität in den sozialen Beziehungen, will dem dreisten Sextourismus ein Ende setzen. Sie wünsche sich die Absage an die Ausbeutung (S. 36cool und ein Ende der zerstörerischen Überproduktion. (S. 387)

„Patriarchat & Kapital“ ist hinsichtlich der großen internationalen persönlichen Erfahrungen der Autorin an der Seite der Feministinnen aus aller Welt eine Fundgrube neuer Erkenntnisse. Es ist gleichzeitig eine Perle der Streitbarkeit, ein Rebellenbuch, indem es gänzlich neue Fragen einer möglichen Zukunft ohne Ausbeutung und Unterdrückung ins Rampenlicht stellt. Zu wünschen ist, dass dieses großartige Buch seine interessierten und nach tieferem Wissen strebenden Leser – Frauen und Männer – findet. Solange die Zukunft eine Vision bleibt, sollten die GROßEN GÖTTINNEN ihrem Zorn die Tat hinzuzufügen, an der Seite des anderen Geschlechts.

Mögen begnadete Männer schon jetzt, bevor eine andere und gerechtere Gesellschaft in Sicht ist, zu ihren GROßEN GÖTTINNEN den Text des anfangs genannten Liedes, gesungen einst von Manfred Krug, fortsetzen: „All mein Leben, all mein Lieben, nimm es hin, bin Sklave dir, du Königin.“

Maria Mies: Taschenbuch: Gebundene Ausgabe: 420 Seiten, Verlag: bge-verlag (22. Juni 2015), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3945432014, ISBN-13: 978-3945432013, Größe: 14,2 x 3,2 x 21,1 cm, 24,90 Euro


Weitere Texte des Rezensenten: http://cleo-schreiber.blogspot.com

Harry Popow: „WETTERLEUCHTEN - Platons erzürnte Erben haben das Wort“. Rezensionen, Essays, Tagebuch- und Blognotizen, Briefe – ein Zeitdokument“, Verlag: epubli GmbH, Auflage: 1 (18. Dezember 2015), Berlin, 392 Seiten, www.epubli.de , ISBN-10: 3737580650, ISBN-13: 978-3-7375-8065-6, Preis: 21.99 Euro

Harry Popow: „In die Stille gerettet. Persönliche Lebensbilder.“ Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3

Thema: Gysis Bekenntnisse
pomme

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Gysis Bekenntnisse 26.11.2015 14:07 Forum: Bücher und Printmedien

Gregor Gysi „Ausstieg links? - Eine Bilanz“ – von Stephan Hebel

Gysis Bekenntnisse

Buchtipp von pomme


„Deutschland im Tiefschlaf?“ Nach der Lektüre dieses interessanten Sachbuches von Stephan Hebel, in dem er dafür plädiert, „den Kapitalismus in seiner heutigen Form zu überwinden“ (S. 20), es sei Zeit für einen neue Wende, verfolgte mich ein Albtraum: Ein Riesenschiff auf hoher See. Passagiere, die sich aus einem anderen Schiff, das wegen eines Lecks in Seenot geraten war, hierher gerettet hatten. Bange Frage: Wohin geht die Fahrt? Alle Blicke richten sich auf die Kommandobrücke. Da steht sie, die sich die Elite nennt. Man redet, quasselt und jeder mischt mit. Aber ans Steuer darf niemand. Einer der Geretteten tut sich durch herzhafte Worte und viel Witz hervor. Er verspricht einen neuen Kurs, einen Westkurs, aber mit neuer Besatzung. Mit einem Riesenbesen fegt er alles ehemals wohl Errungene hinweg, unterbrochen vom Jubel... Indessen wird das Steuerrad von anderen fernbedient. Man sieht sie nicht. Wohin geht die Reise?

Das Erwachen! Gott sei Dank. Ich lese das Buch: „Ausstieg links? Eine erste Bilanz“. Geschrieben von dem oben genannten Autor Stephan Hebel. Er muss es eilig gehabt haben, denn nun suchte er sich einen Mann, der nicht aus dem Tiefschlaf gerissen werden brauchte. Einen, der hellwach im Politischen seit 1989 das Zepter schwingt, ein Jurist, ein Linker, der mit Witz und Humor ebenfalls nach der Überwindung der Herrschaft des Kapitals strebt: Gregor Gysi. Es ist ein Interview, ohne eine „großangelegte Biografie“ bieten zu wollen. Zwei Gleichgesinnte im Disput. Spannend!

Wie gut können sich DDR-Bürger an seinen ersten Fernsehauftritt erinnern, als er das von der DDR-Regierung beschlossene Reisegesetz als unzureichend kritisierte und davon sprach, zur Weltanschauung gehöre die Möglichkeit, sich die Welt auch anzuschauen. Welch ein frischer Atem wehte uns da entgegen. Wenig später schwang er allerdings einen Riesenbesen, um allen Resten einer zu großen Engherzigkeit im Umgang mit dem Volk den Rest zu geben. Dass er damit auch den Kompass einer wissenschaftlichen Kursorientierung mit über Bord warf, das wollte niemand sehen. Auch nicht zu bewegen „waren die anderen“, einen neuen deutschen Staat zu bilden, „der die Rechtsnachfolge sowohl der DDR als auch der BRD antritt“. (S. 122)


Allein diese Aussagen im Interview mit Gregor Gysi herausgepickt zu haben, ist bemerkenswert für den Standpunkt des Autors. Überhaupt, das Interview mit dem schlagfertigen und geistvollen Gysi, einer der Hoffnungsträger zur Zeit des Umbruchs (sprich Konterrevolution, vom Resultat ausgehend. Der Rezensent) 1989, liest sich spannend. Geht der Autor mit seinen 107 Fragen (falls ich richtig gezählt habe) sowohl auf sehr persönliche Fragen des Interviewpartners ein, sondern auf jene, die wohl am meisten unter den Nägeln brennen? Was habe sich zum Beispiel seit dem Einzug der Linksfraktion in den Bundestag in der Politik geändert?

Gysi antwortet offen und ehrlich, wie es seine Art ist, manchmal mit einem Schmunzeln, wie aus dem Text abzulesen ist, als auch mit gehöriger Selbstkritik. Unumwunden bekennt er, dass noch längst nicht Ziele der Linken erreicht sind, obwohl durch den Einzug in den Bundestag das Ansehen und die Akzeptanz der Partei Die Linke enorm zugenommen habe. Was nicht heißen soll, dass sie bereits genügend Durchschlagskraft besitze. Nur zu oft komme Kritik von ideologischen Mitstreitern wie von Sympathisanten und internationalen linken Kräften, es fehle eine klare politische Orientierung, die nicht so sehr auf Anbiederung beim Kapital und marktkonformen Politikern aus ist, sondern auf eine eigenständige Alternative zum gegenwärtigen Kapitalismus.

Auf die Frage Stephan Hebels nach den Motiven des Interviewpartners, weshalb er wegen allgemeiner Skepsis gegenüber dem Staat DDR nicht in den Westen abgehauen sei, führt der Politiker und loyale DDR-Bürger lediglich drei Gründe an: Die antifaschistische Ausrichtung der DDR, die nötige Fürsorge für seinen Sohn sowie seine enge Einbindung in die Rechtsorgane der DDR. Weshalb Gregor Gysi dabei die besonders antikapitalistische Ausrichtung der Politik der DDR, das eigentliche „Verbrechen am Kapital“, wie bürgerliche Kreise wiederholt gejammert haben, als persönliche politische Grundhaltung außen vor gelassen hat, möge möglicherweise in seinen Memoiren, die er noch schreiben wolle, an den Tag treten.

Wer will das bestreiten: Der Wunsch, auch den Mittelstand im Westen Deutschlands mit ins Boot zu holen und für linke Politik zu erwärmen, spielte der Spaltung der Linken und deren Abkehr von grundsätzlichen Positionen in die Hände. Man stelle sich vor, aufgrund vieler Unfälle auf den Straßen wolle man die zwingende Straßenverkehrsordnung abschaffen. Auch die wissenschaftliche Weltanschauung der Klassiker des Marxismus-Leninismus biete kein Szenario für gesellschaftliche Unfälle, es sei denn, man fährt blind und lediglich profitgierig durch die Lande. Schließlich hat die Lehre der Klassiker noch nie ein Dogma dargestellt. Und niemals hat jemand behauptet, jegliche Widersprüche im Sozialismus seien mit der Herrschaft des Volkes sozusagen vom Tisch. Im Gegenteil – es seien Zweifel am richtigen Weg, an der Methode des Vorgehens, also demokratische Mitbestimmung haushoch gefragt.

Darin mögen auch die Gründe liegen, dass der anerkannte Politiker die Werte der DDR-Gesellschaft u.a. auf Kinderferienlager und soziale und kulturelle kluge Bedingungen reduziert. DDR-Bürger mit eigenen Erfahrungen würden zum Beispiel die Bemerkung „diktatorischer Sozialstaat“ nicht ohne Widerspruch hinnehmen. Übrigens schade, dass der Autor Stephan Hebel keinen Gedanken daran verschwendet, dass man aus dem Tiefschlaf in Deutschland nur herauskomme, wenn auch die Geschichte und die Existenz der DDR gebührend wissenschaftlich und seriös analysiert würden. Geschichtsaufarbeitung ohne Häme, sondern mit Hochachtung für das Volk der DDR – ohne das gibt es halt keine Zukunft, keinen demokratischen Sozialismus.

Stephan Hebel ist zu danken, im Interview keine noch so widersprüchlichen Aussagen unter den Tisch gekehrt zu haben. Einerseits wird gemeinsam festgestellt, der Profit herrsche über allem, die Linke habe den Vorzug, komplex zu denken, ernster müsse man auch in Europa die soziale Frage nehmen, man solle mehr darüber nachdenken, was der demokratische Sozialismus sein könnte. Natürlich sei die Friedensfrage sehr wichtig. Er, Gregor Gysi, habe das System in der DDR als Ganzes nie in Frage gestellt. Der Kalte Krieg der CDU/CSU gegen die Linke sei nicht mehr zeitgemäß. Die Bundeskanzlerin habe kein Konzept für Europa und für die Weltpolitik. Gysi sei in die Politik gegangen, um gesellschaftliche Veränderungen zu erleben. Es brodelt in der Bevölkerung, man müsse „abwarten und vorbereitet“, gegenüber den USA nicht so hasenfüßig sein.

Das sind Positionslichter. Sie drohen allerdings zu erlöschen, liest man folgende sehr subjektive Äußerungen des Interviewpartners, die nicht jeder nachvollziehen würde, auch ich nicht. Er meint, sich vornehmlich einer Fremdregulierung des Lebens in der DDR zu erinnern. Er sei allergisch gegen politische Ausgrenzung (nachvollziehbar!), gegen Parteiverfahren (die gibt es überall!), gegen bestimmte harte Formen. Das könne allerdings in einer „weniger autoritären Struktur“ auch ein Problem werden. (S.12cool Was die Wirtschaft betreffe, so plädiere er für kleinere Konzerne. Es herrsche in der Politik Demokratie (?), in der Wirtschaft aber kaum. Und dann plötzlich dieser Satz von Gregor Gysi: „Wenn die Wirtschaft regiert, ist das auch undemokratisch“. (S. 163) Er wolle eine plurale Partei und wolle nie mehr eine „Einheit und Reinheit der Partei“. (S. 12cool Schließlich sein sehr persönliches Bekenntnis auf Seite 12 im Vorwort: „Ein Revolutionär war Gregor Gysi nie, und er macht daraus keinen Hehl.“

Das Letztere war auf Grund der bisherigen Bekenntnisse des Gregor Gysi – ob in den Medien oder in Talk Shows – auch nicht zu erwarten. Insgesamt stellt das Buch „Ausstieg links?“ eine interessante Lektüre dar, wenn nicht sogar ein wichtiges Zeitdokument, die Geschichte der SED/PDS und der Linken und die Leitlinien ihrer ideologischen Ansichten und auch Versäumnisse zu verdeutlichen. Es ist ein Lernbuch über eine Zeit des Umbruchs zur Rückkehr des Kapitalismus auf gesamtdeutschem Boden. (Leider!)

Wenn Autor und Interviewpartner auch sehr links nach vorne denken, sie bleiben beide in der Illusion eines friedlichen Wandels des Kapitalismus hin zu einer sozialistischen Gesellschaft (Transformation) stecken, was desto mehr eine Vereinigung aller linken Kräfte in der BRD geradezu herausfordert. So stellte Patrik Köbele auf dem 21. Parteitag der DKP fest: “Die Existenz einer Linksfraktion im Bundestag sei »gut«. Sie sei dort die einzige Gruppierung, die sich meist noch den Kriegseinsätzen des deutschen Imperialismus beziehungsweise der NATO entgegenstelle. Gleichzeitig gebe es Kräfte bis in den Bundesvorstand und die Fraktion hinein, »die nicht nur schwanken, sondern die sich öfter auf die Seite der Kriegskräfte drängeln wollen«. Die DKP habe keine Patentrezepte, wie der Marsch des Imperialismus in die Barbarei zu stoppen sei. Ohne die Analyse und Beiträge von Kommunistinnen und Kommunisten werde es aber keine erfolgreichen Konzepte geben. (junge Welt vom 16.11.2015)

Der eingangs erwähnte Albtraum? Auch im vereinzelten Wachzustand bleibt alles beim Alten. Geht der Tiefschlaf trotz allem weiter? Die Wende lässt auf sich warten. Noch! (PK)

 
Stephan Hebel: „Gregor Gysi - Ausstieg links? Eine Bilanz“, Broschiert: 224 Seiten, Verlag: Westend (5. Oktober 2015), ISBN-10: 3864891167, ISBN-13: 978-3864891168, Preis: 16,99 Euro.

Erstveröffentlichung dieser Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung.
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22286
Weitere Texte des Rezensenten:
http://cleo-schreiber.blogspot.com

Harry Popow: „Platons Erben in Aufruhr. Rezensionen, Essays, Tagebuch- und Blognotizen, Briefe“, Verlag: epubli GmbH, Berlin, 316 Seiten, www.epubli.de , ISBN 978-3-7375-3823-7, Preis: 16,28 Euro

Harry Popow: „In die Stille gerettet. Persönliche Lebensbilder.“ Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3

Thema: Kriege im 21. Jahrhundert
pomme

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Kriege im 21. Jahrhundert 27.07.2015 15:17 Forum: Bücher und Printmedien

„Kriege im 21. Jahrhundert: Neue Herausforderungen der Friedensbewegung“

Monster-Geschwister


Buchtipp von pomme


Da schreckt ein Kaffeekränzchen plötzlich hoch als in Nachbars Garten ein Schuss fällt. Da reißt es aber keinen unbedingt vom Stuhl, wenn man am 1. Juli 2015 in der „Linken Zeitung“ vom 1. Juli 2015 folgende Sätze des US-Autors Stephen Lendman (1) online zu lesen bekommt: Gegenwärtig erlebe man „die gefährlichste Epoche der Weltgeschichte“. Die von den USA „beherrschte Tötungsmaschine NATO ist ein außer Kontrolle geratenes Monster, das eine wahnsinnige Strategie verfolgt. Der Weltfrieden ist bedroht, wie nie zuvor. Das Schicksal der Menschheit steht auf Messers Schneide. In imperialer Arroganz riskieren die USA und die NATO den atomaren Weltuntergang.“
 
Wer dabei unbelehrbar nach wie vor den Kopf schüttelt und mit den Schultern zuckt und dennoch einen wachen politischen Blick behalten will, dem sei das Aufsehen erregende politische Sachbuch mit dem Titel „Kriege im 21. Jahrhundert. Neue Herausforderungen der Friedensbewegung“ aus dem Sonnenberg Verlag, herausgegeben von Rudolph Bauer, wärmstens ans Herz gelegt.
 
Die Beiträge in diesem Band fußen auf Vorträgen während einer Tagung der Initiative Antikriegskonferenz (AKK) im Oktober 2014. Deren Ziel war es u.a., „das antimilitaristisch-kritische Bewusstsein zu schärfen und die außerparlamentarische Antikriegsbewegung zu stärken“. (S. 35)
 
Wenn der kriegsvorbereitende Zustand als normal empfunden wird, dann kann die Politik samt ihrer hörigen Medien bei unbedarften Lesern und Hörern einen Erfolg verbuchen. Anders diejenigen, die sich empört abwenden von Krieg und Kriegsgeschrei, die mit Wort und Tat dagegenhalten – und das sind „Millionen Menschen in der Bundesrepublik und in Europa, die keine Kriege befürworten, keine unterdrückerische Politik (wollen), keine ausbeuterische Ökonomie, kein die nationalen Grenzen überschreitendes Militär und keine Geheimdienste, welche sich öffentlicher demokratischer Kontrolle entziehen“. (S. 337)
 
Werden sie die Kraft und den Willen haben, das Säbelrasseln nicht nur in die Schranken zu weisen?
 
Der interessierte Leser wird aus diesem Buch die Erkenntnis gewinnen, dass es höchste Zeit ist zum Widerstand. Der dürfte nicht leicht fallen, denn die Bundesregierung vertuscht ihre Kriegsvorbereitungen, indem sie das Militärische zur Normalität erklärt. Das Verbrecherische hat also einen offiziellen Anstrich. Man soll sich an Krieg gewöhnen. Und die BRD an der Seite der Monster. Als deren Standbein, als deren Aufmarschgebiet gen Osten. Nicht mit Schüssen vorerst, nur mit Drohgebärden, nein, der Kampf gegen die Menschen kommt auf leisen Sohlen. Mit Phrasen und Floskeln, die die Wahrheit in den Dreck treten, mit Lügen und Geschichtsfälschungen, die die Köpfe der Menschen verwirren, die die Willigen und Angepassten möglicherweise wieder an die Waffen rufen könnten.
 
Schon in den Schulen wird vorgegaukelt, wir würden „in der besten aller heute möglichen Welten … leben.“ (S. 14) Auf diese Art flüstert man Kindern und Jugendlichen ein, unbesorgt in die Zukunft zu schauen und der Politik größtes Vertrauen entgegenzubringen. Keiner bezweifelt, dass es vielen Deutschen weder am Essen noch an Zufriedenheitspillen für das tägliche Gebrauchtwerden im kapitalistischen Profit- und Marktgetriebe mangelt – trotz der immer zahlreicher werdenden Streiks und Proteste gegen wachsende Armut und soziale Ungerechtigkeit. Wer aber vernimmt das zunehmende Kriegsgeschrei, die Verlagerung schwerer Waffen gen Osten? Das unter dem nebelhaft verschleiernden Wort von angeblicher Sicherheit erneute Säbelrasseln? Es gerät gar nicht erst ins Blickfeld der im Showtheater sitzenden und selbstgefällig nickenden gut situierten und oft politisch wenig nachdenklichen Mitbürger?
 
Diese 374-seitige Lektüre ist wahrlich nicht die einzige Quelle für die Antikriegsbewegung, was aber dieses Buch auszeichnet, sind die vielfältigen Themen von sechzehn Autoren, die sowohl die Hintergründe der sogenannten Neuvermessung der Welt als auch die auf leisen Sohlen daherkommenden Methoden der Volksverdummung aufs Korn nehmen. Das geschieht mit einer verblüffenden Vielzahl von Fakten und Zitaten, die manchen Leser überfordern könnten, mitunter auch zum Widerspruch reizen, die allerdings auch Hilfestellung geben, sich persönlich und im Verbunde mit Gleichgesinnten zur Wehr zu setzen. Wie hieß es doch? „Nie wieder Krieg“. Heute von den Mächtigen umgewandelt: „Nie wieder Krieg ohne uns.“ (S. 281)
 
Die Kriegsvorbereitungen durch die deutsche Politik am Gängelband der USA werden durch die Autoren von verschiedenen Seiten aus beleuchtet, gegliedert in drei Teile: Militarisierung, Mobilisierung und Einspruch, die sich wiederum u.a. untergliedern in ideologische Aufrüstung in Schulen, die Rolle von Videospielen, das Vermischen von ziviler und militärischer Sicherheit, die soziale Kriegsmobilmachung, die Rolle der Medien als Kriegspartei, die zunehmende Rolle der Geopolitik, den politischen Widerstand, Perspektiven der Friedensbewegung sowie den Zusammenhang zwischen Kriegen, Katastrophen und Kapital.
 
Wie in anderen politischen Sachbüchern, die sich kritisch mit dem kapitalistischen System auseinandersetzen, wird auch in diesem Buch auf ein Phänomen aufmerksam gemacht: Die Herrscherelite vermeidet aus „gutem Grund“ - das offenbart sich tagtäglich in fast allen bürgerlichen Medien - jegliche Ursachenforschung, die die Hintergründe des Profitstrebens und des Kampfes um Vormachtstellungen in der Welt und um Ressourcen aufhellen könnte, mit Recht befürchtend, sie würde dabei ihr eigenes Grab schaufeln.
 
Deren Abwehr gegenüber aller grundsätzlichen Gesellschaftskritik zeigt sich in einer verblümten Sprache, der Verbreitung einer wirklichkeitsfremden Dreifaltigkeit von Frieden, Freiheit und Wohlstand und im Namen von Menschenrechten. Welch ein Hohn! Wer das nicht glauben mag, der lese u.a. auf Seite 330: „Der Selbstbezug westlicher Politik ist geprägt von der Überzeugung, dass ´unsere` Zivilisation und Kultur Ausdruck der höchsten menschlichen Entwicklung ist; dass mithin ´unser`Wirken in der Welt für alle nur segensreich sein kann; dass es ´dem Westen` deshalb auch zustehe, sein Modell des Wirtschaftens und politischen Handelns sowie sein Menschen- und Weltbild der Menschheit überzustülpen, notfalls auch mit militärischer Gewalt.“
 
Diese Anmaßungs- und Arroganzpolitik stinkt zum Himmel. Das Eigene sei also rein, das Andere blutgetränkt. Wir haben mit dem Elend der Welt nichts zu tun, wir wollen aber lindern. Damit seien „Vorkriegsverhältnisse erreicht“. (S. 57) So ist der Ruf nach einem starken Staat zu verstehen, nach Aufrüstung, nach Umdeutung von „Verteidigung“ in „Sicherheit“, deshalb das heuchlerische „Mitgefühl“ mit Flüchtlingen, deshalb der Schulterschluss von Polizei, Geheimdiensten und Militär. In diesem ´Sicherheitskonzept´ spielen „die Bekämpfung der sozialen, ökonomischen und ideologischen Ursachen und Bedingungen von Terrorismus, Gewalt und Kriminalität demgegenüber allenfalls eine untergeordnete Rolle...“ Mit Massenüberwachung, Vorratsdatenspeicherung und militärischer Aufrüstung sei den Konflikten allerdings nicht beizukommen. (S. 147)
 
Auf Seite 342 heißt es zum Widerstand gegenüber dem gefährlich wütenden Großkapital: „Wer sich gegen Militarisierung und Kriege, für Demokratie und Gerechtigkeit engagiert, darf nicht verkennen, dass es das Kapital ist, dessen in wiederkehrenden Krisen einmündende Mechanismen den Frieden bedrohen und totalitäre Bewegungen wie auch Terror und Katastrophen erzeugen.“ Um einen atomaren Zerstörungswahn zu stoppen, beruft sich der Herausgeber Rudolph Bauer auf Marx, es müsse gelingen, die bestehenden Verhältnisse „zum Tanzen zu bringen“. (S. 341)
 
Der Rezensent sieht dieses Buch über die Kriege des 21. Jahrhundert nicht nur als Bildungswerk an, sondern als Anregung zum Umdenken, als Pflichtlektüre für´s demokratische Mitbestimmen. Die sechzehn Autoren wirbeln das politische Show-Gesülze tüchtig durcheinander und lassen aufgeweckte Leute hinter die Kulissen schauen. Nimmt man die Gefahren für den Bestand der Welt ernst, so ist es die menschlichste aller Pflichten, nicht nur dieses Buch, sondern alle geistigen Gegenströmungen in sich aufzunehmen und zu überlegen, was und wie man etwas tun kann, um die scheinbaren Grenzen des Machbaren zu überwinden, vorausgesetzt, man findet die Kraft und hat den Mut zum Verändern. Die eingangs erwähnten Monster-Geschwister, sprich das superreiche Kapital, hat seine Existenzberechtigung längst verloren, es möge durch vereintes – auch außerparlamentarisches – Handeln Schritt für Schritt entsorgt werden.


Autoren: Prof. Dr. Rudolph Bauer (Bremen), Volker Eick (Berlin), Julian Firges (Kassel), Dr. Rolf Gössner (Bremen), Prof. Dr. Franz Hamburger (Mainz), Prof. Dr. Peter Herrmann (Rom), Claudia Holzner (Kassel), Prof. Dr. Sönke Hundt (Bremen), RA Otto Jäckel (Berlin), MdB Ulla Jelpke (Berlin), Dr. Matthias Jochheim (Frankfurt/Main), Prof. Dr. Hans-Jörg Kreowski (Bremen), Dr. Günter Rexilius (Mönch.gladbach), Helmuth Riewe (Ganderkesee), Michael Schulze von Glaßer (Kassel), Prof. Dr. Jörg Wollenberg (Bremen) (PK)
 
(1) „Linke Zeitung“ ergänzt: Stephen Lendman lebt in Chicago. Er ist über lendmanstephen@sbcglobal.net zu erreichen.
(2)
http://www.linkezeitung.de/index.php/aus...welle-russlands
 
Rudolph Bauer (Hrsg.): Kriege im 21. Jahrhundert. Neue Herausforderungen der Friedensbewegung. Friedenspolitische Reihe. Band 01, 2015 Sonnenberg Verlag, 374 Seiten, ISBN 978-3-933264-77-0, Preis: 19,80 Euro
 
Erstveröffentlichung dieser Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung

http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21787&css=print

Weitere Texte des Rezensenten:
http://cleo-schreiber.blogspot.com
 
Harry Popow: „Platons Erben in Aufruhr. Rezensionen, Essays, Tagebuch- und Blognotizen, Briefe“, Verlag: epubli GmbH, Berlin, 316 Seiten, www.epubli.de , ISBN 978-3-7375-3823-7, Preis: 16,28 Euro
 
Harry Popow: „In die Stille gerettet. Persönliche Lebensbilder.“ Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3)

Thema: Zwischen Start und Landung - Autor: Eckhard Lange
pomme

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Zwischen Start und Landung - Autor: Eckhard Lange 06.06.2015 17:04 Forum: Bücher und Printmedien

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Zwischen Start und Landung

Buchtipp von pomme


Zum Autor: Geboren 1936, beendete Eckhard Lange nach 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone in Steinhöfel / Kreis Angermünde die Grundschule, erlernte den Beruf des Landmaschinenschlossers, meldete sich zur Kasernierten Volkspolizei, wurde Segelflieger und ehrenamtlicher Fluglehrer, arbeitete später bei INTERFLUG als Flugzeugmechaniker und Meister und wurde sogar - trotz äußerer und innerer Widersprüche - „Held der Arbeit“. Eckhard Lange hat zwei Töchter und zwei Enkelinnen und hat es schließlich bis nach Namibia geschafft.

Zum Buch: Was kann einem Jugendlichen besseres passieren als dies: Er erwischt eine solide Ausbildung, später sogar einen festen Arbeitsplatz. Wenn er dies noch verknüpfen kann mit einem Wunschberuf, vielleicht sogar mit seinem Hobby, dann sind schon mal etliche Glückswürfel gefallen. Wer schüttelt da den Kopf und stöhnt, da gäbe es wenig Chancen?

Nicht so ein Siebzehnjähriger. Der hatte einst hochfliegende Pläne. Damals zu DDR-Zeiten! Er heißt Eckhard Lange. Heute ist er weit über siebzig. Er hat aufgeschrieben, wie er die Chancen in der neuen Gesellschaftsordnung genutzt hat. Sein Buch nennt er „Zwischen Start und Landung“. Es ist sein Lebensbericht. Ein doppeldeutiger Titel - für Jung und Alt gleichermaßen hochinteressant: Keine Sorgen, ordentlich und solide ausgebildet zu werden. Keine Bange, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Keinen großen Geldbeutel, um schon als Jugendlicher in die Segelfliegerei – seinem ersehnten Steckenpferd – einzusteigen.

Was er dem geneigten Leser präsentiert, das ist nicht nur sein Interesse für die Flugtechnik, nein, das ist auch ein Stück Alltag der DDR. Was dazugehörte: Viel Enthusiasmus, viel Schweiß und Fleiß – verbunden mit so manchen persönlichen Opfern – sowie Charakterstärke, um sich durchbeißen und behaupten zu können. Ob als ehrenamtlicher Segelfluglehrer oder auch als Mitarbeiter bei INTERFLUG, sozusagen im weiten Vorfeld des heutigen Desaster-Großflughafens Schönefeld. Der Alltag vor und während der Wende – ganz aus persönlicher Sicht. Gespickt mit interessanten und lebendig geschilderten Episoden und Eindrücken. Er hilft, Pannen im Betriebsgefüge zu meistern, er wird von seiner Brigade anerkannt, er empfindet Freude und Stolz, erlebt eine gute Kameradschaft zwischen den Arbeitskollegen. Bis eben das Ende der DDR eingeläutet wird. Auch diese bittere Pille schluckt er, der Arbeiter.

Auf 168 Seiten – mit zahlreichen Fotos und Dokumenten illustriert – , erfährt der Leser in diesem Buch den Aufstieg des Eckhard Lange zu einem sinnerfüllten Leben. In diesem authentischen Lebensbericht, aufgeschrieben als Ghostwriter von mir – schildert er, wie er in den Aufwind der neuen Gesellschaft kam, seine Möglichkeiten nutzte und seine verantwortungsvollen Aufgaben mit Bravour meisterte. Wie er, der Flugzeugmechaniker und Segelflieger, nach 1989 im Zenit seines Lebens in Afrika das goldene Segelfliegerabzeichen mit drei Diamanten absolvierte. Wie er, der Fluglehrer, auch heute noch seine Erfahrungen an die Jüngeren weitergibt.

Im Detail: Eine Anzeige in der Zeitung, viele Jahre nach der Wende: Das weltbeste Segelflugzentrum in Namibia sucht einen Werkstattleiter und Motorenwart. Der erfahrene Segelfluglehrer schickt sofort eine Bewerbung nach Afrika. Bevor er Antwort erhält, erinnert er sich seiner Kindheit in Pommern. Er, der neunjährige Eckhard, Sohn eines Landbäckers in Uchtdorf (heute Lisie Pole in Polen) trotzt dem Vater. Er will nicht in dessen Fußstapfen treten. Er will nicht backen, nicht Kühe hüten. Was Technisches soll es sein. Verfolgt mit staunenden Blicken die Flugzeuge, die in diesen End-Kriegszeiten des Jahres 1944 über dem Dorf dahinjagen. Ja, er will später mal fliegen, ebenso wie die da oben. Seine Träume sind hochfliegend in einer Zeit, in der es ums Überleben geht. Sein Vater warnt ihn: „Das ist nichts für dich, bleib auf dem Boden!“ Doch der Trotz in dem Jungen ist nicht totzukriegen.

Endlich die Befreiung. Nach der Flucht aus Pommern ein Neubeginn in der Sowjetischen Besatzungszone. Und nun will der Träumer endlich durchstarten. Wieder trotzt er dem Vater, als dieser ihn ermahnt, dieser Sozialismus würde sich nicht lange halten. Eckhard aber will selbst die Weichen für sein Leben stellen. Er erlernt den Beruf des Landmaschinenschlossers, hält aber weiter Ausschau nach weit oben. Die Kasernierte Volkspolizei, hört er, suche Leute, auch für die Flugausbildung. Er schmettert ihnen ein Nein entgegen, als Werber den jungen Mann an die Grenze schicken wollen. Da ist er wieder - sein Trotz.

Für Kenner der Segelfliegerei besonders spannend: Das Leewellenfliegen über dem Riesengebirge in der damaligen Volksrepublik Polen. Er berichtet – übrigens mit viel Witz und Humor – von seiner ersten großen Entscheidung, „Trapper oder Pilot“ zu werden, von einem „Agenten“ am Straßenrand, von einem Absturz eines Kameraden, von viel Geheimnistuerei um den 13. August 1961 herum, von notwendigen Tüfteleien bei Arbeiten auf Flugplätzen, vom Bergwandern mit Freunden in Bulgarien, von einem „abgehauenen“ Segelflieger, von manchem Schwachsinn und von manchen Illusionen zur „Wendezeit“.

Sein Weg führte ihn nach oben: Nach zahlreichen Qualifizierungen als Fluglehrer und als Prüfer für Luftfahrtgeräte - landet er bei INTERFLUG. Als Mechaniker leistet er eine hervorragende Arbeit. Er erzählt in seinem Buch von Rissen in Triebwerken und wie er das Titanschweißen einführte und so dem Betrieb Millionen Mark der DDR einsparte. Wie er sich schließlich auf einem hohen Podest wiederfand und vom Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker als „Held der Arbeit“ geehrt wurde. Er und seine Kollegen fragten sich angesichts vieler Widersprüche in der Wirtschaftpolitik immer öfter: „Wie hell leuchtet unser Stern wirklich?“ Zur Wendezeit schildert er die vielerorts angetroffene Reg- und Sprachlosigkeit, aber auch die Freude, verbunden mit zahlreichen Illusionen bei vielen Betriebsleuten.

Die Rückschau auf das bisherige Leben wird unterbrochen mit dem positiven Bescheid aus Afrika und der nachfolgenden Schilderung der für ihn noch ungewohnten aber sehr interessanten Erlebnisse in der Wüste. Trotzdem hält der Erzähler Eckhard immer wieder inne und blickt zurück auf seinen nicht leichten aber zielstrebig verfolgten Lebensweg – eine Komposition, die aufgeht. Sie unterstreicht, wie wichtig es für ältere Menschen ist, gebraucht zu werden. Und sie verdeutlicht den hohen Wert des Namibia-Aufenthaltes als einen der Höhepunkte im Leben dieses Meisters der Lüfte. Auch die Sprache in diesem Buch ist schön und hält die Neugier wach. Frank-Dieter Lemke vom Flieger-Club Strausberg resümierte zu diesem Buch: „Eckhard Lange gewährt uns mit seinen ehrlichen Erinnerungen nicht nur einen interessanten Einblick in ein Stück Luftfahrtsgeschichte der DDR, sondern auch in Entscheidungen bei schwierigen Situationen …“


Eckhard Lange: „Zwischen Start und Landung, Gelebt-gearbeitet-geflogen“, ein Lebensbericht, 168 Seiten, Preis: 17,50 Euro – Versandkostenfrei, Juli 2013, Druck und Verlag: dbusiness.de Digital Business and Printing Gmbh, Prenzlauer Allee 174, 10409 Berlin, E-Mail:info@copyhouse.de,www.copyhouse.de, Telefon: 030 44650342. Buchbestellungen bitte über die email Adresse info@copyhouse.de.

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(Der Ghostwriter und Rezensent für das Buch „Zwischen Start und Landung“, Harry Popow, (www.cleo-schreiber.blogspot.com) veröffentlichte außerdem als ehemaliger Reporter und Redakteur der DDR Wochenzeitung „Volksarmee“ seinen autobiografischen Roman mit dem Titel „In die Stille gerettet. Persönliche Lebensbilder“. Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3)

Beide erstgenannten Bücher sind auch zu finden in der „Erinnerungsbibliothek DDR“ e.V. unter http://www.erinnerungsbibliothek-ddr.de/index.htm

Ausserdem veröffentlichte Harry Popow kürzlich:

„Platons Erben in Aufruhr. Rezensionen, Essays, Tagebuch- und Blognotizen, Briefe“, Verlag: epubli GmbH, Berlin, 316 Seiten, www.epubli.de , ISBN 978-3-7375-3823-7, Preis: 16,28 Euro

http://www.epubli.de/shop/buch/PLATONS-E...737538237/44867



Leseprobe (Start und Landung: Seite 29)

Trapper oder Pilot?

Walzwerk Finow. Ein Volkseigener Betrieb. Ich erinnere mich genau. Nach der Lehre als Maschinenschlosser bewarb ich mich in einem Werk, das total neu aufgebaut wurde. Damals brauchte ich keine Klimmzüge machen, wie die Heutigen, um als Junggeselle angenommen zu werden. Welch ein Unterschied zum Lehrlingsbetrieb in Angermünde. Riesige Werkhallen, riesige Kräne. Neue Maschinen, die vom Hersteller selbst aufgestellt wurden. Gabelstapler transportierten große Stahlplatten und Segmente, die von Hand nicht zu bewegen waren. Wir Gesellen gaben Hilfestellung. Sollten doch später völlig selbständig die Wartung und Instandhaltung übernehmen. Mich beeindruckte dieses neue Walzwerk, spürte, welche Kraft davon einmal ausgehen würde, und war richtig froh, dabei mitmischen zu können.

Wie das so ist – aller Anfang ist wirklich nicht leicht. Man sah zum Beispiel, was da noch alles fehlte, aber bereits im Entstehen war: Betriebsküche, Aufenthalts- und Frühstücksräume. Alles noch im Rohbau. Vor allem deshalb hat jeder seine Stullen mitgebracht. Ansonsten gab es in einer Kantine Bockwurst und Suppe. Für mich ungewohnter Schichtbetrieb. Nächste Sorge: Wo sollte ich schlafen? An Unterkünften für die Belegschaft war noch nicht zu denken. Hatte jedoch wieder einmal Glück: In Eberswalde nahm mich ein Schulfreund vom Dorf mit in seine Einraumwohnung zur Untermiete. Seine Wirtin hatte dem zugestimmt. Zum Walzwerk, das am anderen Ende der Stadt lag, fuhr ich mit dem Fahrrad eine dreiviertel Stunde durch die Stadt, abends zurück. Auch in den Wintermonaten. Fiel todmüde ins Bett oder besuchte dann und wann mit meinem Kumpel das Kino. Die Wochenenden verbrachte ich zu Hause in Steinhöfel.

Später kam Nachtschichtbetrieb hinzu. Da wurde alles noch etwas komplizierter. Doch dem Flugwesen war ich noch keinen Schritt nähergekommen. Manche meinten, du spinnst, was willste denn bei den Fliegern, die es doch gar nicht so richtig gibt in der DDR. „Man hat es mir doch versprochen“, entgegnete ich. Aber glaubte ich noch daran? Ich bekam heraus, daß in der Nähe der Stadt ein Flugplatz lag. Auf dem starteten und landeten russische Flugzeuge. Aus der Nähe den Flugbetrieb zu betrachten kam nicht in Frage. Durftest ja nicht näher als fünf Kilometer ran, hatten wir herausgefunden. Doch im Werkgelände gab es einen Turm. Den bestiegen einige Neugierige und ich. Von dort aus ließ sich beobachten, wie Strahlflugzeuge, soviel konnten wir erkennen, rasant von der Startbahn abhoben. Das will ich auch, dachte ich. Und bekam neuen Auftrieb. Allerdings hätte ich diesen beinahe vermasselt. Durch jugendliche Neugier, durch Leichtsinn... Doch dazu später.

Nun war es soweit. Fasste den Entschluss: Jetzt gehst du zum Kreiskommando Angermünde. Meldest dich zur KVP. Freiwillig, das war mir wichtig. Freudig empfing man mich. „Pilot wollen sie werden? Hm? Und was ist mit Grenze?“ Ziemlich energisch verneinte ich ein weiteres Mal. Warum die das nur immer wieder versuchen, mich in eine andere Laufbahn zu drängen? Werden es wohl nötig haben. Doch nicht mit mir. Es bleibt dabei, ich will zu den Fliegern. Wieder ein Hm! „Na, dann gehen sie mal zum Arzt, werden sehen, was sich machen läßt.“ Die Ärztin untersuchte mich. Überaus genau und gründlich. Zu gründlich? Denn sie stellte fest, ich habe Schwierigkeiten, die richtigen Farben auf der medizinischen Farbprüftafel auseinanderzuhalten. Die Farbschwäche stellte ich bereits während der Schulzeit fest. Sie ist vererbbar. Zirka acht Prozent aller Männer und ein halbes Prozent aller Frauen sind davon betroffen. Später habe ich über vierzig Jahre lang bei den Flugmedizinischen Untersuchungen mit diesem Problem gekämpft: mal tauglich, mal bedingt tauglich, mal untauglich. Damit war für mich der Traum eines großen Piloten gestorben. Für den Segelflug würde es aber noch reichen, sagte man.

Beinahe hätte ich unmittelbar nach meinen Gesprächen im Kreiskommando alles, aber auch alles versaut. Denn es gab ein Vorkommnis, wie es offiziell hieß.

Es war im Januar 1956. Ein Arbeitskollege und ich hatten ein paar Tage Urlaub. Anschließend wollte ich im Walzwerk kündigen. Da hatten wir eine tolle Idee: Wir könnten doch mal zur „Grünen Woche“ nach Westberlin fahren. Haben zwar kein Geld, aber irgendwie werden wir das Ding schon schaukeln. Wir von Eberswalde los mit der Bahn und dann mit der S-Bahn weiter und nichts wie rüber Richtung Funkturm. Mein Staunen über die große Stadt Berlin fing schon in Pankow an. Die Häuser, der Verkehr, die vielen Leute. Ich als Dörfler mittendrin. Ein unbeschreibliches schönes und aufregendes Erlebnis. Dann aber am Funkturm. Bekam den Mund nicht mehr zu: Als Ostler hatten wir freien Eintritt. Bestaunte die tollen technischen Geräte. Uhren, Radios. Alles, was das Herz begehrte. Auch große Fotos von Kanada. Von Fallenstellern, von Bärenjagden. Prospekte machten uns an: Kommt herüber! Kommt nach Kanada! Dort könnt ihr auch jagen, wohnen, arbeiten. Im richtigen Urwald. Dazu Bilder von richtig hohen schneebedeckten Bergen. Ich hatte noch nie ein Gebirge gesehen. Das wars doch. Da ging mit einem die Phantasie durch. Plötzlich rief mein Kumpel einen recht übermütigen Satz: „Mensch, das wäre doch was, stell dir vor, wir in Kanada!“ Und schon sahen wir uns mit einem Gewehr im Urwald jagen und fischen, wie ich es in Klein-Steinhöfel gemacht hatte. War ja dort auch „Fallensteller“ und „Fischer“. Oh, diese verlockende Traumwelt im allzu weiten Kanada.

Wir sackten alle bunten und verlockenden Werbebroschüren, die wir greifen konnten. Auch politische. Ein Heft über die DDR habe ich zusammengerollt und in die Tasche gesteckt. Bis Bernau mit der S-Bahn ging alles gut. Keiner achtete auf uns Jugendliche. Wir waren gerade in den Zug nach Eberswalde gestiegen, da sahen wir schon die Männer vom Zugbegleitkommando. Mulmig wurde uns, ganz mulmig in der Magengegend. Eigentlich waren wir sogar naiv. Konnten uns nicht vorstellen, etwas sehr böses getan zu haben, nur weil wir im Westen waren. „Ihre Ausweise bitte!“ „Was haben sie denn da? Na, kommen sie mal mit.“ Langsam mußten wir uns durch den vollen Zug zu einem Abteil der Transportpolizei drängeln. Schön langsam. Ich zuerst, mein Kumpel hinter mir, der Uniformierte als dritter. Mensch, du hast ja noch die Eintrittskarte vom Funkturm, auf dem wir ebenfalls waren, dachte ich mit Schrecken, habe sie zwischen den Waggons weggeworfen. „Vorwärts, vorwärts!“, rief der hinter uns gehende Beamte. Nur eine Station bis Eberswalde. Endlich der Bahnhof. Wir landeten auf der Wache des Zugbegleitkommandos: „Na zeigen sie mal, was haben sie denn da...?“ Packten alle eingeklaubten „Schätze“ von der „Grünen Woche“ auf einen Tisch. „Wollten sie abhauen in den Westen?“ Wir: „Nein, nein, wir hatten nur Urlaub und wollten uns am Funkturm mal umsehen.“ Mein handfestes Argument: Ich werde zur KVP gehen, was soll ich da im Ausland? Das zog offenbar. Wir durften nach Hause gehen, die schönen Prospekte waren futsch.

Mein Schulfreund im Zimmer: „Mensch, pack deine Sachen, hau ab. Dich sperren die ein. Sehe zu, dass du wegkommst aus dem Osten!“ Bekam ich Angst? Schließlich hauten so viele ab, Bauern, Arbeiter, ganze Familien. So ungewöhnlich war das ja nicht. Hand aufs Herz: Ich habe nur paar Sekunden gebraucht zum Nachdenken. Dachte so bei mir: Nee, rübermachen, das willste ja gar nicht. Sehe keinen Sinn darin, was willste denn im Westen? Mein Weg war doch klar, ich wollte doch Pilot werden. Ob ich das drüben erreichen könnte, ist doch fraglich. Die sichere Zukunftsaussicht, die war mir schon sehr viel wert. Also blieb ich. Nicht so mein Arbeitskollege. Der packte im Handumdrehen seinen Koffer und verschwand auf Nimmerwiedersehen.

Ich schicke einen Blick voraus. Als ich wenig später bei den bewaffneten Kräften landete, schrieb mir dieser Arbeitskollege einen Brief. Aus dem Westen! Der erreichte mich aber nie. Er sorgte allerdings für Aufregung! Bei Vater in Steinhöfel und danach in meiner Dienststelle. Musste zum Staatsanwalt. Sollte erklären, wie das alles mit dem Besuch der „Grünen Woche“ zusammenhängt. Ich staunte, was die alles bereits wussten. Hing meine Zukunft am seidenen Faden? Nein, ich wurde lediglich verwarnt. Seitdem hatte ich nie wieder Kontakt mit der anderen Seite. Wollte mit so einem Quatsch keinesfalls mehr anecken. Wozu auch? Das brachte nichts, absolut nichts. Hatte also „Freie Bahn“ für einen neuen Start ins Berufsleben. Ins Fliegerleben? Solche und ähnliche Gedanken kamen mir während des Fluges nach Afrika. Diesmal kein neuer Start in einen neuen Berufsabschnitt, sondern in die Sphäre meines Hobbys. Ausschließlich. Na, schauen wir mal...



Leseprobe ( Start und Landung, Seite 47)

Siegel lädiert, was nun?

April 1959. Am 1. Mai sollte über Leipzig eine Luftparade stattfinden. Die dafür vorgesehenen Jagdflugzeuge wurden nach Klotzsche bei Dresden überführt. Das war der Flugplatz, wo zuvor die von der DDR entwickelten und konstruierten Verkehrsflugzeuge des Typs 152 für einige Zeit gebaut und gestartet waren. Ich hatte als Diensthabender Techniker alle an der Parade teilnehmenden MiG 17 abends an eine Wache zu übergeben und am nächsten Morgen wieder zu übernehmen. Das war die Nacht vom 30. April bis zum 1. Mai. Für die Piloten musste die Gewissheit bestehen, keiner war am Flugzeug und hat daran herummanipuliert. Nicht auszudenken das politische Fiasko: Eine MiG über Leipzig abgestürzt!! Für mich war klar, du mußt sehr gewissenhaft am Morgen der Parade alle Siegel überprüfen. Wäre eines aufgebrochen gewesen, ich hätte das melden müssen. Als „Besonderes Vorkommnis“, so hieß das damals (und auch heute noch).

Früher Morgen des 1. Mai. Ich komme auf den Platz. Da stehen die Maschinchen stumm in einer Reihe. Alle zugedeckt mit Planen. Schnüre herum. Die Wache übergibt mir. Damit war für mich gewiß, kein Hase oder anderes Untier hätte sich den Flugmaschinen des nachts unbemerkt nähern können. Ich schlage die Planen zurück. Flugzeug für Flugzeug. Untersuche alle Siegel mit ganz besonderer Sorgfalt auf irgendwelche Veränderungen. Alles okay, wie man heute sagt. Auch an meiner Maschine. Im gleichen Moment trifft mich der Schlag. Es ist beschädigt! Ausgerechnet an meiner mir zugeteilten Maschine. Nicht aufgebrochen, aber leicht lädiert. Wie denn das? Was machste jetzt? Sagste was oder sagste nichts? Keiner konnte doch ran an die Maschinen. Ergo weiß es niemand. Nur ich. Ich alleine muß nun entscheiden, was zu tun ist. Schrecksekunden. Unfassbar der Aufwand bei der Untersuchung des „Falles“. Und ein Verdacht würde aufkommen – gegen wen? Ich genoss zwar großes Vertrauen, aber weiß man, wie die Leute von der Staatssicherheit, in der Armee Verwaltung 2000 bzw. VO (Verbindungsoffiziere) genannt, reagieren würden? Da höre ich hinter mir Schritte. So hat mein Herz noch nie geschlagen, auch nicht in großen Flughöhen. „Na, Genosse Lange, alles in Ordnung?“ Der kam wie gerufen – der Genosse K. von der Staatssicherheit. Ohne noch zu überlegen antwortete ich: „Ja, richtig übernommen, nichts beschädigt, nichts kaputt.“

K. nickte. Wir kannten uns schon lange. Er war immer freundlich, zuvorkommend, warmherzig. Ich muß allerdings an dieser Stelle gestehen, mir war das am Anfang der Armeezeit überhaupt nicht bekannt, dass in den Einheiten, Geschwadern usw. Vertreter des Ministeriums für Staatssicherheit fungierten. Das war und ist für mich auch heute kein Thema. Wer seinen Staat nicht zu schützen weiß, auch mit geheimen Abwehrmitteln, der verdient nicht, über sich selbst hinauszuwachsen, Höhe zu gewinnen. Aber der Vorfall auf dem Flugplatz in Klotzsche gab mir lange Zeit zu denken: Wodurch und durch wen war das Siegel beschädigt worden? Ein Fremdkörper? Aber was? Oder war das ganze eine kleine Falle, ein Trick, um meine Haltung zu so einem Vorkommnis zu überprüfen? Ich konnte mir keinen Reim darauf machen und stehe auch heute noch vor einem Rätsel. Jedenfalls hatte ich ab sofort bei Kontrollen lieber dreimal hingeguckt.

Thema: Platons Erben in Aufruhr
pomme

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Platons Erben in Aufruhr 21.05.2015 18:57 Forum: Bücher und Printmedien

Platons Erben in Aufruhr


Kürzlich schrieb Martin Mademann, ein aufmerksamer Freund und User folgende Zeilen an den Blogger und Autor Harry Popow:

"Lieber Harry, Deine Mitteilung über Dein soeben erschienenes Buch „Platons Erben in Aufruhr“ hat mich neugierig gemacht. Ich habe die Buchvorstellung im Internet gelesen. Schon der Buchtitel ist eine sehr gute Verbindung von Denken und Sprache. Die kurze, wesentliche, ideell orientierende Beschreibung des Buches ist eine große Leistung. Sicherlich bist Du der Verfasser. Überhaupt war es eine sehr gute Idee, Deine zahlreichen gehaltvollen und empfehlenden Buchrezensionen in einem Buch zusammenfassend zu veröffentlichen. Das ist wohl einmalig. Harry, meine Anerkennung! Ich grüße Dich.
M."

„ … ein großartiger Reigen“

Mein guter und langjähriger Freund seit dem Jahre 1957, Günther Ballentin, ein Chronist, Historiker und Autor zahlreicher Bücher – so zum Beispiel „Die Zerstörung der Stadt Schwedt/Oder 1945“ - schrieb mir am 19. April 2015 zu meinem Buch „Platons Erben in Aufruhr“ folgende Briefzeilen:

Lieber Harry, die Buchsendung hat mich erreicht. DANKE! Großartig dieser Reigen der „Kleinen Form“! Sie hat in der polemischen Landschaft der „Informations-Gesellschaft“ ihre vorrangige Berechtigung. Gerade auch die Rezension als journalistisch-publizistisches Genre. Die Buchkritik konnte ja seit jeher Autoren-Förderung oder Autoren-Verunglimpfung sein. Selbst Goethe befand sich nicht selten auch in Abwehrhaltung. Er schreibt: „Die Kritik erscheint wie Ate: Sie verfolgt die Autoren, aber hinkend.“ (Ate: Griechische legendäre Figur, Göttin des Unheils.) Gegen eine positiv-kritische Rezension kann kein Autor etwas haben. In „Platons Erben...“ findet der zeitgenössische Leser vor allem Autoren-förderliche und Leser-förderliche Beiträge.

Und da ist noch die Rezensenten-Arbeit! Du wirst wissen, was es bedeutet, sich in die Lage zu versetzen, eine Buchbesprechung schreiben zu können. Welch ein Maß an Textvertiefung! Ich habe diesen enormen Lese-Einsatz in früheren Jahren auch nicht gescheut.

Hier der Buchtipp:

Perlen der Erkenntnis findet man – wer wüsste das nicht - sowohl im Alltag, als auch beim kritischen Lesen. Über fünfzig politische Sachbücher wollten – in guter Zusammenarbeit mit der Neuen Rheinischen Zeitung, Herausgeber und Redakteur Peter Kleinert – von Harry Popow gründlich durchforstet, besprochen und veröffentlicht werden. Welch ein Vergnügen des Denkens, von dem Bertold Brecht schrieb.

Es sind ruhestörende Autoren, die nach vorne denken und schreiben, es sind deren Werke, die nicht immer auf die Bestsellerlisten gelangen und auch in Printmedien als Rezensionen kaum zu finden sind und dennoch tiefgründig recherchierte Wegweiser darstellen. Folgen Sie den Spuren Platons und anderer Intellektueller und lassen sich inspirieren von deren Kraft der überzeugenden Worte. Lesen sie in dem Tipp zum Titel „Blattkritik“ vom Versagen der von Geldgebern abhängigen und dem Erwerb unterliegender Medien, eine demokratische Öffentlichkeit herzustellen. Grinsen sie mit, wie Konsumenten zum Shoppen verführt werden. Oder wie und warum Mord `´(s)geschäfte vom Staat geduldet und gefördert werden. Erfahren sie von den Tränen des Vaterlandes bei den Konflikten zwischen Israel und den Palästinensern. Oder wie eine Chamäleon-Dame ihr Volk verschaukelt. Oder wie Mumia Abu-Jamal (USA) in einem  amerikanischen Dok-Film sehr warmherzig und lebendig als aufrechter Klassenkämpfer beschrieben wird. Oder wie Daniela Dahn das Privateigentum an Produktionsmitteln unter Beschuss nimmt...

Nicht weniger interessant: Essays sowie kritische Tagebuch- und Blog-Notizen einschließlich E-Mails zum politischen Alltag. Besuchen sie das sowjetische Ehrenmal in Treptow, lesen Sie eine interessante Zwiesprache mit Tamara... Oder  amüsieren Sie sich über ein „fiktives“ Wortgefecht mit einem, der Substanz für ein Gewürz hält. Oder erleben Sie eine Feld- und Waldwanderung, die mit einer kleinen Überraschung endet. Oder die Premiere eines italienischen Dokumentarfilms im Filmtheater Babylon. Oder den Dank eines Piraten für die Besprechung seines Buches.

Jedes Wort und jeder Satz – wie kann das anders sein – aus sehr subjektiver und privater Sicht des Autors und seiner Leser. Lassen sie sich kurzweilig entführen in die Welt des Widerstands gegen beabsichtigte Sinnentleerungen, bewusst provozierter Hohlköpfigkeit, gegen gesellschaftlichen Stillstand. Zu entdecken sind Anzeichen aufkommenden Lichts, die munter machen können, die Hoffnung wecken – als Platons Erben.

Harry Popow: „Platons Erben in Aufruhr. Rezensionen, Essays, Tagebuch- und Blognotizen, Briefe“, Verlag: epubli GmbH, Berlin, 316 Seiten, www.epubli.de , ISBN 978-3-7375-3823-7, Preis: 16,28 Euro

http://www.epubli.de/shop/buch/PLATONS-E...737538237/44867

Thema: Ernst Wolff: Weltmacht IWF
pomme

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Ernst Wolff: Weltmacht IWF 29.03.2015 17:32 Forum: Bücher und Printmedien

„Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs“ - Ernst Wolff

Völker im Würgegriff

Buchtipp von pomme


Es sind Wolfszeiten, in denen wir leben. Warnte nicht schon Aristoteles (384 v. u.Z - 322 v.u.Z.), immer gebe die Ungleichheit „Veranlassung zu bürgerlichen Unruhen und Revolutionen“? Über zweitausend Jahre später registrieren die Menschen eine noch nie dagewesene soziale Ungleichheit: Heute verfügen 85 der reichsten Einzelpersonen der Welt über 1,7 Billionen US-Dollar und damit über genau soviel wie 3,5 Milliarden Menschen oder die Hälfte der Menschheit. Das stelle man sich einmal vor: Nur wenige Prozent der Menschen herrschen diktatorisch über die gesamte Menschheit.
 
Nachzulesen ist dies in dem von Ernst Wolff veröffentlichten Buch „Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs“ auf Seite 212. Bezogen lediglich auf den Internationalen Währungsfonds heißt es im Klappentext: Er erpresst Staaten. Er plündert Kontinente. Er hat Generationen von Menschen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft genommen und ist dabei zur mächtigsten Finanzorganisation der Welt aufgestiegen. Die Geschichte des Internationalen Währungsfonds (IWF) gleicht einem modernen Kreuzzug gegen die arbeitende Bevölkerung auf fünf Kontinenten.
 
Der Autor, 1950 geboren, wuchs in Südostasien auf, besuchte in Deutschland die Schule und studierte in den USA. Er arbeitete als Journalist, Dolmetscher und Drehbuchautor. Seit vier Jahrzehnten beschäftigt er sich mit der Wechselbeziehung von Wirtschaft und Politik.
 
Ernst Wolff legt mit seinem Buch faktenreich die dramatischen Folgen einer Politik dar, die darauf aus ist, neoliberale Reformen durch die Vergabe von Krediten zu erzwingen. Wenn der IWF neben der Weltbank und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) sowie die Welthandelsorganisation World Trade Organization (WTO), die EZB und die EU als ganzes auch keine unbekannten Finanzgrößen sind, so erschrickt der Leser bei der Unzahl ihrer Feldzüge und kriegführenden Armeen, um das globale Finanzsystem zu stabilisieren. Bemerkenswert ist folgende Aussage des Autors auf Seite 131: „Bei der Suche nach neuen globalen Anlagemöglichkeiten spielten das Urteil des IWF über die Kreditfähigkeit des jeweiligen Landes“ und seine Folgsamkeit bei der Durchsetzung neoliberaler Strukturreformen eine entscheidende Rolle. Mit anderen Worten: Um das zu Bruch gehende kapitalistische System als ganzes zu retten, bediene man sich der Kreditvergabe. Wer diese in Anspruch nimmt, kommt bekanntermaßen in Teufels Küche, verstrickt sich in ein Krakennetz der Verschuldung. Dafür kommen nicht etwa die Schuldigen des Finanzsektors auf, sondern sage und schreibe die abhängig Beschäftigten und die Armen.
 
Mit unglaublicher Akribie hat der Autor auf 234 Seiten das raubtierhafte Vorgehen des IWF auf internationalem Parkett dargestellt. Er berichtet über die von den USA initiierten Anfänge bereits 1944, „die Grundzüge einer Wirtschaftsordnung für die Nachkriegszeit festzulegen“. (S. 23). Es ging um „die Fixierung aller Kurse an den US-Dollar“ und um die „Beschneidung der Souveränität des Rests der Welt durch die von nun an dominierenden USA“. (S. 15) Mitspracherecht erhielten die Länder nur entsprechend ihrer eingezahlten Beiträge. Um diesen Trick und die wahren Ziele des IWF zu verschleiern, sprach man vom „freien Handel“ und von der „Abschaffung des Protektionismus“. (S. 16)
 
Ich halte diese geschilderte Ausgangsposition des Internationalen Währungsfonds für überaus wichtig, handelt es sich doch „um eine von den USA ins Leben gerufene , von ihnen beherrschte und allein auf ihre Interessen zugeschnittene Einrichtung, mit der die neue Supermacht sich neben der militärischen auch die wirtschaftliche Weltherrschaft sichern wollte“. (S. 1cool
 
Mit diesem Hintergrundwissen ist die aggressive Politik des Kapitals nach 1945 zur ökonomischen Zurückdrängung des Ostblocks, die Einmischung und die Unterordnung gegenüber solchen Ländern wie Afrika, Chile, Irland, Jugoslawien oder gar Zypern und Griechenland klarer als Klassenauseinandersetzung und nach 1989 als Versuch der Osterweiterung zu verstehen.
 
So wird Volk für Volk ausgebeutet, ökonomisch geknechtet - ob Mexiko und Argentinien, Südafrika und Indonesien. Sogar vor Kriegseinsätzen scheut das Großkapital nicht zurück, siehe Jugoslawien oder Libyen. Reformen im Zuge des Neoliberalismus, Armutsbegrenzung, strukturelle Anpassung, Re-Finanzierung und Schocktherapie – sie führen unabdingbar zu Armut, Knechtung und größere Abhängigkeit, zu größeren Ausgaben, zu Entlassungen im öffentlichen Dienst, Privatisierungen im Gesundheits- und Bildungswesen, zu Lohnkürzungen und Steuererhöhungen für die lohnabhängige Bevölkerung. 
 
Obwohl der Autor den engen Zusammenhang zwischen dem IWF und dem Streben des Kapitals nach Maximalprofit und Weltherrschaft durchaus nachvollzieht, bleibt er – vor allem bei der nahezu neutralen Beurteilung des Ost-West-Konfliktes – bei der Charakterisierung der Finanzmärkte als fehlerhafte Entwicklungen stehen und berührt die tieferen Ursachen des Konfliktes zwischen Arm und Reich nicht nach den objektiv herrschenden Eigentumsverhältnissen. Immerhin entlarvt er die Finanzelite als im Stillen agierende Marionettenspieler, die „als Inhaber von Banken, Hedgefonds, Versicherungen und Großkonzernen“ das wirtschaftliche Geschehen bestimmen und als Besitzer der globalen Medien auch das Bild festlegen, „das den Menschen von der Welt vermittelt wird“ und in denen die Rolle der Finanzmächtigen weitgehend verschleiert wird. (S. 136)
 
Fragt man nach der Veränderbarkeit der Welt, nach Lösungen im Interesse der Menschen, die ohnehin unter der Kreditwirtschaft – und nicht nur dabei – zu leiden haben und deren Widerstand immer brutaler unterdrückt wird, dann muss Ernst Wolff passen, wie viele andere Autoren mit ihm. So gesteht er auf Seite 217, dass das bestehende System mit zunehmender sozialer Ungleicheit gezwungen sein wird, „auf immer härtere Polizeistaatsmethoden zurückzugreifen. Wenn auch diese nicht mehr wirken, bleiben ihnen nur noch zwei Optionen – die Einsetzung von Diktatoren und die Entfesselung von Kriegen“.
 
Der Mensch in der Zwangslage, ja, ganze Völker, ausgeliefert den wenigen aber milliardenschweren Finanzoligarchen? Wer als Leser dieses spannenden Sachbuches die verbrecherischen Machenschaften des IWF und der Finanzelite im Zusammenhang mit der Allgemeinen Krise des Kapitalismus und dem anfälligen Epochenumbruch herauszufiltern vermag, wird auf seine Kosten kommen – und – mehr tun, als nur den großen Crash abzuwarten. Auch der Autor lässt den Mut nicht sinken. Er setzt auf neue Chancen, wenn wir die Lügen der Politiker und der Medien durchschauen und neue „Kampf- und Organisationsformen“ entwickeln. Eine neue Gesellschaftsordnung muss her, in der die sozialen Bedürfnisse der Mehrheit im Mittelpunkt stehen. Für den IWF und andere derartige Organisationen wird darin aber kein Platz sein. (S. 215) Bis dahin bleiben die Völker im Würgegriff der Finanzoberen - die Alarmzeichen stehen auf Rot.(PK)
 
Ernst Wolff: „WELTMACHT IWF — Chronik eines Raubzugs“. Tectum Verlag, Marburg 2014, 1. Aufl. (17. September 2014), Broschiert: 234 Seiten, Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3828833292, ISBN-13: 978-3828833296, Größe und/oder Gewicht: 15 x 1,8 x 21,3 cm, Preis: 17,95 Euro
 
Erstveröffentlichung dieser Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung
 
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21438&css=print

Mehr über den Rezensenten: http://cleo-schreiber.blogspot.com

NEU: Kritischer geht es nicht – dieser und weitere 55 Buchtipps sowie Notizen zum Zeitgeschehen, gebündelt in diesem Buch:

Harry Popow: „Platons Erben in Aufruhr. Rezensionen, Essays, Tagebuch- und Blognotizen, Briefe“, Verlag: epubli GmbH, Berlin, 316 Seiten, www.epubli.de , ISBN 978-3-7375-3823-7, Preis: 16,28 Euro

http://www.epubli.de/shop/buch/PLATONS-E...737538237/44867

Thema: Eroberung
pomme

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Eroberung 26.01.2015 14:47 Forum: Bücher und Printmedien

Nicht dumm sondern bewußt sehr gefährlich sind diejenigen Politiker, die die Politverdrossenheit nicht wahrhaben wollen und alles "nur" unter dem Dach der Ausländerfeindlichkeit sehen wollen, denn wäre es anders, dann müssten sich die heute Herrschenden selbst das Wasser abgraben. Deshalb die so furchtbare Heuchelei. Das Grundübel sind die kapitalistischen Machtverhältnisse, die auch den Weg bahnen zum Hass gegen Ausländer, wie gehabt. Natürlich sind diejenigen saudumm, die dieser Rassenfeindlichkeit auf den Leim gehen und in der Zurückdrängung der Islamisten usw. das Allheilmittel sehen. Und wer ist daran wiederum Schuld?
Gruß von pomme

Thema: Eroberung
pomme

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Eroberung 26.01.2015 14:14 Forum: Bücher und Printmedien

Hallo Grubendol, niemand würde ich als wirklich dumm bezeichnen. Es ist nur die Frage, wie tief man in die Materie eindringt. Die meisten Medien helfen Dir da in keiner Weise. Nach über 52 Buchrezensionen zu politischen Sachhbüchern kann ich flachgebürsteten Geistern nur empfehlen, mehr nachzudenken und für entsprechende kritische Literatur offen zu sein...
Gruß von pomme

Thema: Die Eroberung Europas durch die USA
pomme

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Die Eroberung Europas durch die USA 24.01.2015 10:56 Forum: Bücher und Printmedien

„Die Eroberung Europas durch die USA“ - von Wolfgang Bittner

„Friedensengel“ bedrängen den Frieden

Buchtipp von pomme


Diejenigen, von denen in dieser Rezension die Rede ist – sie nennen sich Freunde. Es sollen Friedensengel sein. Sie kommen in großen Scharen aus Übersee, im Bunde mit der NATO. Sie hatten sich bereits nach 1945 in Westdeutschland ökonomisch und militärisch festgebissen, und nun ist die gesamte EU dran. Sie erobern die Völker nur mit einem Ziel: Um gegen die Ostvölker – wie eh und je – angeblich „gewappnet“ zu sein. „Auf zum neuerlichen Marsch gen Osten?“

Dazu gibt es ein neues Buch mit dem Titel „Die Eroberung Europas durch die USA. Zur Krise in der Ukraine“ von Wolfgang Bittner. Es hat 148 Seiten und ist eine Chronologie der Aufpeitschung imperialer Machtinteressen gegenüber Russland – vor allem in den letzten Monaten und Jahren. Der Autor spannt den Bogen von der Osterweiterung der NATO, entgegen vertraglichen Vereinbarungen mit Gorbatschow, über Begehrlichkeiten Deutschlands und anderer EU-Staaten auf neue Absatzmärkte in Osteuropa, über die von den USA finanzierte „orangene Revolution“ im Jahre 2004, über die Maidan-Bluttaten, über das auf der Krim vom Parlament beschlossene Referendum zum Beitritt zur Russischen Föderation bis zu den Ereignissen im September 2014.

Der Autor hält sozusagen den Finger am Puls der Ukraine-Krise. Mit ihren nahe am dritten Weltkrieg gefährlichen Zuspitzungen, mit ihrem Auf- und Ab von gegenseitigen wirtschaftlichen und militärischen Drohungen, mit ihren bürgerlichen Medien-Lügen und mit den Beschwichtigungen und angemahnten Gegenmaßnahmen durch die russische Seite.

Gewiss, viele Tatsachen sind bekannt, decken sich mit den kritischen Analysen der Autoren Brigitte Queck und Peter Strutynski (Hg.), um nur zwei Beispiele zu nennen, die die Ukraine im Fokus der NATO und den Konflikt als ein Spiel mit dem Feuer charakterisieren. Meiner Meinung nach ist die Herangehensweise des Autors Wolfgang Bittner, die Ereignisse chronologisch darzustellen, gut dazu geeignet, die Abfolgen und die gegenseitige Bedingtheit der Tatsachen und ihrer Ursachen deutlich herauszuarbeiten. Unübersehbar das Bemühen, die Hauptschuldigen, die Brandstifter der Krise und die Instrumentalisierung der EU durch die USA und durch die NATO, an zahlreichen Textstellen kenntlich zu machen. Erhebliche Beihilfe leisten dem Autor dabei u.a. der niederländische Publizist und Politikwissenschaftler Karel van Wolferen, der Schweizer Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser, der einstige Bundestagsangehörige, OSZE-Vizepräsident sowie verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU im Bundestag,Willy Wimmer, sowie Albrecht Müller, Publizist und Herausgeber des Internetportals NachDenkSeiten.


Bereits auf der Seite 14 stellt der Autor fest: „Die westlichen Politiker fallen zurück in den Kalten Krieg.“ Er zitiert auf Seite 54 den Niederländer van Wolferen, der betont, dass die US-amerikanische Politik eine „Geschichte wirklich atemberau-bender Lügen“ (ist): „Über Panama, Afghanistan, Irak, Syrien, Venezuela, Lybien und Nordkorea.“ Nicht zu vergessen die Besetzung unseres Planeten mit einigen tausend Militärbasen. Als Ursachen benennt Albrecht Müller u.a. den Vormarsch der Neokonservativen und der Rechten in den USA im Umfeld der Teaparty-Bewegung. Zu Wort kommt auf Seite 49 Willy Wimmer: „Das amerikanisch- Kiew-ukrainische Ziel dieses Vorgehens wird notfalls auf den offenen Krieg mit Russland aus sein, um letztlich die Ukraine als Bollwerk … gegen Russland nutzen zu können. Sollte es gelingen, die Ukraine derart den USA dienstbar zu machen, wird es einen kompletten Riegel unter US-Kontrolle zwischen dem Baltikum über Polen und die Ukraine zum Schwarzen Meer geben.“ „Russland“, so der Autor auf Seite 92, solle „durch einen neuen ´Eisernen Vorhang´ von Westeuropa getrennt“ werden.

Die Eskalation des Konfliktes mit Russland sei in wesentlichen Elementen ebenso bewusst und mutwillig „herbeigeführt worden wie der Überfall auf den Irak;“ zitiert Wolfgang Bittner die Einschätzung in German Foreign Policy. Der Autor lässt es an Fakten zur Destabilisierung der Lage in der Ukraine nicht fehlen. So pflegt die Stiftung „Open Ukraine“ des Oligarchen Arsenij Jazenjuk intensive Beziehungen zum US-Außenministerium und zur NATO „und wird von einflussreichen westlichen Organisationen gesponsert“. Mehr als fünf Milliarden Dollar hätten die USA für den „Regime Change“ in der Ukraine gespendet, was „in den westlichen Medien kaum zur Sprache“ kam. (S. 25) Erwiesen sei auch, so der Autor auf Seite 35, „dass subversive Kräfte, insbesondere westliche Geheimdienste und allen voran die CIA, die Maidan-Bewegung vorbereitet und finanziert haben“, abgesehen davon, „dass sich hochrangige westliche Politiker seit Jahren in die inneren Angelegenheiten der Ukraine eingemischt haben“. (S. 35) Nicht nur Politiker, sondern ebenso Journalisten in maßgeblichen Positionen werden von der CIA, vom US-Außenministerium und von Konzernen finanziell unterstützt. „Dazu gehören die Atlantik-Brücke, Goldmann Sachs Foundation, The American Interest, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Atlantische Initiative und Münchner Sicherheitskonferenz.“ ( S. 41)

Der Autor verweist auf einen Aufruf vom 25. Mai, den etwa 10.000 Bürger unterzeichnet haben, der Konflikt um die Ukraine sei das Resultat der EU- und der NATO-Erweiterung. Mit der Durchsetzung des Assoziierungsabkommens habe man mit Unterstützung der antirussischen und faschistischen Kräfte in der Ukraine dazu beigetragen, „Russland militärisch einzukreisen“. (S. 44)

Der angeblichen Friedensengel erinnert sich der aufgeweckte Leser bei der Ankündigung des NATO-Generalsekretärs, in der Westukraine Manöver abzuhalten, beim Versprechen Obamas, „für die zusätzliche Stationierung von Truppen in osteuropäischen Ländern“ eine Milliarde Dollar auszugeben sowie militärisch an der Seite Polens, Litauens und Rumäniens zu stehen. (S. 53) Mehr noch: Die NATO beschloss, siehe Seite 94, „den Aufbau einer neuen Krisen-Eingreiftruppe und einen Aktionsplan für Osteuropa, der neue NATO-Stützpunkte im östlichen Bündnisgebiet vorsieht“. Bleibt die dringliche Frage: „Wird der Moment kommen, in dem klar wird, dass es bei der Ukraine-Krise als allererstes darum geht, Star-Wars-Raketen auf einem langen Abschnitt der russischen Grenze in Stellung zu bringen. Was Washington … die Möglichkeit eines Erstschlages eröffnet?“, so ein Zitat von van Wolferen. (S. 6cool Die US-Regierung gehe mit der Rüstungs- und Erdöl-Lobby im Rücken im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen, schreibt Wolfgang Bittner. (S. 54) In Bezug auf Europa mache man sich nichts vor. Wimmer weist zu Recht darauf hin, dass den USA „nicht an einem wirtschaftlich starken, friedlichen Europa liegt“. Die amerikanischen Globalkonzerne seien mit gefüllten Kassen dabei, das von der europäischen Industrie aufzukaufen, „was bisher noch nicht im Bestand der USA ist“. (S. 71) „Die Ukraine scheint die Blaupause für weiteres Vorgehen in Europa und darüber hinaus zu werden“, so Wimmer auf Seite 62. Ergänzend dazu der Autor: Zuerst werde ein Land aufgemischt, bis es zum Bürgerkrieg kommt, „und hinterher spielen USA, EU und NATO den Friedensengel“. (S. 66)

Wolfgang Bittner klagt nicht nur die Brandstifter für die Ukraine-Krise an, sondern auch die Medien, die die Rolle der Brandbeschleuniger übernommen haben. So zitiert er den Schweizer Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser, der feststellt, „dass es eine Art ´NATO-Netzwerk` … gibt“, bei dem sowohl kritische Fragen zum Bündnisfall als auch zur Ukraine-Krise tabu sind. Die NATO-Osterweiterung werde praktisch nie erwähnt, die Hintergründe des Regierungssturzes in der Ukraine nicht genannt.

Das Fazit zieht der Autor, indem er festhält, die USA sind kein Vorbild für Frieden und Freiheit, seit über einem halben Jahrhundert schon nicht mehr. Spätestens seit dem 11. September 2001 sei dort „eine Schranke der Rechtsstaatlichkeit gefallen“. (S. 109) „Man wünschte den USA Politikern, dass die den Mut hätten, das eigene Land als Interventionsfall zu erkennen“, so Wolfgang Bittner auf Seite 110.

Der chronologische Bericht des Autors ermöglicht aufmerksamen Lesern, die Fakten im Zusammenhang zu erfassen, wie sich eine Tatsache aus der anderen ergibt, wie sich die USA zunächst die EU und dann, mit deren Schützenhilfe, Russland gefügig machen wollen. Sein Verdienst besteht in der klaren Auflistung der schrittweise begangenen kriegsvorbereitenden Machenschaften zur Ausrichtung der Ukraine samt der EU zum Aufmarschgebiet gen Osten. Werden dabei Putins Warnungen, die NATO nicht so dicht an die Grenzen Russlands vorrücken zu lassen, überhört? Mitunter schreibt der Autor vom möglichen Gesinnungswandel, vor allem der BRD-Regierung im Konflikt zwischen Ost und West. Allerdings geben die Machteliten dazu wenig Raum zum Weiterdenken. Auf Aggressionen vom Großkapital im Streben nach Ressourcen getrimmt, ist mehr Wachsamkeit als Hoffnung auf Veränderung angesagt. Es wird weiter an der Eskalationsschraube gedreht, stellt Wolfgang Bittner auf Seite 91 bitter fest. „Friedensengel“ bedrängen den Frieden. Nach wie vor. (PK)

Wolfgang Bittner: „Die Eroberung Europas durch die USA. Zur Krise in der Ukraine“. Broschiert: 148 Seiten, Verlag: VAT Verlag André Thiele; Auflage: 1 (1. Oktober 2014), ISBN-10: 3955180298, ISBN-13: 978-3955180294, Größe: 11,6 x 1 x 20,5 cm, Preis: 12,90 Euro

Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung

http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21117

Mehr über den Rezensenten: http://cleo-schreiber.blogspot.com

Thema: "In die Stille gerettet" - Leseprobe
pomme

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"In die Stille gerettet" - Leseprobe 19.12.2014 19:23 Forum: Bücher und Printmedien

Das weiße Spitzenkleid

Von pomme

(Entnommen meinem Buch: Harry Popow: „In die Stille gerettet. Persönliche Lebensbilder.“ Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3)

Plauen. Die Nacht zum 15. Februar 1957, einem Freitag, da schrillte die Sirene. Alarm! In Sekundeneile schlüpfen die Schüler des dritten Lehrjahres geübt in die Klamotten. Waffen empfangen, abmarschbereit! Ein kilometerlanger Marsch. Bei Eis und Schnee. Über Wald- und Feldwege, im unwegsamen Gelände. Zwischendurch die berüchtigten Einlagen: „Flieger von rechts, Maschinengewehrfeuer von links, chemischer Alarm, vor uns Baumsperre!“ Schnelles Fassen von Entschlüssen. Und da ist jeder mal dran, schließlich müssen die Männer jetzt ganze Züge im „Gefecht“ führen. Da entscheidest du im Ernstfall mit über Tod oder Leben von dreißig Mann. Viel Kopfarbeit ist also angesagt. Erst am späten Nachmittag marschieren (oder schleichen) die Schüler durch das Kasernentor zurück in die Unterkunft. Etwa fünfzig Kilometer haben sie unter die Füße genommen. Kaputt und todmüde sind sie. Da heißt es auf einmal, noch am gleichen Abend sollen oder dürfen sie zum Faschingsabend, also zum Tanz! Die DAKO, die Damenkonfektion von Plauen, der Patenbetrieb, hätte eingeladen. Einige Unentwegte jubeln. Andere fluchen, auch Henry. Er denkt an Erfurt zurück. Nach einem zweitägigen 70-Kilometermarsch, bei einigen Schülern drang bereits das Blut durch die Socken, hieß es in der Kaserne plötzlich, wer will, kann noch ausgehen. Und die ganz Kühnen zogen sich um, die Blasen bekamen Jod, und ab durch das Kasernentor. Henry nicht. Sich mit mehr oder weniger Schmerzen über die Tanzfläche schleichen oder einfach nur Bier saufen? Wozu die Mühe? So, und heute Abend? Kurze Überlegung: Immerhin eine weitere gute Gelegenheit – muß er sich ehrlich eingestehen – auf nette und niveauvolle Bekanntschaften, keine Weiber von gewöhnlichen Schwofabenden. Sein Entschluß: Er wird dabei sein. Was er nicht bedachte, auch die Näherinnen und Bandarbeiterinnen sowie die Lehrlinge der DAKO freuten sich auf den Abend mit den Jungs. Nur eine nicht, wie Henry später erfuhr. Sie mochte das ganze nicht. Im Gegenteil. Sie wollte wieder fort, so schnell wie möglich. Und so belagert sie den Lehrausbilder, um eine Unterschrift zu bekommen für das Berichtsheft, denn die Teilnahme wird als gesellschaftliche Tätigkeit bewertet. Nach dem Vermerk hätte sie sofort verschwinden können. Doch sie muß vorerst bleiben. Mit Widerwillen sitzt sie also still und ungeduldig an einem Tisch, sieht sich kaum um, und wenn, dann mit einem geringschätzigen und abwertenden Blick. Doch einmal, da stutzt sie. Geht doch einer der Offiziersschüler, sehr schlank, schmales Gesicht, schwarze Haare, über die Tanzfläche. Und wie der geht, stolz und fast schwebend. „Mein Gott, wie ist denn das passiert“, denkt sie. Wie und durch wen kam der denn in diesen Verein? Der sieht ja aus wie einer aus dem Adelsnest. Hoffentlich kommt der nicht und holt dich, da kriegste nur Probleme. Und damit stößt sie diese Gedanken wieder weit von sich, für sie hat sich ja ohnehin alles erledigt. Schon schaut sie wiederholt auf ihre Armbanduhr. Was geht es sie an, wer da noch so rumschwebt von diesen Uniformierten, die sie ohnehin nicht mag, überhaupt nicht.

Den sie da ansieht, das ist Henry. Er spürt trotz aller Müdigkeit sehr genau, jemand mustert ihn. Sein Blick geht nach links. An einem Tisch sitzen zwei junge Mädchen. Die eine kannst du vergessen, doofes Gesicht, furchtbar gewöhnlich. Aber die rechts daneben!! Ho, ho! Zwei ernste und wunderschöne Augen. Mit einem Schlag ist der junge Mann hellwach. Die Augen des Mädchens schauen in seine Richtung, aber es verzieht keine Miene. Ihr Blick scheint durch ihn hindurch zu gehen, er wirkt gedankenverloren, rätselhaft. Eine Kraft geht von diesem jungen Mädchen aus – er kann das nicht näher deuten. Und warum sieht sie überhaupt her? Henry wird ein wenig unruhig, denn die faszinierenden Augen schweifen schließlich ab, denken gar nicht mehr daran, bei ihm zu bleiben. Guck doch noch mal, bitte, dann weiß ich, quatsch, dann kann ich hoffen, mit dir tanzen zu dürfen, dieser Gedanke schießt Henry durch den Kopf. Ihm wird heiß, denn nun muß er einen Entschluß fassen, was aber nicht gelehrt wurde wie bei der vorangegangenen Übung. Und schon legt die Drei-Mann-Kapelle wieder los. Ob sie mit mir tanzen wird? Noch ehe er aufspringt, ist Dieter, der Lockenkopf, bereits am Ball – bei der Schönen. ,Ich blöder Kerl‘, Henry ist entsetzt. Ihm bleibt fast die Luft weg. Und verteufelt noch mal, er kann es nicht fassen, da legt doch der Dieter, Mädchenaufreißer, sofort seinen Kopf an den ihren, aber sie wehrt ihn ab, hält ihn auf Abstand. Gott sei Dank. Ein Pressefotograf sucht seine Motive, wie dem Offiziersschüler scheint, hat er auch SIE im Visier. Schließlich gelingt es ihm, er tanzt mit ihr. Sie ist zart, sehr schmal, im weißen Spitzenkleid und roten Schuhen. Ihm fällt auf, sie läßt sich nicht ohne weiteres wie andere führen. Auch ihn hält sie auf Abstand. Aber sie zittert kaum merklich, Henry spürt das. Ist sie unsicher? Was geht in ihr vor? Und was soll man reden? Fragen über die Berufsziele? Eine etwas niveauvolle „Blabla-Unterhaltung“ kommt zustande, da sind die drei Tanzrunden beendet. Ehe er nach dem Tanz seine weitere Strategie durchhecheln kann und schnell mal einen neuen Augenblick zu ihrem Platz wirft, ist sie plötzlich weg. Zur Toilette? Und wenn sie nun schon nach Hause wollte? Er holt seinen Mantel aus der Garderobe und stürzt hinaus. Keine Menschenseele. Im Laufschritt zur Straßenbahnendstelle, vielleicht erwische ich sie noch, bangt er. Tatsächlich, Henry entdeckt sie auf der hinteren Plattform der Straßenbahn. Da klingelt der Schaffner bereits ab. Mit Schrecken fällt ihm ein, er hat ja keine Adresse. Blitzschnell springt er auf die Plattform, und die ernste Schöne sagt ihm mit einer verdächtigen Schnelligkeit ihren Namen und wo sie wohnt. Mit Mühe wiederholt Henry auf dem Weg zum Kasernengebäude so für sich Vorname, Name, Straße und Hausnummer, bis er im Hundertmann-Schlafsaal aus dem Nachtschrank endlich Zettel und Bleistift angelt und mit zitternder Hand notieren kann: Cleo, ...straße 6. Sehr viel später erfährt er, sie hatte lediglich Mitleid mit ihm … (Und er würde die Adresse ohnehin nicht behalten. Sie täuschte sich einmalig...)

(Heirat der beiden im Jahre 1961. Haltbar bis heute, Dezember 20014, und das bis zur Unendlichkeit...)

Thema: Das Blendwerk - eine Rezitation
pomme

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Das Blendwerk - eine Rezitation 19.12.2014 19:17 Forum: Bücher und Printmedien

„Das Blendwerk. Von der ´Colonia Dignidad´ zur ´Villa Baviera´“ von Horst Rückert

Verkrüppelung im Namen Gottes

Buchtipp von pomme


Wer greift sich da nicht an den Kopf: Es gibt Menschen, die sich bewusst verkrüppeln lassen, geistig und moralisch. Sie fügen sich einer einzigen Person, die im Namen Gottes die Außenwelt, die Liebe, die Ehe, das Individuelle als Teufelswerk bezeichnet und zum Verzicht auf materielle Gaben und auf ein solidarisches Miteinander aufruft. Was Wunder, wenn z.B. ein Ehepaar nebeneinander im Bett liegt und – ohne sich zu berühren – wochenlang auf ein Kind wartet. Als Frau und Mann nach Wochen erfahren, was zu tun sei, schreien sie auf und beschimpfen den schönsten und menschlichsten Akt als Teufelswerk.

Diese beiden und hunderte andere Bewohner einer deutschen Siedlung in Chile unterwarfen sich „festen Ritualen, um sich öffentlich von Sünden zu reinigen...“ (S. 23) Mehr noch: Wer sündigte, wurde verprügelt. Bei besonderen Vergehen gab es Elektroschocks. Kinder wurden vom Gründer und Führer der Gemeinde missbraucht, selbstverständlich unter größter Verschwiegenheit. Trotz harter Arbeit wurden Löhne nicht gezahlt, Freizeit und Urlaub gab es nicht, auch kein Fernsehen und Radio, weder Zeitungen noch Zeitschriften. Männer und Frauen lebten getrennt voneinander. Während der Militärdiktatur Pinochets gab es im Gelände der Siedlung bis 1978 unterirdische Tunnel, Waffen und Sprengstoffe. Politische Gefangene wurden gefoltert. Die „Colonia Dignidad“ war … „ein Aktionszentrum der chilenischen Militärdiktatur, die sich in einem Krieg gegen den internationalen Terrorismus wähnte“. (S. 76)

So nachzulesen in einem aufsehenerregenden Buch von Horst Rückert mit dem Titel „Das Blendwerk. Von der ´Colonia Dignidad´zur ´Villa Baviera´“. Der Autor begab sich 2006 auf die Spuren dieses von den Bewohnern und anliegenden chilenischen Menschen zwar wohlwollend hingenommenen aber im eisigen Keller der Verschwiegenheit versunkenen menschenverachtenden Lagers. Er wurde fündig und recherchierte außerordentlich gründlich.

Diie Rede ist zunächst von Paul Schäfer, geboren am 4. Dezember 1921 in Deutschland. Er geriet bereits als junger Mann in Verdacht, ihm anvertraute Jugendliche sexuell missbraucht zu haben. Er sah sich als „der wahre Nachfolger Jesu, er empfange seine Wahrheit direkt von Gott“. (S. 16) Dieser im Jahr 2005 in Chile verhaftete „Vertreter Gottes“ und Verbrecher wurde bereits Anfang der sechziger Jahre in Deutschland wegen Kindesmissbrauch per Haftbefehl gesucht, flüchtete mit Kindern und Helfern nach Chile und baute dort sein autoritär geführtes Imperium der Gewalt und Alleinherrschaft auf und starb 2010 in Argentinien.

Hinter 2,80 Meter hohen insgesamt 8.000 Betonpfählen, abgetrennt von der Welt der Chilenen, vegetierten die Siedler im Glauben, der Führer und Gründer der Sekte brächte – das war Anfang der 1960er Jahre - „seine kleine Gemeinde aus dem von bolschewistischer Unterdrückung bedrohten Westdeutschland in das leere Land im Süden Chiles, das zu kultivieren und fruchtbar zu machen der Auftrag Gottes“ sei. (S. 31) Das nach außen verkündete Programm des Lagers „Colonia Dignidad“, wie es sich nannte: Wohltätig zu sein, „armen und kranken Leuten zu helfen“. (S. 30) Das Blendwerk bestand darin, so heißt es im Klappentext, dass diese hermetisch abgeriegelte Siedlung vierzig Jahre lang „ein Musterbild deutscher Tüchtigkeit und Ordnung“ bot.

Es sind zwei gravierende Dinge, die der Autor aufdeckt: Erstens die abenteuerliche Motivierung. Da wurde den Bewohnern vorgegaukelt, sie gehörten einer auserwählten Elite an, die sich im Namen Gottes von allen menschlichen Sünden befreien würde, so von der gesamten Außenwelt. Der Führer, Herr Schäfer, wäre der Repräsentant Gottes, er sei der Vermittler, ihm hätten alle Lagerinsassen hörig zu sein. Wer dagegen opponiere, sei des Teufels und müsse streng bestraft werden. „Es gelte, sich auf das nahe Ende der Welt, auf das bevorstehende Gericht Gottes über die Menschheit vorzubereiten“. (S. 16) Die Bedrohung käme „aus dem kommunistischen Osten“, er sah im Traum den „russischen Stiefel“, der „Europa niedertritt“. (S. 2cool Wesentliche Bestandteile dieses Glaubens waren der „religiöse Antikommunismus und die Zweiteilung der Welt in ein gutes Drinnen und ein böses Draußen...“ (S. 71)

Horst Rückert fragt zweitens mit Recht nach der deutschen Hilfestellung für die Siedler in diesem berüchtigten Lager in Chile. Was er herausfindet, ist mager genug. Noch 1972 habe man in der Siedlung „ein Stück Auslandsdeutschtum“ gesehen. Sie würde allerdings weiterhin Deutschland mehr belasten als nützen. Die Motive und Hintergründe dieser bis 1985 währenden Zurückhaltung trotz Informationen über mögliche Verbrechen in der deutschen Siedlung sind unbekannt. „Bis heute weigert sich die Bundesregierung, Wissenschaftlern oder Journalisten Zugang zu den Akten zu geben...“(S. 89) Die Entschuldigung: Man halte sich an die Regeln des Völkerrechts und respektiere die Souveränität Chiles. (S. 91) Der Rechtsanwalt Winfried Hempel, so der Autor, würde derzeit wegen unterlassener Hilfeleistung Prozesse vorbereiten, „in denen er die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Chile auf insgesamt 120 Millionen US-Dollar Schadensersatz verklagen will“. (S. 95)

Es geht um Vergangenheitsbewältigung. Rückert plädiert für eine sehr differenzierte Ursachenforschung. Auf keinen Fall könne man dem einzelnen Verführer und Verbrecher die alleinige Schuld an Unmenschlichkeit zuordnen und sich so von Mitschuld unterschiedlicher Größe freisprechen. Die Mittäter seien ausfindig zu machen und zu bestrafen. Doch im Nachhinein wollen die älteren Lagerbewohner von „Colonia Dignidad“ nichts wissen. Sie sprechen bei ihrer Schuld nur von einem WIR, ohne in den Tiefen ihrer Seele nach eigenen willenlosen Mitmach-Attacken gegenüber hilflosen Opfern zu forschen und so ebenfalls ein eindeutiges Schuldbekenntnis abzugeben. Die Alteingesessenen seien bis heute nicht bereit, sich mit den Verbrechen der Sekte auseinanderzusetzen. Sie wollten ihre Gemeinschaft in der „Villa Baviera“ erhalten. Damit sei eine „bruchlose Verwandlung eines Folterzentrums in ein Freizeitparadies“ nicht gelungen, schreibt Horst Rückert auf Seite 224. Leid würde abstrahiert, relativiert und „in einen höheren Plan Gottes“ eingeordnet. (S. 232)

Dieses Unterdrückungslager präsentiere sich ab 2005 mit der „Villa Baviera“ als deutsche Touristenattraktion, wo nach wie vor deutsche Gemütlichkeit, deutsche Sitten und Gebräuche ihr bayerisches Zuhause in Chile haben, wirtschaftlich weitgehend auf eigenen Füssen stehend, aber die einstigen Mordtaten und Kindermisshandlungen nur nebenbei erwähnend.

Das Buch „Blendwerk“ deckt nicht nur vergangene Verbrechen auf. Es verweist nicht nur auf die Schuld von Mittätern. Es erinnert nicht nur an eine gründlich vorzunehmende Vergangenheitsbewältigung. Es beleuchtet vor allem die kausalen Zusammenhänge zwischen Macht, Anbetung des Gottes Markt und Manipulierung der Menschen durch Politik und bürgerliche Medien. Deutlich ablesbar u.a. am Verschweigen der wahren Ursachen sowohl der beiden Weltkriege als auch des Ukraine-Konfliktes. Ein Blendwerk neuer Art ist im Gange. Aufarbeitung, so Horst Rückert auf Seite 244, geschehe nur, um „das Funktionieren und die Entwicklung der neuen Ordnung nicht“ zu gefährden.

So nimmt der geistige und moralische Verfall – oftmals wolle man das nicht wahrhaben – seinen immer spürbarer werdenden Fortgang. Das Blendwerk Konsum, Freiheit und Demokratie, Wachstum und Bündnistreue tut das Seinige für ein sorgenfreies Wohlgefühl unter dem Motto „Mir geht es ja gut“. Grünes Licht für Verkrüppelungen „im Namen Gottes“, im Namen des Antikommunismus? (PK)

Horst Rückert: Das Blendwerk: Von der „Colonia Dignidad“ zur „Villa Baviera“, Broschiert, 256 Seiten, Verlag: A1; Auflage: 1 (27. August 2014), ISBN-10: 3940666564, ISBN-13: 978-3940666567

Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung

http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21098

Mehr über den Rezensenten: http://cleo-schreiber.blogspot.com

Thema: Der Fall Snowden - von Glenn Greenwald
pomme

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Snowden 23.10.2014 16:40 Forum: Bücher und Printmedien

Hallo Günter, das ist meine 47. Rezension insgesamt seit 20012, die sind nahezu alle so lang. Wer Interesse hat, macht sich halt die Mühe. sie zu lesen. Für extra Kurzfassungen fehlt mir einfach die Zeit. Auch habe ich etwas gegen das "gefällt mir" - Urteil. Meine persönliche Meinung kommt in jeder Rezi zum Ausdruck. Besonders bei Snowden, denn man sehe sich andere Rezis an (Amazon), da werden Loblieder auf Inhalte gesungen, gut und schön, ich aber grub bewußt die Motive hervor. Da stehe ich persönlich voll und ganz dahinter. Was den zweiten Teil Deiner Frage betrifft: Jedermann weiß doch, wie die BRD unter der Regentschaft der USA stehen, im Grunde seit Bestehen dieser Republik. Eben zwischen Baum und Borke, was die ökonomischen Beziehungen zum Beispiel zu Russland betreffen. Ich möchte nicht in der Haut der heutigen Politiker stecken, die haben Scheu, den Snowden öffentlich zu huldigen, das überlassen sie Einzelpersonen und Privatäußerungen wie auch Verbänden und vielleicht noch Parteien. Außerdem: Wer die Rezi richtig liest, dürfte wohl Parallelen zwischen den US-Medien und den deutschen finden. Erschreckend genug. Danke für Deine Meinung und für die Frage. Gruß von pomme

Thema: Arme Seelen zwischen allen Stühlen
pomme

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Arme Seelen zwischen allen Stühlen 23.10.2014 13:04 Forum: Politik

Fiktives über den Autor von „Eine langweilige Geschichte“, Anton Tschechow

Arme Seelen zwischen allen Stühlen

Ein Essay von pomme


Wieder einmal sitzt ein Herr Professor, nennen wir ihn Herr O., und nicht nur er, zwischen allen Stühlen. Die Welt spielt verrückt. Im Weltzirkus legen die einen neue Zündschnüre, die anderen warnen vor neuerlichen blutigen Katastrophen.

Es ist der 1.9.2014. Der Professor traut seinen Ohren nicht. Ausgerechnet am Weltfriedenstag folgende Meldung in der ARD: Der Herr Gauck, bekannt als ein Pfarrer, der nichts gegen Waffen hat, besucht Polen. Keine Entschuldigung wegen des Überfalls des deutschen Imperialismus auf Polen. Kein Wort davon, dass die Aggression mit einer Provokation der Faschisten begann, siehe Sender Gleiwitz. Statt dessen ein Bild des Kriegsschiffes, das den ersten Schuß abgegeben hat. Ein Zufallstreffer? Heute ebenso die "altbewährte Methode von Provokationen". So die Ukraine-Krise, die mit der allseitigen Unterstützung der ukrainischen Faschisten gestartet wurde. Russland sei der neue Gegner. Die alten Verbrecher sind aus der Gruft des Nürnberger Prozesses entkommen. Sie leben noch, sie schießen wieder. Es ist zum Kotzen.

Entsetzen über solche Geschichtsverfälschungen, über diese Verdummung des Volkes! Wen trifft es nicht ganz tief im Herzen? Gibt es noch so etwas wie Wahrheit, die bekanntlich vor Kriegen zuerst stirbt? Muss er das überhaupt wissen, der Herr O.? Kann es ihm nicht egal sein? Fühlt er sich als Rentner nicht zufrieden?

Die Gedanken des Herrn O. schweifen zurück, weit zurück. Ja, er gehörte zu jenen Ossis, die zunächst dem Schleim nach Freiheit, die es im Westen angeblich geben sollte, 1989 auf den Leim gingen. Ihm, wie auch anderen einstigen DDR-Bürgern, wurden nach der „Wende“ die Augen geöffnet, so wie z.B. der ehemaligen Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley: Sie setzte alles daran, so sagte sie damals, eine andere Gesellschaft zu erreichen, und sie merke (…), das sei ja alles noch viel schlimmer, perspektivloser, ressourcenvergeudender und unsozialer als damals.

Nicht genug damit. Herr O. fand folgende Zeilen von Herrn Fritz Raddatz (einst DDR-Bürger, dann Flucht in den Westen) in „Unruhestifter“, (Erinnerungen, List Taschenbuch, Ullstein Verlage S. 436) aufschlußreich: „Die Bundesrepublik ist zwar als Staatsform eine Republik; aber sie ist es ihrer inneren Verfasstheit, Moral, Geistigkeit, ihrer politischen Hygiene nach nie gewesen. Sie hat die Nazizeit so wenig ´bewältigt` wie die Weimarer Republik die Kaiserzeit; beide Staaten übernahmen den komplett erhaltenen Beamten-, Militär- und Wirtschaftsapparat des alten Staates. Beide Staaten übernahmen den alten Gefühlshaushalt und Wertekatalog. Beide Staaten waren/sind innen morsch.“ Auf Seite 240 schrieb Raddatz: „Für die Menschen zumindest meiner Generation war Geld nicht der Maßstab, es bestimmte nicht den Lebenshorizont. Verwirklichung fand in der Arbeit statt. (…) Träume galten nicht dem Haben, sie galten dem Sein.“

Norbert Gernhardt, (entnommen kommunisten-online vom 11.9.2012) sieht das so: „Es ist klar, daß in der BRD heute viele Menschen das Gefühl haben, in unvergleichlicher Freiheit zu leben, unvergleichliche Möglichkeiten für Bildung, berufliche Entwicklung, Lebensstil und Reisen zu besitzen. Doch das ist eben nur ein Gefühl, das einem Vergleich mit der sozialistischen Gesellschaft nicht standhält, und das spätestens an der finanziellen Grenze zerschellt, die gesetzt ist, und die zugleich auch die sozialen, d.h. die klassenmäßigen Schranken markiert. Dem Gefühl nach werden Ausbeutung, soziale Ungleichheit, bürokratische Willkür und imperialistische Kriege oft akzeptiert und für ´normal´ gehalten, sozusagen als der ´Preis der Freiheit´ –auch wenn oft die Erkenntnis eine andere ist.“

Der Wissenschaftler O. war einst hoch angesehen, auch international. Auf einem sehr wichtigen Spezialgebiet. Unentbehrlich für weitere Forschungen. Behauptete sich durch große Fähigkeiten und enormes Wissen. Dann besetzten die neuen Herrscher das Land: Raus aus dem Unternehmen! Wir brauchen Sie nicht! Er, der Professor: Ich will ja nur weiter auf meinem Fachgebiet forschen. Atempause. Kurzes Überlegen beim Evaluierer. Das Angebot: Er möge das Materiallager übernehmen...

Diese Demütigung wird Professor O. niemals vergessen. Gibt es eine größere Frechheit, eine größere Dummheit? Eine größere Verachtung geistigen Schaffens? Da war sie – die berüchtigte westliche Arroganz. Ungeist duldet keinen Geist neben sich. Oder wollte man aus ihm einen Hofnarren machen? So wie im Jahre 1714 Friedrich Wilhelm I. den Präsidenten der preußischen Akademie der Wissenschaften Jacob Paul von Gundling in sein „Tabakskollegium“ befiehlt und ihn fortan zum Hofnarren stempelt? (Karl-Heinz Otto, „Gundling“, Edition Märkische Reisebilder, 1. Auflage 2003, Seite 18.)

Und heute als Rentner? Professor O. sitzt gerne am Computer und schreibt und schreibt. Politische Texte. Auch Rezensionen. Lässt er davon etwas per online ins Netz entwischen, dann kann er sich mitunter frisch machen. Zustimmung auf der einen, Zeckenbisse auf der anderen Seite. Er sei einer, der die neue Zeit verschlafen habe, ein Ewiggestriger, ein Träumer. Ihn möge man bald entsorgen, aber das Alter tue es ja ohnehin, biologisch sozusagen…

Die Täuschung - „SO oder SO“

Wo ist der Sinn des Lebens geblieben? Der Professor liest folgende treffende Worte in der Monatszeitschrift RotFuchs vom August 2014: „Die Erosion der unipolaren Weltordnung seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich durch die Ukraine-Krise beschleunigt, während Rußland als aufsteigende Großmacht neues Selbstvertrauen gewinnt. Es ist nicht gewillt, der 20jährigen NATO-Ausdehnung auf seine Kosten weiterhin keinen Widerstand entgegenzusetzen.“

In der gleichen Schrift schreibt die Autorin Samira Manthey von der Methode der Eliten, Zweifel und Hoffnungslosigkeit zu säen, indem den Lesern eingetrichtert wird, man müsse alles „so oder so“ sehen. Begriffe würden ihre Eindeutigkeit verlieren, Möglichkeiten wären schöner als `Festschreibungen, „es gäbe keinerlei Gemeinsamkeiten zwischen Individuen und vor allem nicht die daraus resultierende Verantwortung füreinander.“

Alles so oder so sehen? Nach keinem Standpunkt streben? Keine Meinung, keine Urteilskraft ausbilden wollen? Welch ein Verlust an Werten geht da vonstatten, fragt sich Herr O. Er hat von der USA-Militärdoktrin gelesen, vom Bestreben Washingtons, in der Welt zu dominieren, Europa als Aufmarschgebiet gen Osten unter seinen Fittichen im Griff zu behalten. Was kann er, der Herr Professor, dagegen tun? Eigentlich gar nichts. Oder doch? Vielleicht eine Buchlesung organisieren? Als Hilfe zur Aufklärung? Um zu zeigen, mit welchem Menschenbild und mit welchen Methoden das Weltkapital gegen die Völker vorgeht? Beginnen würde er als Verehrer des russischen Schriftstellers Anton Tschechow mit dessen Erzählung vom Jahre 1889 „Eine langweilige Geschichte“. Ein Zitat ist ihm ans Herz gewachsen:

„Wenn im Menschen nicht das lebt, was höher und stärker als alle äußeren Umstände ist, dann freilich genügt für ihn ein ordentlicher Schnupfen, um das Gleichgewicht zu verlieren und in jedem Vogel eine Eule zu sehen, ...“ (Seite 87).

Auf Seite 90 bedauert der Dichter jene Menschen, die sich von keiner Idee, sprich Weltanschauung, leiten lassen, als arme Seelen, als Kreaturen, die „keine Zuflucht“ finden. Und er hänsele gerne, wo er „mit einem Fuße schon im Grabe stehe!“ ( Seite 71, Insel-Verlag, Leipzig 1977).

Wer sucht und findet heute, im Jahre 2014, Zuflucht, Lebenssinn? Es scheint, Tschechows literarische Mahnung im zaristischen Russland würde nach fast 130 Jahren fortgeschrieben werden müssen. Diesmal in Europa, mehr noch in Deutschland. Nur unter einem anderen Titel. Der sollte lauten: „Arme Seelen zwischen allen Stühlen.“

Wie soll man sich positionieren? Gibt es fertige Antworten? Wie ist es mit der Neugier bestellt, mit dem Drang nach Bildung? Was geschieht heute in und mit der Gesellschaft? Muss er sich eine Antwort geben? Soll es ihm wie dem alten russischen Professor ergehen, den der gute alte Anton Tschechow im Regen stehen ließ, als dieser seiner Pflegetochter nicht darauf antworten konnte, worin der Sinn des Lebens bestehe. Wer und warum verführt und verdummt man die Hörer und Leser? Weiß er es, der heutige Prof. O.?

Liebe contra Menschenverachtung

Herr O., angetrieben von inneren Ängsten, ob die Welt nunmehr im Jahre 2014 am Scheideweg steht, ob wieder Kriege dominieren oder die Hoffnung auf ewigen Frieden, zweifelt. Wer ist schuld am Dilemma zwischen neuerlichem Waffengeklirr und der Lethargie, der Abwartehaltung vieler „armer Seelen“? Wer will das eindeutig beantworten? Wo „es uns doch so gut geht?“ Sind etwa die Politik und die Medien mit ihren Denkschablonen, Verführungskünsten und Verhaltensmustern so leicht zu durchschauen? Steht bei denen der Mensch im Mittelpunkt? Ja doch, rufen die Zecken. Du darfst alles, du bekommst alles. Du musst nur kaufen auf Teufel komm raus. Dann bist du okay. Ist das nicht eine Absage an das Menschsein, fragt sich Herr O. Eine Antwort findet er in der Zeitung „junge welt“, geschrieben von Werner Seppmann:

„Es wird ein Menschenbild negiert, das als Gegenprinzip zur Welt der Entfremdung und Verdinglichung dienen könnte. Die theoretische Abwertung des Menschen korrespondiert mit der Weigerung, sich überhaupt noch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und den von ihnen produzierten Entfremdungsformen jenseits symbolischer Beschwörungsrituale auseinanderzusetzen.“

Liebe oder Menschenverachtung? Was dominiert? Was soll man dazu sagen, wenn bereits Studenten darauf getrimmt werden, die Politik und vor allem das Soziale nicht mit ins Kalkül ihrer Bestrebungen zu ziehen? Es sei nicht notwendig, sich mit diesem unnützen Zeug zu beschäftigen? So gelesen in dem soeben veröffentlichten Büchlein „Warum unsere Studenten so angepasst sind.“ Autorin: Christiane Florin.

Ist diese Anpassung nur bei Studenten anzutreffen? Warum ganze Heerscharen von Hörern und Lesern schlucken sollen, was die Oberen samt ihrer Medien verkünden, fragt sich der Rentner. Er sammelt und sammelt in online-Zeitungen und politischen Sachbüchern. Und wird fündig...

Geist verscharren & Geist retten

Es ist der fünfzehnte August. Den Herr Professor O. schüttelt ein Lach- und gleichzeitig ein Weinkrampf. Da wurde in den Nachrichten gemeldet, der Kopf des großen Denkers Lenin sei einst nach der sogenannten Wende im Walde vergraben worden. Die einen frohlocken, die anderen verspüren symbolisch einen großen Verlust. Die Ersteren glauben mit Sicherheit, mit dem Verscharren des Granitschädels die Menschheit auf ein Nimmerwiedersehen von seinem Geist befreit zu haben, die Gegenspieler sind nicht müde geworden, ihn wieder – symbolisch – aus der Erde zu kratzen. Angst vor dem großen Geist auf der einen Seite – Verlust und Wiederbelebungsversuche auf der anderen. Zwei Pole, die sich gegenseitig abstoßen. Die den tieferen Grund bilden für das Dilemma in unserer Welt. Die einen verscharren den menschlichen politischen Geist – die anderen kratzen ihn wieder an´s Tageslicht. So oder so...

Zu den Ersteren gehört auch Brandenburgs Ministerpräsident. Der lässt am 17. August 2014 im „Märkischen Sonntag“ verlauten: „Unser Nachwuchs muss ein so bedeutsames Datum kennen und einordnen können (er meint den 13. August 1961, Anmerkung H.P.). Auch wenn wie heute selbstbestimmt und in Freiheit leben, so bleibt es zugleich wichtig, an das Unrecht und an die Mauertoten zu erinnern.“

Was faselt da Herr Woidke (und andere Politiker stoßen in das gleiche Horn), man müsse etwas einordnen können? Wenn bei TV-Umfragen fast jeder zweite gar nicht mehr weiß, wann die „Mauer“ erbaut wurde? Wenn deren Sinn flöten gegangen ist, wenn die geschichtlichen Ursachen des vom Westen provozierten Kalten Krieges totgeschwiegen und lediglich auf Tränen, Familientrennungen und Opfer in der Berichterstattung reduziert werden? Die Betrachtungsweise, das „So oder so“ bekommt damit eine viel größere und wichtigere Funktion, eine politische Dimension. Zu kurz gedacht?

Da quasselt der Herr Bundespräsident - und mit ihm die ganze Clique der Politischen und Kapitalmächtigen - bei der Beurteilung des Ersten Weltkrieges lediglich von den Schrecken der menschlichen Katastrophe, und das Jetzige müsse mit der Waffe in der Hand europaweit verteidigt werden. So gauckelt einer rum, der unter Freiheit lediglich die Finanzgewaltigen und deren Machtfestigung meint. Und die Verursacher der Kriege? Dazu kein Wort, das wäre ja Selbstmord. Dafür schwingen andere Töne durch den Äther: „Wir sind wieder wer!“ Auch mit Waffenlieferungen an die irakischen Kurden? Großmachtgelüste lassen grüßen.

Niemand der sogenannten Eliten und ihrer Marionetten hat das Wohl der Menschen im Auge. Was bist du als Bürger im Kapitalismus? Freiwild auf dem Wild-Tanz-Parkett des ungezügelten Marktes. Wenn du kein Konsumidiot sein willst und kannst - dann bist du ein überflüssiger Mensch. So einfach und brutal ist das. Das einstige WIR tendiert zum ICH! Deshalb lobpreisen sie den Individualismus. Zertreten kollektive Erfahrungen. Zerschmettern jeglichen Rest von Solidarität, lassen dem Zwischenmenschlichen mit ihrer kalten Gier nach Profit keinen Raum mehr. Predigen die Selbsthilfe, um Geld zu sparen. Soll doch jeder zusehen, wie er weiterkommt. Der Staat hält sich raus. Weitgehend. Und die Deutschen erklimmen im europäischen Raum eine Vormachtstellung. Für wen bitte? Und züchten gehorsame Mitläufer. Auch mit dem Sturmgewehr in der Hand?

Freiheit für wen? Und diesen Begriff benutzen die Oberen heute als Schlagwort! Nichts steckt dahinter als das was tatsächlich gemeint ist: Die Herrschaft des Kapitals. Dafür sollst du leben, dafür sollst du zahlen, dafür sollst du - einst unter dem Motto für Gott und Vaterland - dein Leben geben. Ist hier jemand betrunken? Im Kern geht es um eine sehr grundlegende Fehleinschätzung der realen Welt. Die einfach existiert, und zwar ohne den Willen der Menschen. Diesen Natur- und gesellschaftlichen Gesetzen hat sich die Menschheit unterzuordnen. Freiheit ohne deren gesetzmäßige Grundlagen zu betrachten bedeutet schlechthin eine idealistische Sicht. Sie zu berücksichtigen, um keine Fehldiagnosen zuzulassen, erfordert, eine marxistische Sicht einzunehmen. Also eine realistische, dialektische Sicht. So einfach liegen die Dinge, will man sich nicht von den Herrschenden verkohlen lassen. Da hilft keine Frömmelei, kein Wille, es sich menschlich einrichten zu wollen - wenn du gesetzmäßige Abhängigkeiten und Zusammenhänge arrogant ignorierst, dann zum Teufel mit dir. Dann gehst du halt bei stürmischer See ins Wasser und der Sog zieht dich hinaus auf ein Nimmerwiedersehen. Tödlich wird das Ganze, wenn man dem ursächlich vorhandenen Zusammenhang zwischen Maximalprofit und der Entstehung und dem Führen von Kriegen aus dem Wege geht. Tödlich für Millionen von Menschen. Gewinnbringend für die angestrebten Millionen der Kriegsgewinnler. So oder so.

Um Symptome oder Ursachen?

„So oder so?“ Sozialismus oder Barbarei? Frieden oder Krieg? Muss man da noch überlegen, abwägen? Wo leben wir? Diese schwankende, lavierende Unverbindlichkeit als Methode. Sie folgt haargenau dem oben geschilderten bürgerlichen Menschenbild. Du hast stets die Wahlmöglichkeit. Oben sein, ganz oben, oder im Nirgendwo landen. „Na und?“, meint mancher Zyniker. Substanz oder Inhalt. Reden oder Tun. Sich mit Symptomen begnügen oder den Ursachen auf den Grund gehen? Verpackung oder Inhalt. Make-up oder Leere. Oberfläche oder Tiefe. Das Böse oder das Gute? (Übrigens die einfältigste Sicht, die es gibt auf Erden.) Wachstum statt Fortschritt, Konflikt statt Krieg, Kollateralschäden statt zivile Opfer.„Tafeln“ als Aushängeschilder des sich sozial gebärdenden Staates. Da rühren die Allmächtigen am Schlaf der Welt, rühren die Kriegstrommeln - und keiner regt sich auf? Befinden wir uns noch im Wachzustand?

Inhaltslose Formenspielerei auch in Ausstellungen und Museen. So nahm Werner Seppmann in der „jungen Welt“ vom 10.08.2012 unter dem Titel „Ästhetik der Banalisierung“, folgende Erscheinungen unter die Lupe, hier nur in Stichworten wiedergegeben: Ästhetisierende Belanglosigkeiten, die sich formal und inhaltlich im Kreis bewegen. Immer seltener: ernsthafte und herausfordernde Fragen. Das bloße Konstatieren bietet keine Perspektive des Erkennens sondern festigt verdinglichtes Alltagsbewußtsein. „Die Herrschaft der Zeit“ sei nur die Kehrseite eines gesteigerten sozialen Anpassungs- und Bewährungsdrucks. Die Dominanz einer penetranten Selbstbezüglichkeit. Lösungsvorschläge für die drängenden Gegenwartsfragen werden auf die esoterische Seinsvergessenheit herabgezogen. Abschied von der Vernunft und sozialen Ansprüchen: postmodernes Denken. Dezentrierung des Subjektes. Überwindung des Logozentrismus oder der posthumanistischen Perspektive. Wörtlich: „Soll die herrschende Atmosphäre der Resignation und Gleichgültigkeit … gefestigt werden, muss progressives Wissen um die gesellschaftlichen Veränderungsmöglichkeiten und die Überwindung von Fremdbestimmung zerstört werden.“

„Ich will, dass unsere Frauen, Kinder, Freunde und Schüler in uns nicht den Namen und nicht die Etikette lieben, sondern einfach den Menschen“, schreibt Anton Tschechow in der langweiligen Geschichte auf Seite 86.

Zum Haare raufen! Das verbietet niemand. Das „großartige“ demokratische Angebot der Mächtigen im pluralistischen System: Da darfst´e schreiben oder quasseln bis dein Kopf qualmt, schimpfen, randalieren, die Politik fertigmachen, demonstrieren. Du darfst lesen oder den TV einstellen, einen anderen Sender wählen oder alles auch sein lassen. Du darfst überhaupt alles rausschreien in Mails, Briefen, Beschwerden und Artikeln - das Ganze hat nur einen Haken: Es geht alles durch ein unsichtbares Sieb. Das nennt sich nicht Zensur, nein, nein, es ist eine Methode der Ablenkung, des Totschweigens, der Orientierung auf Banalitäten, auf Nebensächlichkeiten. Die angepriesene Vielfalt soll für Demokratie stehen. Das ist irritierend. Und bemäntelt gleichzeitig die wahren Absichten der oberen Zehntausend nach Macht und Profit auf Kosten des Sozialen. Die Negierung des Gesamtzusammenhangs - das ist Ideologie der schlimmsten Art, das ist gewollt. Was ist eine Hochwassergefahr, die gebändigt werden kann, gegen eine mächtiger werdende geistige Kloaken-Flut? Unterhaltung aber auf seichteste Art liegt immer gut im Rennen, lässt sich gut verkaufen, ist richtig cool. Herr O. kann ein Lied davon singen...

So wird Verdruss geboren. Gleichgültigkeit. Und Untätigkeit, etwas ändern zu wollen und zu können. Manche greifen zum Alkohol, andere beten wieder, vielen ist es schnuppe, sie arbeiten und machen sich keinen Kopf. Viele jüngere Leute besinnen sich nur auf sich selber. „Viele junge Menschen leben völlig losgelöst von echter gesellschaftlicher Aktion als schnäppchenjagende Konsumenten und törichte Objekte politischer Manipulation. Das geschieht zur Freude derer, die Solidarität und echte Massenimpulse gar nicht erst aufkommen lassen wollen.“ (RotFuchs August 2014)

Das Politikverständnis habe sich verflüssigt, bemängelt Christiane Florin in ihrem in Teil I genanntem Buch zu den angepassten Studenten auf Seite 20, es sei unterspült „von einer Mischung aus Desinteresse und punktuellem Engagement. Verflüchtigt hat sich der Gedanke, dass politisches Bewusstsein zum Erwachsenwerden dazugehört.“

Schwindet mit dem WIR die Verantwortung des Einzelnen für das Ganze? Dazu ein Zitat aus dem „RotFuchs“ (August 2014, S. 13): „In einer Zeit, in der sich die Tagespolitik fast ausschließlich mit Krisen und Kriegen beschäftigt, werden Völkerrechtsverbrechen und der Bruch elementarer Menschenrechtsnormen zur Gewohnheit. Man nimmt sie gewissermaßen als Begleiterscheinungen des politischen Geschehens hin, weil ja ohnehin niemand zur Verantwortung gezogen wird. Die Eigenschaft des menschlichen Verstandes, Autoritäten und Entscheidungen zu hinterfragen, ist vielen leider abhanden gekommen. Eine perfide Propaganda entzieht ihnen die Fähigkeit, über Zusammenhänge tiefer nachzudenken, zumal sich das Leben der meisten auf einen reinen Existenzkampf reduziert hat. Der verbleibende Rest an frei verfügbarer Zeit wird immer mehr mit Late-Night-, Talk-, Dschungel- und Ekel-Shows sowie Videospielen vergeudet. Da bleibt für eigenes Denken kein Platz. Begriffe wie Recht und Gesetz werden von den Herrschenden bagatellisiert oder instrumentalisiert, wenn sie ins Bild passen, um noch so abstruse Ziele oder Geschehnisse zu rechtfertigen.“

Nein, nein, Herr O. lässt sich nicht mehr täuschen: Weder bei gutem Essen noch bei geistiger Kost, weder beim Einkaufen noch bei verführerischen Werbetelefonaten, weder bei falschen Versprechungen noch bei angeblichen Mogelpackungen, weder bei inhaltlich flachgebürsteten TV-Produktionen noch bei oberflächlichen Talk-Shows, weder bei fehlerhaften Diagnosen von Ärzten noch bei falsch servierten Speisen im Restaurant. Tiefgründige Diagnosen? Fehlanzeige, das gefährdet das Überleben der angeblichen Elite.

Wer wehrt sich? Zwischen Kriegsgeschrei auch ein Mahnruf der Linken, endlich mal wieder: So ist in der jungen Welt vom 14.08.2014 mit der Überschrift „Gescheiterte Staaten in Serie“ eine Gemeinsame Erklärung der Vorsitzenden der Partei DIE LINKE, Bernd Riexinger und Katja Kipping, sowie des Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi, zu lesen: „Die Welt steht am Scheideweg zwischen einer neuen Ära der Eskalation in Blockkonstellationen und einer Renaissance internationaler Konfliktlösungsmechanismen im globalen Maßstab.“

Stehen auch die Menschen am Scheideweg? Was tun, wenn ihnen lediglich ein Ist-Zustand vorgezeigt wird, wenn ihnen Ursachen vorenthalten werden? Das ist geistige Unterdrückung. Das verdirbt und vernebelt die Hirne, das macht die Menschen letztendlich krank und gefügig. Damit ist die Verführung perfekt, der Magen verdorben und das Hirn entleert. Das Resultat oberflächlicher und inhaltsloser Berichterstattung: Kälte, Enthemmung, Leichtsinn, Arroganz, Interessenlosigkeit, Unglaube an Veränderungen, Inaktivität, Zurückziehen auf das nur Private. So beginnt der langsame Tod, die seelenlose Etappe des Absterbens der eigentlichen Werte - der Frage nach dem Sinn des Lebens. Des Zustandes, dass es keine Fragen mehr gibt. Die Armut des Materiellen hat eine Schwester: Die Armut der Zufriedenen, die sich behaglich zurücklehnen und im „Berufsleben“ stets auf Lauer-Position sein müssen. Gleichgültigkeit und Abscheu vor Politik, das ist Verfall.

Herr Professor O. und Tschechow-Verehrer wird seine Buchlesung halten. Seine Krankheit der drohenden Sorg- und Interessenlosigkeit hat er überwunden. Selbstbestimmt. Wenn auch das Wort noch kein Tun ist. Er wird, das ahnt er, seine Lesung über den Sinn des Lebens womöglich in einem halbleeren Saal halten. Seine Gedanken? Werden sie ins Leere gehen? Vor müde abnickenden Studenten? Wäre das ein Zeichen des Verfalls? Das Unbehagen jener Schreiberlinge in Zeitungen und Sachbüchern, die Zustände zwar markieren, treffend und kritisch oft, sozusagen in jedes Fettnäpfchen tretend, hält an: Lösungen sind nicht in Sicht? Bleibt es dabei: So oder so? Arme Seelen zwischen allen Stühlen? Oder übersieht er sie – die Anzeichen vom Widerstand der Unzerbrechlichen weltweit? ...

Lieber Anton Tschechow, es wird wieder andere Zeiten geben, versprochen!

(Erstveröffentlichung in der Neuen Rheinischen Zeitung:
http://www.nrhz.de/flyer/suche.php?resso..._menu=Literatur )

Mehr über den Rezensenten: http://cleo-schreiber.blogspot.com

Thema: Der Fall Snowden - von Glenn Greenwald
pomme

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Der Fall Snowden - von Glenn Greenwald 23.10.2014 12:58 Forum: Bücher und Printmedien

„Die globale Überwachung. Der Fall Snowden...“ - von Glenn Greenwald

„...überzeugt, das Richtige zu tun.“

Buchtipp von pomme

Es war der neunte Juli 2013, genau 14 Uhr (Ortszeit USA-Ostküste), da hielt die Welt wieder einmal den Atem an: Ein Name jagte um den Erdball: Edward Snowden. Der Mann, der den Mut hat, ein menschenverachtendes und höchst geheimes Überwachungssystem, den NSA (Nationale Sicherheitsbehörde, der größte Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten) ans Tageslicht der empörten Öffentlichkeit zu zerren. Von den einen sofort als „Außenseiter, als Krimineller und Verbrecher“ abgestempelt, von der Masse der Völker allerdings frohlockend begrüßt, nein, bejubelt. Hatte er doch dem amerikanischen Unterdrückungssystem gegen die Privatsphäre aller Menschen und Völker die Maske vom Gesicht gerissen.

Und das zu Recht. Vertiefend nachzulesen in dem kürzlich veröffentlichten Buch mit dem Titel „Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen“. Den Namen dieses Autors sollte man sich merken – Glenn Greenwald. Er gehört mit zahlreichen anderen Publizisten und mutigen Widerständlern zu jenen aufrechten Demokraten, die von der Kapital-Elite der USA – und wohl auch von anderen Mächtigen dieser Welt – verteufelt und bedroht werden.

Edward Snowden, der von ihm mit aller Vorsicht ausgewählte Publizist Glenn Greenwald sowie die Publizistin Laura Poitras wurden indessen weltweit geehrt. Für ihren Mut, für ihre Standhaftigkeit, für ihren selbstlosen Einsatz zum Schutz der Menschenrechte.

Um es vorweg zu nehmen. Das Buch mit seinen 368 Seiten ist keine Unterhaltungsliteratur schlechthin. Es ist ein Trompetenstoß, wie manche Journalisten diesen Aufschrei gegen Machtmissbrauch bezeichnet haben. Es ist, da mache man sich nichts vor, ein Aufruf zur Gegenwehr. Ein Stich ins Wespennest der Mächtigen. Und es ist unbequem für politische Weicheier. Für Langsamdenker und Gar-nicht-Denker.

Im ersten Teil des Buches berichtet Glenn Greenwald von geheimnisvollen E-Mails (die erste am 01.12.2012) von einem völlig Unbekannten. Darin wurde er darum gebeten, seine Korrespondenz streng zu verschlüsseln, denn der Absender wolle – so stellte es sich heraus – hochgradig geheime Daten, die Politik betreffend, veröffentlichen. Glenn erzählt sehr spannend, wie der Kontakt mit seinem Dialogpartner unter Beachtung aller konspirativen Regeln Schritt für Schritt zustande kam. In Hongkong. Wie man sich gegenseitig fixierte, ob auch alles der Wahrheit entsprach, wie schließlich der Autor gemeinsam mit der Publizistin Laura Poitras jene Medien (zum Beispiel die Redaktion des Guardian) ausfindig machte, die für eine robuste und rücksichtslose Veröffentlichung der „heißen Ware“ in Frage kämen. Dass dies bereits ein Kampf um eine ehrliche und kritische Berichterstattung war, kann man sich denken.

Bevor ich näher auf die so wichtigen Motive und Beweggründe der Whistleblower eingehe: Der Autor versteht es nicht nur, die Spannung auch in den Kapiteln seines großartigen Buches aufrecht zu erhalten, in denen er auf die Gefahren der Massenüberwachung im digitalen Zeitalter aufmerksam macht, sondern den Leser auch hinter die Kulissen der Medien-Kraken schauen und erschauern zu lassen. Dabei steht nicht nur die Regierung der USA im Visier der Analyse, die nach dem 11. September 2001 unter dem Begriff „Terrorgefahr“ ein ganzes Bündel von radikalen Maßnahmen, von der Folter bis zum Einmarsch in den Irak, gerechtfertigt hat. Kritisch sei angemerkt: Der Abschnitt über die vielfältigen technischen Möglichkeiten der begierigen Blicke in die Hirne der Menschen mit sehr zahlreichen Dokumenten als Belege, hätte gut und gerne auch im Anhang seinen würdigen Platz finden können.

Manch einer könnte sich fragen: warum rennt man so gegen die Machthaber an? Das bringe doch wenig. Und Kraft kostet es auch. Wofür und warum also? An dieser Stelle ein großes Lob für den Autor. Es gelingt ihm, in die Seele des Snowden einzudringen, in sein Warum und Wofür. Ebenso legt der Autor auch seine persönlichen Beweggründe dar, denn schließlich ist die Gefahr sehr groß, hinter Schloss und Riegel transportiert zu werden. So lesen wir zum Beispiel auf Seite 364: „Snowdens Furchtlosigkeit und sein unerschütterlicher Gleichmut – gegründet auf der Überzeugung, das Richtige zu tun – waren die Triebkraft für meine gesamte Berichterstattung in dieser Sache und haben mich für den Rest meines Lebens nachhaltig beeinflusst.“ Snowden: „Ich will eine weltweite Debatte über Privatsphäre, Freiheit im Internet und die Gefahren staatlicher Überwachung anstoßen. Was mit mir geschehen wird, das macht mir keine Angst. (…) Angst habe er nur, „dass die Menschen diese Dokumente sehen und mit einem Achselzucken darüber hinwegsehen...“ (S. 34)

Auf Seite 71 vertieft Snowden seine Aussage: „Der wahre Wert eines Menschen bemisst sich nicht nach dem, woran er vorgeblich glaubt, sondern nach dem, was er tut – wie er handelt, um für seine Überzeugungen einzustehen.“ Das Einzige, womit er nicht leben könne, wäre das Wissen, nichts getan zu haben. (S. 82) Nicht seine Person stehe im Mittelpunkt, sondern der NSA. (S. 315) Den Schlaf hätten ihm nur die Gedanken an seine Familie geraubt, mit der er keinen Kontakt haben durfte. Die Regierung könne an ihr oder seiner Freundin Vergeltung üben. (S. 123) Klein und gefügig sei ein Mensch nur, wenn er Angst habe vor Konsequenzen, etwa der Fixierung auf Geld, Karriere und Sicherheit. (S. 73)

Welch eine Kraft, welch eine moralische Stärke spricht aus solchen Motiven, über die Thomas Mann einst schrieb, das Innere eines Menschen aufzuschließen, es in die stärkste Bewegung bringen, sei das Wichtigste in der Literatur. („Es geht um den Menschen, Prosa aus fünf Jahrzehnten“, Seite 286/287, sich auf Walter Scott beziehend.)

Greenwald richtet sich mit Snowden und anderen Publizisten darauf ein, dass ein couragierter Journalismus von nöten sei, um mit den 120 hochgeheimen Snowden-Dokumenten eine enstprechende Durchschlagskraft der Story zu erreichen. Zu brechen seien die ungeschriebenen Regeln des Establishment-Journalismus, der ängstliche servile Journalismus. (S. 88-95) Statt Knüller sei eine furchtlose Enthüllungsstrategie zu bieten. So entlarvt der Autor die Angriffe auf die Internetserver mit Hilfe von Satelliten, Unterseekabeln, Telefonsystemen und der Personalcomputer. Es gehe nicht nur um Terrorverdächtige, sondern auch um Wirtschaftsspionage, um Ausspähung von Diplomaten, ja ganzer Bevölkerungen der verschiedenen Länder. Die NSA beschäftige 30.000 Personen, und 60.000 stünden unter Vertrag. Sie unterliege praktisch keinen Einschränkungen, wen sie ausspähen dürfe. Sie sei im Grunde eine "außer Rand und Band geratene Behörde". (S. 191) Die Folge von Angst in der Bevölkerung sei Wohlverhalten, Gehorsam und Anpassung. Das sei Terror der neuen Art, grenzenlose Macht und das bedrohe die Demokratie. Man sei auf dem besten Wege, die "Welt in den Griff" zu bekommen, so Greenwald auf Seite 291. Die Gefahr für jeden Einzelnen sieht der Autor in der Bombardierung von E-Mails, von Telefonaten, in der Löschung der Webpräsenz, der Infizierung durch Viren, der Löschung von E-Mails und der Verhinderung des Einloggens.

Glenn Greenwald belässt es nicht bei den Folgen und Gefahren der Massenüberwachung, er nimmt als erfahrener und freier Journalist auch die Medien, die "vierte Gewalt", unter Beschuss. Er fordert von den Journalisten stets eine kritische Haltung gegenüber den politischen Machthabern. Obama bezeichnen viele Journalisten als inzwischen "der repressivste Regierungschef seit Richard Nixon". Er sei eine ernste Bedrohung für die Pressefreiheit. (S. 304) Die Taktik der Medien bestehe in der Dämonisierung der Kritiker der Regierungspraxis, sie seien Kriminelle, Narzissten, labil und als Verbrecher zu bezeichnen. Auf den Seiten 328/329 charakerisiert er die Medien mit ihrem Modell des meinungslosen, farblosen und seelenlosen Unternehmerjournalismus als "zahnlose Tiger", die niemanden bedrohen, der Macht habe. Einige Zeilen weiter geht er einen Schritt weiter und markiert das sogenannte "Gebot" der Objektivität als Mittel, "um die Interessen der herrschenden politischen Klasse zu befördern". Die amerikanischen Medien seien alles andere als eine unabhängige Kraft. Sie seien integraler Bestandteil "der vorherrschenden politischen Macht". Deren vorrangige Motive: Nationale Interessen, Geld und Ego. (S. 239) Man habe, so der Autor, nur zwei Möglichkeiten: Anpassung an die institutionelle Autorität oder radikalen Widerspruch dagegen. (S. 323)

Das Fazit des Publizisten Greenwald: Snowdens Tat möge zu der Erkenntnis anregen, dass die Welt veränderbar ist, dass die Menschen in ihrer Gesamtheit die Fähigkeit besitzen, "selbst nachzudenken und Entscheidungen zu treffen – das ist der Sinn von Whistleblowing, von Protest, von politischem Journalismus".

Das Buch ist in einem sehr guten Sprachstil geschrieben und für jeden politisch aufgeweckten Bürger als großes Lese- und Erkenntniserlebnis zu empfehlen.

Edward Snowden: Geboren am 01.06.1983. Laut Angaben des Autors Greenwald (S. 64/65) stammt er aus einer Familie der Mittelschicht in North Carolina. Beide Eltern waren Staatsbedienstete. In der Highschool habe er sich unterfordert gefühlt und sie vorzeitig beendet. Im Alter von zwanzig Jahren war er zur US Army gegangen. Er galt in technischen Dingen als Naturtalent. Ab 2005 arbeitete er als IT-Experte für die NSA und für die CIA. Als Infrastrukturanalytiker hatte er Einsicht in geheimste Dokumente. Er begriff, dass die NSA daran arbeitete, „Zugriff auf die gesamte Kommunikation der Menschen zu bekommen“. (S. 75) Greenwald schildert Edward Snowden als hochintelligent und rational, sehr methodisch denkend. 

Glenn Greenwald: Der Jurist und Verfassungsrechtler Glenn Greenwald ist einer der einflussreichsten politischen Kommentatoren in den USA. Er war Kolumnist bei The Guardian und ist seit 2014 Mitherausgeber der publizistischen Website The Intercept. Seit der Aufdeckung der NSA-Affäre wurde er mehrfach für seine journalistische Tätigkeit ausgezeichnet; u.a. erhielt der Guardian den Pulitzer-Preis für Greenwalds Snowden-Enthüllungen. Das Magazin Foreign Policy ernannte ihn zu einem der 100 »Global Thinkers« des Jahres 2013. Greenwald hat mehrere Bestseller veröffentlicht, u.a. How Would a Patriot Act? Er lebt in Rio de Janeiro, Brasilien.

Die Internationale Liga für Menschenrechte vergibt die diesjährige Carl von Ossietzky-Medaille an den Whistleblower Edward Snowden, den Journalisten und Autor Glenn Greenwald und an die Publizistin Laura Poitras. Am 1. Dezember 2014 bekommt Glenn Greenwald außerdem den Geschwister Scholl-Preis in München verliehen. Edward Snowden wurde für den alternativen Friedensnobelpreis nominiert. (PK)

Glenn Greenwald: „DIE GLOBALE ÜBERWACHUNG. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen“, Gebundene Ausgabe: 368 Seiten, Verlag: Droemer HC (13. Mai 2014), ISBN-10: 3426276356, ISBN-13: 978-3426276358, Preis 19,99 Euro, Größe und/oder Gewicht: 21,8 x 14,8 x 3,2 cm


Erstveröffentlichung meiner Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung

http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20892&css=print

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Thema: Der stille Putsch
pomme

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Der stille Putsch 20.06.2014 18:32 Forum: Bücher und Printmedien

„Der stille Putsch“ - von Jürgen Roth

„Que se lixe a Troika“

Buchtipp von pomme

Eine Hymne singen die Portugiesen, die „Grândola". In Erinnerung an die 1975 vollzogene und 1976 durch einen gezielten Boykott der Reaktion unter Mithilfe der deutschen SPD niedergeschlagene „Nelkenrevolution", bei der sie den demokratischen Sozialismus mit dem Ausruf „Wir sind das Volk“ ins Visier gefasst hatten und heutzutage landesweit von sich hören lassen: „Que se lixe a Troika“. Das heißt „Zur Hölle mit der Troika.“
 
Ein Rettungsruf, der auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern die Runde machen wird. Er richtet sich gegen den sozialen und menschlichen Kahlschlag durch das Finanzkapital, durch Banken und Politik, gegen die Machenschaften der Troika. „Albtraum Europa“, sagt einer der bekanntesten und erfahrensten Journalisten Portugals, Rui Araùjo.
 
„Troika", dieses Wort klinge harmlos, so der Bestsellerautor Jürgen Roth in seinem neuesten Buch mit dem Titel „Der stille Putsch. Wie eine geheime Elite aus Wirtschaft und Politik sich Europa und unser Land unter den Nagel reißt.“ Tatsächlich aber bestehe dieses Gremium aus „Vertretern der EU- Kommission, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB)“ und sei ein politökonomisches Machtkartell, das von mächtigen Finanzinstitutionen und den Netzwerken der Machtelite nicht nur ideologisch befruchtet werde. (S. 27) Deren Interessen: radikaler Sozialabbau und die Einschränkung von Arbeitnehmerrechten.
 
Nicht neu ist die Feststellung des Autors, dass laut Angaben von Oxfam „ein Prozent der Weltbevölkerung fast die Hälfte des gesamten Weltvermögens in Höhe von 81 Billionen Euro“ besitzt. Nicht genug damit: 63.000 Menschen (davon 14.000 in Europa) haben zusammen ein Vermögen von 39.900 Milliarden Dollar gehortet, das natürlich - im Interesse der Machterhaltung im Konkurrenzkampf für noch mehr Geldmacht - angelegt und vermehrt werden muß. (S. 19) 147 internationale Konzerne, Banken und Hedgefonds maßen sich an, „über rund 40 Prozent der Weltwirtschaft“ zu bestimmen, so Goldman Sachs, Merrill Lynch, die Bank UBS und die Deutsche Bank. Und allesamt seien auch „bei den Bilderbergern wie bei anderen Eliteklubs zu finden“... (S. 55)
 
Was tun gegen die Putschisten, wie der Autor die Kapitalelite nennt? Im Klappentext finden sich vier Worte dazu: Sich „wehren können – und müssen“. Wie denn? Gibt es nicht genug Mahnungen, Aufrufe, Proteste, Demonstrationen, Bürgerinitiativen? Reihen sich nicht schon zahlreiche gesellschaftskritische Sachbücher aneinander wie Spatzen auf Telefondrähten? Wie erfüllen Autoren die Erwartungen der aktiven Leser nach Aufklärung und möglichen Varianten des Widerstandes gegen – sagen wir es glatt heraus – gefährliches kapitalistisches Macht- und Expansionsgehabe? Zumal neben ökonomischer Willkür und Ausbeutung nun auch verstärkt eine militärische Komponente hinzukommt, man denke nur an die Lobpreisung eines möglichen weltweiten Waffenganges durch Bundespräsident Gauck, an die sogenannte Neuvermessung der Welt als auch an den durch Obama heraufbeschworenen Führungsanspruch der USA in der Welt.
 
Doch zurück zum „stillen Putsch“. Der Titel reizt zum Lesen, sollte aber nicht missverstanden werden, dieser Putsch sei ein kollektiv geplantes und gut organisiertes Bündnis der Krafteliten, denn diese unterliegen dem Druck des schärfsten Konkurrenzkampfes, dem systemimmanenten Gehabe, dem unerhörten Drang, Kapital zu vermehren, zu akkumulieren, aus Geld noch mehr Geld zu machen. Das ist ein Zwang, der jede Moral mit Füssen tritt, der die Menschen als Konsumidioten abstempelt, die nur dazu da sind, die Macht des Kapitals zu schützen und zu mehren. Und dies unter der verlogenen Siegeshymne von „Freiheit und Demokratie“.
 
Um ökonomische und politische Zusammenhänge besser verständlich zu machen, damit man dagegen massiert protestieren kann – was belesenen Leuten leichter fallen dürfte – seziert der Autor auf 320 Seiten die politische Kaste, die wie eine Krake die Völker in Atem und unter Druck hält. Ihre Arme mit den vielen Saugnäpfen ragen in alle Richtungen dieser Geld beherrschenden Welt. Jürgen Roth hält sich dabei nicht nur mit Statistiken, Studien und Analysen auf, sondern füttert seine Impressionen und gründlichen Beobachtungen mit zahllosen Beispielen aus Italien, Griechenland, Portugal, Zypern und Deutschland, denen allerdings hin und wieder kurze Zusammenfassungen gut zu Gesicht gestanden hätten. Besonders die Länder Süd- und Westeuropas (Spanien und Portugal) müssen bei Strafe des Untergangs unter dem Druck eines zunehmend aggressiven Neoliberalismus ihre Wettbewerbsfähigkeit beweisen, und das – wie Jürgen Roth feststellt – unter dem Zwang von gesenkten Löhnen, von Einschnitten in die Sozial- , Gesundheits- und Bildungssysteme sowie u.a. unter dem Diktat des Verkaufs öffentlichen Eigentums.
 
Er wirft der Troika eine perfide Form der Erpressung gegenüber diesen Ländern vor, die knallhart fordert, man solle doch die Löhne und Arbeitsbedingungen den speziellen Bedürfnissen der Unternehmer anpassen. „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen“, so zitiert Jürgen Roth die hetzerische Bild-Zeitung. Der Autor warnt: Das sei nur der „Vorgeschmack darauf, was in Zukunft allen europäischen Ländern droht“: Verkauf öffentlichen Vermögens, ob Flughäfen, Energieversorgungsunternehmen, Post, Wasserversorgung oder Immobilien und Ländereien. (S. 248/249) Die „Pleitegeier“ also als mahnende Beispiele für Deutschland und die anderen Länder der EU.
 
Authentizität erreicht der Autor durch konkrete Orts- und Zeitangaben, mit denen er seine Berichte einleitet. Er knüpft zahlreiche persönliche Kontakte, führt sehr intensive Gespräche, und das nicht nur mit „hochkarätigen“ Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik, sondern auch mit dem Mann auf der Straße. Da kommen Akteure zu Wort, deren Namen nicht genannt werden dürfen als auch Opfer und Widerständler. Die Leser erfahren von Geheimbünden, von Korruption, von vernetzten Machenschaften der „Wirtschaftskriminalität“ im engen Bündnis mit der Politik und den Medien. So entsteht ein lebendiges Bild dieser allmächtigen Geldkrake, das uns in der Welt noch tüchtig zu schaffen machen wird.
 
Entlarvend sind die verschiedenen Motive der geheimen Elite, die kaum ohne die mühevolle Kontaktfreudigkeit von Jürgen Roth ans Tageslicht gekommen wären. Da ist die Rede von der Attacke auf den Sozialstaat, von der allgemeinen Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, von der verlogenen und vorgetäuschten aber illusionären Aufhebung der Klassengegensätze zwischen Arbeit und Kapital, vom Profit als dem endgültigen Maß aller Dinge (S. 49), von der Gestaltung Europas zum „Wohle der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Konzerne“ (S. 87), von der Krise als perfektem Vorwand, die Menschen zu erpressen (162), von der Angst vor dem Kommunismus (186), von der Hirne vernebelnden Behauptung der Überschuldung, man habe über seine Verhältnisse gelebt (S. 217), von der Behauptung, der Grund für die Krise sei die öffentliche Verschuldung. (S. 21cool
 
Kommen wir auf die eingangs gestellte Frage nach dem „Wie wir uns wehren können – und müssen“ (siehe Klappentext) zurück. Was tun gegen Sozialabbau und Willkürherrschaft statt echter Demokratie? Auf der Seite 263 zitiert Jürgen Roth den Juristen Wolfgang Hetzer, der davon spreche, „dass die Schwelle zum Bürgerkrieg dann überschritten werde, „wenn die Leute begreifen, was mit ihnen passiert. Wenn sie erkennen, wer die Rechnung bezahlt für diese misslungene Politik und die Anmaßung der Finanzindustrie“. Und auf Seite 289 fragt sich auch der Autor, ob dieser stille Putsch der Geldmächtigen wieder rückgängig gemacht werden kann und von wem? Ein Trostpflästerchen: 2013 fand in Athen der große alternative Gipfel der europäischen sozialen Bewegungen statt, auf dem in einem Manifest auf Alternativen aufmerksam gemacht wurde. (S. 289)
 
Doch reicht das? Spielte da die 11. Feuerbachthese eine Rolle, wenn Jürgen Roth Bernd Klees zitiert, den ehemaligen Professor für Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialrecht: „Illusionäre Visionen können unter Umständen ihre volle Kraft entfalten, wenn ihre Zeit gekommen und die Verhältnisse sich als unrettbar verkommen und morsch erweisen sollten.“ (S.291) „Von diesem Zeitpunkt sind wir nicht mehr weit entfernt", so der Autor, „wenn es so weiter geht wie bisher."
 
Möge also die Illusion, das Hoffen auf Veränderungen im gesellschaftlichen Gefüge nie im Getöse von Verblödungen seitens der Politik und ihrer Medien untergehen, wobei der Autor mahnend auch an die niedergeschlagene Nelkenrevolution in Portugal (u.a. S. 191 bis 197) erinnert...
 
„Der stille Putsch“ ist eine sehr informative Lektüre, ein Enthüllungsbuch, allein durch die authentischen Berichte der Zeitzeugen und der klaren Sprache des Autors. Jedoch sollte jeder Interessierte auch beachten, dass Zustandsberichte noch keinem der herrschenden Ein-Prozent-Diktatoren weh getan haben. Zum Schaden für die Wirtschaftsverbrecher und Kriegsprofiteure wird es erst dann kommen, wenn die Empörten das Korsett der bürgerlichen Enge sprengen, die Schuldigen enteignen und auf die Anklagebank setzen, sich aus dem Würgegriff des Kapitals befreien. Wie sagt man in Portugal und anderswo? „Que se lixe a Troika“ - Zur Hölle mit der Troika. Der Widerstand braucht einen langen Atem.
 
„Wissen Sie, dass der reiche Kapitalismus das Wertvollste, das es für den Menschen gibt, niemals finanzieren kann: soziale Sicherheit und ein Leben ohne Zukunftsängste. Die arme DDR konnte das." Dieses Zitat fand der Rezensent in einem Beitrag von Ulrich Gellermann, siehe http://www.rationalgalerie.de/kritik/das...iechenland.html und http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php. (PK)
 
Jürgen Roth, Der stille Putsch. Wie ein geheime Elite aus Wirtschaft und Politik sich Europa und unser Land unter den Nagel reißt. Gebundene Ausgabe: 320 Seiten. Verlag: Heyne Verlag (24. März 2014). Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3453200276, ISBN-13: 978-3453200272. 19,99 Euro
 
Erstveröffentlichung dieser Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung.

http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20450

Mehr über den Rezensenten: http://cleo-schreiber.blogspot.com

Thema: Cleo - ein authentischer Liebesroman
pomme

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Cleo - ein authentischer Liebesroman 24.04.2014 20:23 Forum: Bücher und Printmedien

Cleo

Persönliche Lebensbilder

Ein authentischer Liebesroman

Ein Buchtipp von pomme

(Das Buch „In die Stille gerettet“ nunmehr mit anderem Cover auch als eBook bei Amazon erhältlich, Autor Harry Popow)

Ohne Umschweife: Dies Buch kann einseitig ausgerichtete marktkonforme Leute sowie politisch schläfrige Gemüter möglicherweise in den Zustand missgünstiger Intoleranz versetzen, denn Henry, der Name der Hauptfigur dieses authentischen Romans, hat einfach Schwein gehabt – und das ein Leben lang. Bevor er Cleo, seine große Liebe, kennenlernte, fand er Antennen zur Literatur, zur Malerei, zur Natur, wie jeder andere junge Mensch auch. Er hatte den Krieg noch als Kind erleben müssen – gerade deshalb brachte er sich voller innerer Überzeugung im DDR-Alltag ein. Arbeitete in der Zwickauer Steinkohle Unter Tage, probierte sich als Geologe, zog schließlich die Uniform der KVP/NVA an, wurde Reporter in der Wochenzeitung „Volksarmee“.

An seiner Seite – Cleo. Mit ihr überstand er die sogenannte Wende. Mit ihr zog er sich in die Stille der schwedischen Wälder zurück. Sechs Jahre nach der Deutschen Einheit. Niemand trieb sie, keiner wurde steckbrieflich gesucht, keiner verunglimpft. Was trieb sie außerlandes? Stille Wünsche einerseits und Unvereinbarkeiten mit vermeintlichen neuen Zuständen andererseits?

In der Einsamkeit einer kleinen schwedische Waldsiedlung und im eigenen Holzhaus wühlt und kramt er in alten Aufzeichnungen, in Briefen und Erinnerungen, sammelt und hält fest, was ihn am großen Vorhaben fesselte, ein gänzlich anderes und neues Deutschland aufzubauen. Wie er sich in die Arbeit zunächst als Ausbilder und dann als Militärreporter stürzte, was ihn dabei freute und warum ihn Ungereimtheiten trotz mancher Kopfnüsse niemals kalt ließen…

Damals, in der Zeit der millionenfachen Aufbaumühen und der teils berechtigten Ängste vor neuen Gefahren für Staat und Macht… Erlebtes aus der Zeit der NVA und danach im Fernsehen der DDR wird so wieder lebendig, mündet schließlich in der nachdenklichen Frage, ob das Jetzige etwa das Nonplusultra sein soll?

Henry kehrte mit seiner Cleo nach neun glücklichen Jahren in Schweden 2005 nach Deutschland zurück – ohne je eine Minute des schwedischen Aufenthaltes zu bereuen. Doch seine Visionen – die Konturen einer warmherzigen menschlichen Gesellschaft ohne Kapitaldiktatur – läßt er nach wie vor nicht im Nebeldunst der oft einseitigen Stimmungsmache und Lügen über die DDR-Geschichte verschwinden. Und: Nach über fünfzig Jahren Zusammensein ist sie und bleibt sie seine ganz große Liebe – Cleo. Nur Schwein gehabt?

Als eBook bei Amazon erhältlich.

http://www.amazon.de/CLEO-Pers%C3%B6nlic...%2C+Alex+Buchta

Thema: "Fahr zur Hölle"
pomme

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"Fahr zur Hölle" 24.04.2014 20:21 Forum: Bücher und Printmedien

Operation Taubenhaus – ein Kriminalroman von CarlOtto

„Fahr zur Hölle“

Ein Buchtipp von pomme

Wir schreiben August 1947. „Fahr zur Hölle“, schmettert ein sowjetischer Offizier einer Frau hinterher. Sein wütender Ausruf gilt einer Bestie, die im II. Weltkrieg als SS-Aufseherin im Konzentrationslager Belizi (Außenlager des Frauen KZs Ravensbrück) Mitschuld trägt am Tod von 256 Häftlingsfrauen. Eben noch sollte sie erschossen werden, da kommt der Befehl von ganz oben: Stopp, Sibirien statt Tod! Sie verbüßte zehn Jahre Haft in sowjetischen Lagern und Gefängnissen der Staatssicherheit.

Und dann geschah das Unglaubliche: Sie wurde im Jahre 1992 – zwei Jahre nach der Konterrevolution in der DDR – von der BRD-Justiz rehabilitiert. Sozusagen geadelt, nachträglich. Dazu noch mit 63.350 DM Entschädigung belohnt. Man bezeichnet sie nunmehr als Opfer des Stalinismus. Typisch für die Nachwendezeit! Empörung macht sich schnell breit gegen diesen politischen Fehlschlag der Nachwende-Justiz. Doch das ehemalige Monster wiegt sich in Unschuld und Geborgenheit.

Wir schreiben das Jahr 1995 – sie wird tot aufgefunden. In einem Taubenhaus im Fläming. Nun wäre eine Geschichte fällig, in der der Mord aufgeklärt werden müsste. Ein Racheakt? Ein grausamer, politisch motivierter Sühnemord? Wer war der Mörder? Diese Fragen allein würden im Mittelpunkt stehen in einem Krimi, der über die gesellschaftlichen Zustände hinwegsehen würde. Also in einem superreinen Spannungskrimi.

Nicht so der Autor CarlOtto in seinem Buch „Operation Taubenhaus“. Er, der 1937 im sächsischen Grimma geborene und seit 1987 in Potsdam lebende freischaffende Schriftsteller, holt weit aus in der Geschichte und beschreibt auf 384 Seiten und in 21 Kapiteln akribisch genau die Hintergründe der „Arbeit“ der SS-Bestie, die Schreckensherrschaft der Gestapo, die Zeit in Gefängnissen der faschistischen Diktatur, die Gräueltaten in den KZ-Lagern, aber auch den Mut und die Widerstandskraft der KZ-Häftlinge.

So wird selbst den jüngeren Lesern deutlich, dass die Wittenbergerin Margot Kunzinger-Pieske zu Recht ihre Strafe abgesessen hat und zu großem Unrecht von der Justiz als politisch Verfolgte hochgejubelt wird.

Bleibt die Frage nach dem Mörder, der einen Racheakt, einen Sühnemord begangen haben könnte.

Der Verdacht fällt auf einen Sohn einer einstigen Häftlingsfrau, der belgischen Baronin Marie del Amere, die 1944 anstelle ihres Mannes, Jean, der als General der belgischen Untergrundarmee gegen die Faschisten kämpfte, als Geisel der Gestapo verhaftet wurde. CarlOtto charakterisiert die sich als unpolitisch bezeichnende Dame sehr warmherzig, die selbst in den Märchen stets das Gute gesehen hatte und dies auch ihren Kindern vermittelte. Selbst in den faschistischen Gefängnissen und Lagern findet sie Kraft, den Mithäftlingen Mut zuzusprechen. Sie stirbt 1944 an den Folgen der Haft und der Misshandlungen. Was Wunder, dass ihr Sohn Patrick – nachdem er von der Rehabilitierung der KZ-Aufseherin hört, auf Rechenschaft setzt.

Zweifellos, dieser Krimi ist spannend aus zweierlei Gründen: Erstens fragen sich die Leser, wie es kommt, dass die brutale SS-Aufseherin sozusagen nachträglich von den neuen deutschen Kapitalmachthabern aufs Ehrenpodest gehoben wird und zweitens, ob Patrick tatsächlich den Mord an Margot Kunzinger-Pieske, der Aufseherin seiner Mutter, begangen hat.

Beantwortet wird die erste Frage während einer Leserversammlung, organisiert von der Gedenkbibliothek, auf der die Bestie ihre in ihrem Buch festgehaltenen „Erinnerungen“ feilbieten wollte. Gereinigt von allen Untaten, von aller Schuld befreit. Ein Journalist funkt empört dazwischen: „...weshalb die Autorin ihre Rolle als SS-Aufseherin so verharmlose und die wahren Ursachen für ihre Verurteilung durch ein sowjetisches Militärtribunal schlichtweg ausblende.“ (S. 357) Darauf die Mitarbeiterin der Gedenkbibliothek: Der Journalist verdrehe die Tatsachen, das sei keine Wahrheitssuche, im übrigen gehöre das nicht zum Thema des Lesenachmittags. Patrick frohlockte, der Journalist hatte ihm aus dem Herzen gesprochen. Und nun war er an der Reihe, sprang auf und schilderte das Martyrium seiner Mutter im Konzentrationslager, forderte die SS-Aufseherin auf, ihre Schuld einzugestehen und sich bei ihren Opfern zu entschuldigen. (S 35cool Man gab den Ordnungskräften ein Zeichen. Patrick fand sich Sekunden später auf den harten Steinen des Bürgersteiges wieder.

Der Gegensatz zwischen Tätern und Opfern während des Faschismus schildert der Autor besonders eindrucksvoll durch seine sprachlich gekonnten menschlichen Charakterisierungen sowie die ungebrochene Würde der Häftlinge in ihrem Verhältnis zueinander und auch zur Natur. Ebenso hervorhebenswert die treffende Schilderung der Motive der handelnden Personen. So heißt es auf Seite 139: Nicht wissen konnte die Baronin, (es handelt sich um das Lager Ravensbrück), „dass akademisch gebildete Wirtschaftsprofessoren der Rüstungsindustrie aus puren Gewinngründen die durchschnittlich zu erwartende Lebensfrist ihrer Arbeitssklaven auf lediglich sechs Monate kalkulierten.“ Als „wertlosen Abschaum“ bezeichnete ein Oberscharführer die auf einem Marsch befindlichen ausgehungerten und entkräfteten Häftlingsfrauen. (S. 371)

Offen bleibt die Frage: Wer aber war der Mörder? Doch dies sei hier nicht verraten, soviel aber steht fest: Der Autor – sprich die fiktiven und tatsächlichen Vorgänge – lassen den Leser wiederholt vor Überraschung staunen.

Besonders für Leser der jüngeren Generation ist dieser Kriminalroman des Schriftstellers CarlOtto eine Fundgrube des Wissens über faschistische Mordtaten sowie über die kriminellen Justiztaten der Bundesrepublik, indem sie alle Errungenschaften der DDR vor den geistigen Augen der Leute verglühen läßt, mit dem Totschlaginstrument des sogenannten Stalinismus die Untaten des Faschismus vergessen machen will und so die Geschichte fälscht.

Wer Geschichte ignoriert und sämtliche Alternativen zum herrschenden Kapital in Grund und Boden verbannen will, neuerlich nach einer Neuvermessung der Welt schreit, ja, sich auch mit militärischer Gewalt neues Terrain für Absatz und Profitmaximierung verschaffen will, dem sei ebenfalls zuzurufen: „Fahr zur Hölle!“


CarlOtto: „Operation Taubenhaus“, Gebundene Ausgabe: 384 Seiten, Verlag: Edition Märkische Reisebilder; Auflage: 1 (29. Oktober 2012) , ISBN-10: 3934232582 , ISBN-13: 978-3934232587



Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung

http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20232


Mehr über den Rezensenten: http://cleo-schreiber.blogspot.com

Thema: Dem Morgendämmern vorauseilende Lichtblicke
pomme

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Dem Morgendämmern vorauseilende Lichtblicke 05.11.2013 18:40 Forum: Bücher und Printmedien

Dem Morgendämmern vorauseilende Lichtblicke

...und andere missvergnügliche
Anfechtungen

Buchtipp von Alex Schumann

Morgendämmerung! Das ist Hoffnung. Dass der Tag gut verlaufen möge. Doch der fängt mit Aufstehen an. Also raus aus dem Bett. Dem vorauseilenden Licht entgegen. Du überwindest Dich. Tag für Tag. Welche Leuchtfeuer weisen Dir heute den Weg? Welche Schatten werfen sie? Ist das stets vorauszusehen? Du suchst Halt. In Deinem eigenen Wollen. In den Lichtblicken, die Du in Dir hast. Die musst Du im Auge behalten. Sonst verlierst Du den Weg, den Du gehen willst. Das Wachsein ist Deine Stärke. Lichtpunkte sind Perlen, die Kraft verleihen... Einer Kraft des Sehens und Begreifens, des Tuns...

Perlen der Erkenntnis findet man – wer wüsste das nicht - sowohl im Alltag, als auch beim kritischen Lesen. Über fünfunddreißig Rezensionen zu politischen Sachbüchern wollten – in guter Zusammenarbeit mit der Neuen Rheinischen Zeitung, Herausgeber und Redakteur Peter Kleinert – von Harry Popow gründlich durchforstet und besprochen werden. Welch ein Vergnügen des Denkens, von dem Berthold Brecht schrieb. Dabei erinnere ich mich u.a. an das Buch von Joe Bageant „Auf Rehwildjagd mit Jesus. Meldungen aus dem amerikanischen Klassenkampf“. Dazu schrieb der Autor eine Rezension, in der ich folgende Textstelle sehr interessant fand: Das Denken vieler Amerikaner drehe sich um das eigene Wohl, gegen Krieg haben sie weitgehend nichts und die Arbeiterklasse will vom Klassenkampf nichts hören. Ohne Bildung, meint Joe Bageant, könne sich nichts ändern: „Was meine Leute wirklich brauchen, ist jemand, der einmal ordentlich auf den Tisch schlägt und laut und verständlich sagt: ´Hört mal zu, Ihr verdammten Büffelhörner! Wir sind blöder als ein beschissener Hackklotz und hätten dafür sorgen sollen, dass man uns was beibringt, damit wir wenigstens ein bisschen kapieren, was in dieser beschissenen Welt abläuft.´“

Wer haut hierzulande auf den Tisch? Es sind Autoren, die nach vorne denken und schreiben, es sind deren Werke, die nicht auf die Bestsellerlisten gelangen und auch in Printmedien als Rezensionen kaum zu finden sind und dennoch tiefgründig recherchierte Wegweiser darstellen. Folgen Sie den Spuren Platons und anderer Intellektueller und lassen sich inspirieren von deren Kraft der überzeugenden Worte. Besuchen Sie das sowjetische Ehrenmal in Treptow und lesen Sie eine interessante Zwiesprache mit Tamara... Oder gewinnen Sie Einblick in Begegnungen der nicht sehr erfreulichen Art, so zum Beispiel mit einem „Braven Soldaten“. Oder amüsieren Sie sich über ein „fiktives“ Wortgefecht mit einem, der Substanz für ein Gewürz hält. Oder erleben Sie eine Feld- und Waldwanderung, die mit einer kleinen Überraschung endet. Oder die Premiere eines italienischen Dokumentarfilms im Filmtheater Babylon. Oder den Dank eines Piraten für die Besprechung seines Buches. Oder in dem Buch „Blattkritik“ den Frontalangriff auf die Medien und deren Geldgeber. Oder wie man die Konsumenten zum Shoppen verführen will. Oder wie und warum Mord´(s)geschäfte vom Staat geduldet und gefördert werden. Oder die Tränen des Vaterlandes zu Problemen Israels zu den Palästinensern. Oder wie man mit Gott auf Sklavensuche geht. Oder wie eine Chamäleon-Dame ihr Volk verschaukelt. Oder wie Mumia Abu-Jamal in einem amerikanischen Dok-Film sehr warmherzig und lebendig als aufrechter Klassenkämpfer beschrieben wird. Oder wie Daniela Dahn das Privateigentum an Produktionsmitteln unter Beschuss nimmt...

Nicht weniger interessant: Essays sowie Tagebuch- und Blog-Notizen einschließlich E-Mails zum politischen Alltag. Selbstverständlich – wie kann das anders sein - aus sehr subjektiver und privater Sicht des Autors. Lassen Sie sich kurzweilig entführen in die Welt des Widerstands gegen gewollte Sinnentleerungen, bewusst provozierter Hohlköpfigkeit. Zu entdecken sind Lichtblicke, die der Morgendämmerung vorauseilen...

Harry Popow: „Dem Morgendämmern vorauseilende Lichtblicke“, 218 Seiten, Preis: 15 Euro – Versandkostenfrei, Oktober 2013, 1. Auflage, Druck und Verlag: dbusiness.de Digital Business and Printing Gmbh, Prenzlauer Allee 174, 10409 Berlin, Buchbestellungen bitte über die Mail-Adresse: info@copyhouse.de, www.copyhouse.de

DRUCKEN - Books on Demand - Möchten auch Sie Ihre Erinnerungen, Romane, Tagebücher oder Diplomarbeiten im copyhouse kostengünstig innerhalb von 2-5 Werktagen im Digitaldruckverfahren drucken lassen? Copyhouse ist darauf spezialisiert. Gilt auch für Verlage!

Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung

http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19604

Blogadresse von Harry Popow: www.cleo-schreiber.blogspot.com

Thema: "Zwischen Start und Landung" - ein Lebensbericht von Eckhard Lange
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"Zwischen Start und Landung" - ein Lebensbericht von Eckhard Lange 24.07.2013 18:11 Forum: Bücher und Printmedien

Der Herr der Lüfte

Buchtipp von pomme


Zum Autor: Geboren 1936, beendete Eckhard Lange nach 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone in Steinhöfel / Kreis Angermünde die Grundschule, erlernte den Beruf des Landmaschinenschlossers, meldete sich zur Kasernierten Volkspolizei, wurde Segelflieger und ehrenamtlicher Fluglehrer, arbeitete später bei INTERFLUG als Flugzeugmechaniker und Meister und wurde sogar - trotz äußerer und innerer Widersprüche - „Held der Arbeit“. Eckhard Lange hat zwei Töchter und zwei Enkelinnen und hat es schließlich bis nach Namibia geschafft.

Zum Buch: Was kann einem Jugendlichen besseres passieren als dies: Er erwischt eine solide Ausbildung, später sogar einen festen Arbeitsplatz. Wenn er dies noch verknüpfen kann mit einem Wunschberuf, vielleicht sogar mit seinem Hobby, dann sind schon mal etliche Glückswürfel gefallen. Wer schüttelt da den Kopf und stöhnt, da gäbe es wenig Chancen?

Nicht so ein Siebzehnjähriger. Der hatte einst hochfliegende Pläne. Damals zu DDR-Zeiten! Er heißt Eckhard Lange. Heute ist er weit über siebzig. Er hat aufgeschrieben, wie er die Chancen in der neuen Gesellschaftsordnung genutzt hat. Sein Buch nennt er „Zwischen Start und Landung“. Es ist sein Lebensbericht. Ein doppeldeutiger Titel - für Jung und Alt gleichermaßen hochinteressant: Keine Sorgen, ordentlich und solide ausgebildet zu werden. Keine Bange, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Keinen großen Geldbeutel, um schon als Jugendlicher in die Segelfliegerei – seinem ersehnten Steckenpferd – einzusteigen.

Was er dem geneigten Leser präsentiert, das ist nicht nur sein Interesse für die Flugtechnik, nein, das ist auch ein Stück Alltag der DDR. Was dazugehörte: Viel Enthusiasmus, viel Schweiß und Fleiß – verbunden mit so manchen persönlichen Opfern – sowie Charakterstärke, um sich durchbeißen und behaupten zu können. Ob als ehrenamtlicher Segelfluglehrer oder auch als Mitarbeiter bei INTERFLUG, sozusagen im weiten Vorfeld des heutigen Desaster-Großflughafens Schönefeld. Der Alltag vor und während der Wende – ganz aus persönlicher Sicht. Gespickt mit interessanten und lebendig geschilderten Episoden und Eindrücken. Er hilft, Pannen im Betriebsgefüge zu meistern, er wird von seiner Brigade anerkannt, er empfindet Freude und Stolz, erlebt eine gute Kameradschaft zwischen den Arbeitskollegen. Bis eben das Ende der DDR eingeläutet wird. Auch diese bittere Pille schluckt er, der Arbeiter.

Auf 168 Seiten – mit zahlreichen Fotos und Dokumenten illustriert – , erfährt der Leser in diesem Buch den Aufstieg des Eckhard Lange zu einem sinnerfüllten Leben. In diesem authentischen Lebensbericht, aufgeschrieben als Ghostwriter von mir – schildert er, wie er in den Aufwind der neuen Gesellschaft kam, seine Möglichkeiten nutzte und seine verantwortungsvollen Aufgaben mit Bravour meisterte. Wie er, der Flugzeugmechaniker und Segelflieger, nach 1989 im Zenit seines Lebens in Afrika das goldene Segelfliegerabzeichen mit drei Diamanten absolvierte. Wie er, der Fluglehrer, auch heute noch seine Erfahrungen an die Jüngeren weitergibt.

Im Detail: Eine Anzeige in der Zeitung, viele Jahre nach der Wende: Das weltbeste Segelflugzentrum in Namibia sucht einen Werkstattleiter und Motorenwart. Der erfahrene Segelfluglehrer schickt sofort eine Bewerbung nach Afrika. Bevor er Antwort erhält, erinnert er sich seiner Kindheit in Pommern. Er, der neunjährige Eckhard, Sohn eines Landbäckers in Uchtdorf (heute Lisie Pole in Polen) trotzt dem Vater. Er will nicht in dessen Fußstapfen treten. Er will nicht backen, nicht Kühe hüten. Was Technisches soll es sein. Verfolgt mit staunenden Blicken die Flugzeuge, die in diesen End-Kriegszeiten des Jahres 1944 über dem Dorf dahinjagen. Ja, er will später mal fliegen, ebenso wie die da oben. Seine Träume sind hochfliegend in einer Zeit, in der es ums Überleben geht. Sein Vater warnt ihn: „Das ist nichts für dich, bleib auf dem Boden!“ Doch der Trotz in dem Jungen ist nicht totzukriegen.

Endlich die Befreiung. Nach der Flucht aus Pommern ein Neubeginn in der Sowjetischen Besatzungszone. Und nun will der Träumer endlich durchstarten. Wieder trotzt er dem Vater, als dieser ihn ermahnt, dieser Sozialismus würde sich nicht lange halten. Eckhard aber will selbst die Weichen für sein Leben stellen. Er erlernt den Beruf des Landmaschinenschlossers, hält aber weiter Ausschau nach weit oben. Die Kasernierte Volkspolizei, hört er, suche Leute, auch für die Flugausbildung. Er schmettert ihnen ein Nein entgegen, als Werber den jungen Mann an die Grenze schicken wollen. Da ist er wieder - sein Trotz.

Für Kenner der Segelfliegerei besonders spannend: Das Leewellenfliegen über dem Riesengebirge in der damaligen Volksrepublik Polen. Er berichtet – übrigens mit viel Witz und Humor – von seiner ersten großen Entscheidung, „Trapper oder Pilot“ zu werden, von einem „Agenten“ am Straßenrand, von einem Absturz eines Kameraden, von viel Geheimnistuerei um den 13. August 1961 herum, von notwendigen Tüfteleien bei Arbeiten auf Flugplätzen, vom Bergwandern mit Freunden in Bulgarien, von einem „abgehauenen“ Segelflieger, von manchem Schwachsinn und von manchen Illusionen zur „Wendezeit“.

Sein Weg führte ihn nach oben: Nach zahlreichen Qualifizierungen als Fluglehrer und als Prüfer für Luftfahrtgeräte - landet er bei INTERFLUG. Als Mechaniker leistet er eine hervorragende Arbeit. Er erzählt in seinem Buch von Rissen in Triebwerken und wie er das Titanschweißen einführte und so dem Betrieb Millionen Mark der DDR einsparte. Wie er sich schließlich auf einem hohen Podest wiederfand und vom Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker als „Held der Arbeit“ geehrt wurde. Er und seine Kollegen fragten sich angesichts vieler Widersprüche in der Wirtschaftspolitik immer öfter: „Wie hell leuchtet unser Stern wirklich?“ Zur Wendezeit schildert er die vielerorts angetroffene Reg - und Sprachlosigkeit, aber auch die Freude, verbunden mit zahlreichen Illusionen bei vielen Betriebsleuten.

Die Rückschau auf das bisherige Leben wird unterbrochen mit dem positiven Bescheid aus Afrika und der nachfolgenden Schilderung der für ihn noch ungewohnten aber sehr interessanten Erlebnisse in der Wüste. Trotzdem hält der Erzähler Eckhard immer wieder inne und blickt zurück auf seinen nicht leichten aber zielstrebig verfolgten Lebensweg – eine Komposition, die aufgeht. Sie unterstreicht, wie wichtig es für ältere Menschen ist, gebraucht zu werden. Und sie verdeutlicht den hohen Wert des Namibiaaufenthaltes als einer der Höhepunkte im Leben dieses Meisters der Lüfte. Auch die Sprache in diesem Buch ist schön und hält die Neugier wach. Frank-Dieter Lemke vom Flieger-Club Strausberg resümierte zu diesem Buch: „Eckhard Lange gewährt uns mit seinen ehrlichen Erinnerungen nicht nur einen interessanten Einblick in ein Stück Luftfahrtgeschichte der DDR, sondern auch in Entscheidungen bei schwierigen Situationen …“

Eckhard Lange: „Zwischen Start und Landung, Gelebt-gearbeitet-geflogen“, ein Lebensbericht, 168 Seiten, Preis: 17,50 Euro – Versandkostenfrei, Juli 2013, Druck und Verlag: dbusiness.de Digital Business and Printing Gmbh, Prenzlauer Allee 174, 10409 Berlin, E-Mail: info@copyhouse.de, www.copyhouse.de , Telefon: 030 44650342. Buchbestellungen bitte über die email Adresse info@copyhouse.de.

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(Der Ghostwriter und Rezensent für das Buch „Zwischen Start und Landung“, Harry Popow, (www.cleo-schreiber.blogspot.com ) veröffentlichte außerdem als ehemaliger Reporter und Redakteur der DDR Wochenzeitung „Volksarmee“ seinen autobiografischen Roman mit dem Titel „In die Stille gerettet. Persönliche Lebensbilder“. Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3)

Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19237


Leseprobe (Seite 29)
Trapper oder Pilot?

Walzwerk Finow. Ein Volkseigener Betrieb. Ich erinnere mich genau. Nach der Lehre als Maschinenschlosser bewarb ich mich in einem Werk, das total neu aufgebaut wurde. Damals brauchte ich keine Klimmzüge machen, wie die Heutigen, um als Junggeselle angenommen zu werden. Welch ein Unterschied zum Lehrlingsbetrieb in Angermünde. Riesige Werkhallen, riesige Kräne. Neue Maschinen, die vom Hersteller selbst aufgestellt wurden. Gabelstapler transportierten große Stahlplatten und Segmente, die von Hand nicht zu bewegen waren. Wir Gesellen gaben Hilfestellung. Sollten doch später völlig selbständig die Wartung und Instandhaltung übernehmen. Mich beeindruckte dieses neue Walzwerk, spürte, welche Kraft davon einmal ausgehen würde, und war richtig froh, dabei mitmischen zu können.


Wie das so ist – aller Anfang ist wirklich nicht leicht. Man sah zum Beispiel, was da noch alles fehlte, aber bereits im Entstehen war: Betriebsküche, Aufenthalts- und Frühstücksräume. Alles noch im Rohbau. Vor allem deshalb hat jeder seine Stullen mitgebracht. Ansonsten gab es in einer Kantine Bockwurst und Suppe. Für mich ungewohnter Schichtbetrieb. Nächste Sorge: Wo sollte ich schlafen? An Unterkünften für die Belegschaft war noch nicht zu denken. Hatte jedoch wieder einmal Glück: In Eberswalde nahm mich ein Schulfreund vom Dorf mit in seine Einraumwohnung zur Untermiete. Seine Wirtin hatte dem zugestimmt. Zum Walzwerk, das am anderen Ende der Stadt lag, fuhr ich mit dem Fahrrad eine dreiviertelstunde durch die Stadt, abends zurück. Auch in den Wintermonaten. Fiel todmüde ins Bett oder besuchte dann und wann mit meinem Kumpel das Kino. Die Wochenenden verbrachte ich zu Hause in Steinhöfel.

Später kam Nachtschichtbetrieb hinzu. Da wurde alles noch etwas komplizierter. Doch dem Flugwesen war ich noch keinen Schritt nähergekommen. Manche meinten, du spinnst, was willste denn bei den Fliegern, die es doch gar nicht so richtig gibt in der DDR. „Man hat es mir doch versprochen“, entgegnete ich. Aber glaubte ich noch daran? Ich bekam heraus, daß in der Nähe der Stadt ein Flugplatz lag. Auf dem starteten und landeten russische Flugzeuge. Aus der Nähe den Flugbetrieb zu betrachten kam nicht in Frage. Durftest ja nicht näher als fünf Kilometer ran, hatten wir herausgefunden. Doch im Werkgelände gab es einen Turm. Den bestiegen einige Neugierige und ich. Von dort aus ließ sich beobachten, wie Strahlflugzeuge, soviel konnten wir erkennen, rasant von der Startbahn abhoben. Das will ich auch, dachte ich. Und bekam neuen Auftrieb. Allerdings hätte ich diesen beinahe vermasselt. Durch jugendliche Neugier, durch Leichtsinn... Doch dazu später.

Nun war es soweit. Faßte den Entschluß: Jetzt gehst du zum Kreiskommando Angermünde. Meldest dich zur KVP. Freiwillig, das war mir wichtig. Freudig empfing man mich. „Pilot wollen sie werden? Hm? Und was ist mit Grenze?“ Ziemlich energisch verneinte ich ein weiteres Mal. Warum die das nur immer wieder versuchen, mich in eine andere Laufbahn zu drängen? Werden es wohl nötig haben. Doch nicht mit mir. Es bleibt dabei, ich will zu den Fliegern. Wieder ein Hm! „Na, dann gehen sie mal zum Arzt, werden sehen, was sich machen läßt.“ Die Ärztin untersuchte mich. Überaus genau und gründlich. Zu gründlich? Denn sie stellte fest, ich habe Schwierigkeiten, die richtigen Farben auf der medizinischen Farbprüftafel auseinanderzuhalten. Die Farbschwäche stellte ich bereits während der Schulzeit fest. Sie ist vererbbar. Cirka acht Prozent aller Männer und ein halbes Prozent aller Frauen sind davon betroffen. Später habe ich über vierzig Jahre lang bei den Flugmedizinischen Untersuchungen mit diesem Problem gekämpft: mal tauglich, mal bedingt tauglich, mal untauglich. Damit war für mich der Traum eines großen Piloten gestorben. Für den Segelflug würde es aber noch reichen, sagte man.

Beinahe hätte ich unmittelbar nach meinen Gesprächen im Kreiskommando alles, aber auch alles versaut. Denn es gab ein Vorkommnis, wie es offiziell hieß.
Es war im Januar 1956. Ein Arbeitskollege und ich hatten ein paar Tage Urlaub. Anschließend wollte ich im Walzwerk kündigen. Da hatten wir eine tolle Idee: Wir könnten doch mal zur „Grünen Woche“ nach Westberlin fahren. Haben zwar kein Geld, aber irgendwie werden wir das Ding schon schaukeln. Wir von Eberswalde los mit der Bahn und dann mit der S-Bahn weiter und nichts wie rüber Richtung Funkturm. Mein Staunen über die große Stadt Berlin fing schon in Pankow an. Die Häuser, der Verkehr, die vielen Leute. Ich als Dörfler mittendrin. Ein unbeschreibliches schönes und aufregendes Erlebnis. Dann aber am Funkturm. Bekam den Mund nicht mehr zu: Als Ostler hatten wir freien Eintritt. Bestaunte die tollen technischen Geräte. Uhren, Radios. Alles, was das Herz begehrte. Auch große Fotos von Kanada. Von Fallenstellern, von Bärenjagden. Prospekte machten uns an: Kommt herüber! Kommt nach Kanada! Dort könnt ihr auch jagen, wohnen, arbeiten. Im richtigen Urwald. Dazu Bilder von richtig hohen schneebedeckten Bergen. Ich hatte noch nie ein Gebirge gesehen. Das wars doch. Da ging mit einem die Phantasie durch. Plötzlich rief mein Kumpel einen recht übermütigen Satz: „Mensch, das wäre doch was, stell dir vor, wir in Kanada!“ Und schon sahen wir uns mit einem Gewehr im Urwald jagen und fischen, wie ich es in Klein-Steinhöfel gemacht hatte. War ja dort auch „Fallensteller“ und „Fischer“. Oh, diese verlockende Traumwelt im allzu weiten Kanada.

Wir sackten alle bunten und verlockenden Werbebroschüren, die wir greifen konnten. Auch politische. Ein Heft über die DDR habe ich zusammengerollt und in die Tasche gesteckt. Bis Bernau mit der S-Bahn ging alles gut. Keiner achtete auf uns Jugendliche. Wir waren gerade in den Zug nach Eberswalde gestiegen, da sahen wir schon die Männer vom Zugbegleitkommando. Mulmig wurde uns, ganz mulmig in der Magengegend. Eigentlich waren wir sogar naiv. Konnten uns nicht vorstellen, etwas sehr böses getan zu haben, nur weil wir im Westen waren. „Ihre Ausweise bitte!“ „Was haben sie denn da? Na, kommen sie mal mit.“ Langsam mußten wir uns durch den vollen Zug zu einem Abteil der Transportpolizei drängeln. Schön langsam. Ich zuerst, mein Kumpel hinter mir, der Uniformierte als dritter. Mensch, du hast ja noch die Eintrittskarte vom Funkturm, auf dem wir ebenfalls waren, dachte ich mit Schrecken, habe sie zwischen den Waggons weggeworfen. „Vorwärts, vorwärts!“, rief der hinter uns gehende Beamte. Nur eine Station bis Eberswalde. Endlich der Bahnhof. Wir landeten auf der Wache des Zugbegleitkommandos: „Na zeigen sie mal, was haben sie denn da...?“ Packten alle eingeklaubten „Schätze“ von der „Grünen Woche“ auf einen Tisch. „Wollten sie abhauen in den Westen?“ Wir: „Nein, nein, wir hatten nur Urlaub und wollten uns am Funkturm mal umsehen.“ Mein handfestes Argument: Ich werde zur KVP gehen, was soll ich da im Ausland? Das zog offenbar. Wir durften nach Hause gehen, die schönen Prospekte waren futsch.

Mein Schulfreund im Zimmer: „Mensch, pack deine Sachen, hau ab. Dich sperren die ein. Sehe zu, daß du wegkommst aus dem Osten!“ Bekam ich Angst? Schließlich hauten so viele ab, Bauern, Arbeiter, ganze Familien. So ungewöhnlich war das ja nicht. Hand aufs Herz: Ich habe nur paar Sekunden gebraucht zum Nachdenken. Dachte so bei mir: Nee, rübermachen, das willste ja gar nicht. Sehe keinen Sinn darin, was willste denn im Westen? Mein Weg war doch klar, ich wollte doch Pilot werden. Ob ich das drüben erreichen könnte, ist doch fraglich. Die sichere Zukunftsaussicht, die war mir schon sehr viel wert. Also blieb ich. Nicht so mein Arbeitskollege. Der packte im Handumdrehen seinen Koffer und verschwand auf Nimmerwiedersehen.

Ich schicke einen Blick voraus. Als ich wenig später bei den bewaffneten Kräften landete, schrieb mir dieser Arbeitskollege einen Brief. Aus dem Westen! Der erreichte mich aber nie. Er sorgte allerdings für Aufregung! Bei Vater in Steinhöfel und danach in meiner Dienststelle. Mußte zum Staatsanwalt. Mußte erklären, wie das alles mit dem Besuch der „Grünen Woche“ zusammenhängt. Ich staunte, was die alles bereits wußten. Hing meine Zukunft am seidenen Faden? Nein, ich wurde lediglich verwarnt. Seitdem hatte ich nie wieder Kontakt mit der anderen Seite. Wollte mit so einem Quatsch keinesfalls mehr anecken. Wozu auch? Das brachte nichts, absolut nichts. Hatte also „Freie Bahn“ für einen neuen Start ins Berufsleben. Ins Fliegerleben? Solche und ähnliche Gedanken kamen mir während des Fluges nach Afrika. Diesmal kein neuer Start in einen neuen Berufsabschnitt, sondern in die Sphäre meines Hobbys. Ausschließlich. Na, schauen wir mal...

Thema: "Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina" von Petra Wild
pomme

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"Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina" von Petra Wild 22.05.2013 16:36 Forum: Bücher und Printmedien

„Tränen des Vaterlandes“ Anno 1636

Buchtipp von pomme

„Tränen des Vaterlandes“…so der Titel eines Antikriegsgedichtes, geschrieben von Andreas Gryphius unter dem einschneidenden Eindruck des Dreißigjährigen Krieges von 1618 bis 1648. Darin heisst es:

Die Türme stehn in Glut, die Kirch ist umgekehret.
Das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun,
Die Jungfraun sind geschändt, und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfähret.

„Tränen des Vaterlandes“… so die Überschrift dieser Rezension zu einer Anklageschrift, die sich dem Völkermorden gegenüber den Palästinensern widmet. Über 300 Jahre nach dem Dreißigjährigen Krieg, nach den Gräueln der Weltkriege nun dies: Es geht nicht ab mit nur dreißig Jahren – seit 65 Jahren (seit dem 08. Mai 194cool währt der Würgegriff israelischer Politik gegenüber den Palästinensern innerhalb der Grenzen Israels und in den 1967 besetzten Gebieten. Jenen, die unter dem Deckmantel des Zionismus und der Bibel aus ihren angestammten Landstrichen gewaltsam aus ihren Häusern, Dörfern und ihrem Land vertrieben, gelyncht, ausgehungert und ermordet, die enteignet und ihrer wirtschaftlichen und natürlichen Ressourcen beraubt wurden, deren Geschichte ausgelöscht werden soll, die systematisch diskriminiert werden.

„Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina. Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat“, so der Titel eines politischen Sachbuches von Petra Wild. Geboren 1963 in Aarbergen/Hessen, studierte sie arabische Sprache und Islamwissenschaften in Jerusalem, Leipzig, Damaskus und Berlin. Sie arbeitet als freiberufliche Publizistin vor allem zur Palästina-Frage und zur Arabischen Revolution.

Wie bereits Evelyn Hecht-Galinski in ihrem Buch „Das Elfte Gebot: Israel darf alles“ sowie antizionistische und fortschrittliche kritische Juden Israels, Publizisten und Palästina-Unterstützer aller Herren Länder, so beschreibt auch Petra Wild die unter unmenschlichen Bedingungen hausenden Palästinenser in der Grünen Linie, in der Westbank, im Gaza-Streifen und in Ost-Jerusalem. So heißt es zum Beispiel auf Seite 47: „Während die jüdisch-israelische Bevölkerung insgesamt denselben Lebensstandard hat wie jene der westlichen kapitalistischen Länder, leben die palästinensischen Staatsbürger Israels unter Dritte-Welt-Verhältnissen.“ Angeführt werden u.a. eine schlechtere Gesundheitsversorgung, eine höhere Säuglingssterblichkeit, eine schlechtere Bezahlung, eine Benachteiligung bei Serviceleistungen, ein Leben unter der Armutsgrenze, ein Ausgeschlossensein aus dem öffentlichen Nahverkehrsnetz. Die Palästinenser werden „als nicht zum Lande gehörend, als unzivilisiert, rückständig, primitiv, faul, dreckig, dumm, gewalttätig und fanatisch dargestellt“. (S. 74) Sie seien gesichtslose Feinde, Terroristen. (S.7cool Alle Maßnahmen, so die Autorin, zielen darauf ab, den Willen der Palästinenser zu brechen und ihnen die Hoffnung zu rauben. Dazu zählen Erschwernisse des täglichen Lebens, Schikanen, Kollektivstrafen, gewaltsames Niederschlagen von Demonstrationen, hohe Haftstrafen, die Zerstörung von Häusern und ganzen Stadtvierteln, Wasserentzug, Zerstörung der Olivenbäume, Psychoterror, gezieltes Morden an Widerstandskämpfern sowie Kriege und Massaker gegen die Zivilbevölkerung. „Die Projektion des Hasses auf die Palästinenser ermöglicht die Bewahrung des selbstgerechten israelischen zionistischen Selbstbildes als moralisch rein und dient als zusammenhaltende Kraft in der jüdisch-israelischen Gesellschaft.“ (S. 7cool Bei allem offensichtlichen Landraub – es gäbe keine Massenvertreibungen, keine großen militärischen Aufgebote, es ist vielmehr ein schleichender Prozess, so Petra Wilde. (S. 137)

Auf den 240 Seiten und in zwölf Kapiteln spiegelt sich anhand von konkreten Beispielen und bewegenden persönlichen Schicksalen, Zitaten und Kommentaren das Leben eines Volkes wider, das seit der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 um seine Rechte kämpft. Es geht um die Ghettoisierungspolitik in der Westbank, die ethnische Säuberung des Jordantals, die Gewalt der kolonialen Siedler sowie die Vertreibung der einheimischen Bevölkerung und die Zerstörung der historischen Stadt Jerusalem. Petra Wild kommt es insbesondere darauf an, neue Aspekte der Willkürakte des Staates Israel hervorzuheben. Es geht nicht nur um eine Neuauflage der in Afrika einst berüchtigten Apartheid, nicht nur um die ethnische Säuberung, nicht nur um schleichenden Genozid, sondern zusammenfassend um den zionistischen Siedlerkolonialismus. Er strebt danach, so Petra Wild in der Einleitung, „die einheimische Bevölkerung durch eine eingewanderte Siedlerbevölkerung vollständig zu ersetzen“. (S. 9)

Anfangs geht die Autorin gründlich auf den Ursprungs des Konfliktes ein. Sie definiert den Siedlerkolonialismus als eine spezifische Form des Kolonialismus, der auf dem Raub des Landes und der Ressourcen durch Siedler besteht. Zur Legitimation bediene man sich eines ausgeprägten Rassismus, motiviert durch „die Einteilung der Menschen in höhere, zum Herrschen bestimmte und niedere, ihnen unterworfene Rassen“. (S. 12) Der Zionismus, der als Aushängeschild für die Alleinherrschaft der Juden benutzt wird, schreibt Wild, entstand Ende des 19. Jahrhunderts im europäischen jüdischen Kleinbürgertum. Er definierte Judentum nicht mehr nur als Religionsgemeinschaft, sondern als Volk bzw. Nation. „Da die Zionisten die Prämisse der Antisemiten übernahmen, dass Juden und Nicht-Juden nicht zusammenleben könnten, sahen sie die Lösung (…) in der Gründung eines eigenen Nationalstaates außerhalb Europas.“ (S. 12) Ihren Anspruch auf das Land Palästina, das damals zum Osmanischen Reich gehörte, begründeten die zionistischen Siedler damit, „dass sie nicht in ein neues Land kämen (…), sondern nach einem verlängerten Auslandsaufenthalt einfach nach Hause zurückkehrten; die Einheimischen wären die eigentlichen Fremden“. (S. 13) Man greife in der israelischen Geschichtsschreibung auf eine sich ergebende fundamentalistische Bibelauslegung zurück, „der zufolge Palästina das Land der Juden und nur der Juden war und nun – 3.000 Jahre später – wieder ist“. (S. 34) Welche sind die Hauptursachen für die Zuspitzung der Konflikte, der Auseindersetzungen zwischen Kolonialisten und Kolonisierten? Darauf gibt die Autorin folgende Antwort: Es seien „immer der Kampf um Land und Ressourcen“. (S.205)

Obwohl unterschiedliche Bevölkerungsteile in Israel leben, definiert sich der Staat als Staat der Juden, also als Staat einer übernationalen Religionsgemeinschaft. Allerdings schließe die „religiös-ethnische Definition des Staates anstelle einer territorialen (…) die Integration und Gleichberechtigung nicht-jüdischer Bevölkerungsteile strukturell aus“, schreibt die Autorin. (S. 22) Sie verweist auf zahlreiche Tricks und Verschleierungen des Staates Israel, die es ihm ermöglichen, sich aus Gesetzen mit eindeutigem Apartheidcharakter herauszuhalten. Man lagere beispielsweise staatliche Funktionen an internationale zionistische Organisationen aus. So würde eine Arbeitsteilung bestehen und das demokratische Image in der westlichen Welt gewahrt bleiben. (S. 40) Der Kern der zionistischen Politik in Palästina sei die fortgesetzte „Judaisierung“, die als Hauptideologie Vorrang vor den formalen Bekenntnissen zur Demokratie habe. (S.55) Der koloniale Blick auf die einheimische Bevölkerung werde von oben her durch die ideologischen Staatsapparate, Politiker, Militärs und Rabbiner verbreitet. Zudem bediene sich das religiöse Recht einer Herrenmenschen-Rhetorik, die sie mit den Heiligen Schriften begründet. (S.76) Außer Acht dürfe nicht gelassen werden, dass die eigene Leidensgeschichte der Juden zu einer stark ausgeprägten Selbstgerechtigkeit der Siedlerbevölkerung führe. (S.77) Verwiesen wird auf Seite 82 auf einen seit dem Krieg gegen den Gazastreifen verschärften Rassismus, sodass kritische Israelis vor einem heraufziehenden Faschismus warnen, (S. 82) wobei der Kolonialismus seinem Wesen nach zum Faschismus neigt. (S. 8cool

Welche Lichtblicke öffnet uns die Anklageschrift? Im Gespräch ist eine Ein-Staat-Lösung. Im Vordergrund stünden die Erlangung der Rechte der einheimischen Bevölkerung. Das Konzept ziele darauf ab, „den kolonialen Charakter des gegenwärtigen Staates Israel aufzuheben“ und den Nationalismus zurückzudrängen, um so die Möglichkeit für ein gleichberechtigtes Zusammenleben zu eröffnen. (S. 215) Das setze die Überwindung des Zionismus voraus. (S. 217) Von „Innen“, das wird klar, ist durch Verhandlungen keine Lösung zu erwarten. Daran hat die zionistische Seite kein Interesse. Da der Staat Israel in der schlimmsten Krise seiner Geschichte stecke, sei die arabische antiimperialistische Einheit sowie u.a. die Schwächung der USA in der Region und die Entwicklung einer starken internationalen Solidaritätsbewegung vonnöten, so die Autorin auf Seite 222. Von entscheidender Bedeutung sei der revolutionäre Prozess in der arabischen Welt. Interessant ist in diesem Zusammenhang folgende Bemerkung des israelischen Historikers Moshe Zuckermann (junge welt vom 26./27. Januar 2013): Der Zionismus rechtfertige „die Abneigung des jüdischen Kleinbürgers gegen seinen nichtjüdischen Konkurrenten und erlaubt es ihm zugleich, (…) gegen die Verfolgung Stellung zu nehmen, ohne sich gegen das kapitalistische System zu wenden, das ihm gewisse Vorteile sichert“. Damit wäre auch dies ausgesprochen: Nichts geht, ohne den Machtanspruch der herrschenden Elite in den Fokus zu nehmen.

Das Buch der Petra Wild ist eine sehr faktenreiche und lesenswerte Analyse. Vor allem Studenten, deutsche Politiker und politisch Interessierte mögen die zahlreichen Belege für die menschenverachtende Vertreibungspolitik Israels genau sichten und zu eigenen Schlußfolgerungen gelangen lassen. Zu fragen ist auch, wie die Machtverhältnisse im imperialistischen Israel beschaffen sind, die auf die Geschichte und vor allem auf die Lösung der Konflikte einwirken könnten. Man denke dabei an jüdisch-israelische Aktivisten, an mehrere Tausend von antizionistischen oder zionismuskritischen Israelis (S. 213), von denen Petra Wild schreibt. Sie wollen „den Boden für das Zusammenleben in einem gemeinsamen demokratischen Staat bereiten“. Ohne Siedlungskolonialismus, ohne Aggressionsbereitschaft gegenüber anderen Ländern, ohne dass „Tränen des Vaterlandes“ vergossen werden müssen, ohne Verstöße gegen die Menschlichkeit, die auch Andreas Gryphius im letzten Vers beklagt:

Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer denn die Pest und Glut und Hungersnot,
Daß auch der Seelenschatz so vielen abgezwungen.

Petra Wild: „Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina. Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat“, 2013 Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien, ISBN 978-3-85371-355-6, br., 240 Seiten, 15,90 Euro, mit Landkarten

Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19007

Mehr über den Rezensenten: http://cleo-schreiber.blogspot.com

Thema: "Wir sind der Staat" - das neueste Buch von Daniela Dahn
pomme

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"Wir sind der Staat" - das neueste Buch von Daniela Dahn 13.04.2013 12:09 Forum: Bücher und Printmedien

Die Mauer muß weg…

Buchtipp von pomme

Die Mauer muß fallen. Eine Mauer, die seit der Antike für das größte marktbeherrschende Eigentumsrecht, das Privateigentum an Produktionsmitteln, vor dem Zugriff des Volkes zu schützen hat. Es ist eine Mauer um das Big Business, wie man in den USA sagt. Ein Schutzwall, der im Laufe der Jahrhunderte immer wieder durch Volksrevolutionen unter Beschuss geriet und sich doch noch hält, durchlöchert zwar, aber immerhin. Angeblich unzerstörbar…

Die neueste Kanonade gegen diese Mauer um das Reich der Kapitalmächtigen und der Politiker herum hat keine geringere losgelassen als Daniela Dahn, die Autorin von „Wehe dem Sieger“, zu DDR-Zeiten u.a. Gründungsmitglied des „Demokratischen Aufbruchs“. Ihre neueste Denkschrift: „Wir sind der Staat“. Die Autorin stellt darin „die morsch gewordenen Grundstützen des bürgerlichen Staates in Frage.“ Es gehe allerdings nicht um eine Schwächung des Staates, „sondern um seine stärkere demokratische Legitimierung“. (S. 107)

Mit scharfer Zunge geißelt sie den Kapitalismus mit einer erstaunlich analytischen Tiefgründigkeit. Ihr zentraler Gesichtspunkt: Das seit dem Römischen Reich zum Heiligtum erhobene Privateigentum an Dingen des Gemeinwohls. Es beherrsche jahrhundertelang die Völker und lasse eine demokratische Mitbestimmung in grundsätzlichen Fragen nicht zu.

Auf 176 Seiten spannt sie den Bogen von der Antike, dem Römischen Recht, bis in die Gegenwart und in die Zukunft. Zum geistigen Genuss der deutschen Aktivbürger, die laut Forsa zu 84 Prozent gegen Privatisierungen sind. (S. 67). Bürger, die gegen Fluglärm, gegen Atomlager, gegen Stuttgart 21, gegen Drohnen, gegen Bundeswehreinsätze im Ausland, gegen Arbeitslosigkeit, gegen die Verdummung durch die Medien zunehmend energisch ihre Stimme erheben.

Daniela Dahn stellt fest: Volkssouveränität und Gewaltenteilung existiere so gut wie nicht. Die Verantwortlichkeiten der Regierung seien längst auf die Wirtschaft übergegangen, die Unabhängigkeit der Justiz sei eingeschränkt und durch die Praxis der Parteienspenden und der ungleichen Zuwendung der Großmedien gäbe es keine Chancengleichheit. (S. 133)

Bleiben wir zunächst bei diesem Zustandsbericht, wie die Autorin den ersten Teil ihres Buches bezeichnet. Scharf kritisiert sie, dass zum Beispiel bundesweite Volksentscheide nicht vorgesehen sind, dass die wechselnden Eliten im Parteienkarussel um dieselbe Macht ringen und gar nicht gewillt sind, des Volkes Meinung zu hören. Es reiche doch, wenn die Wähler ihre Stimme abgeben und sich nicht einmischen, wenn es um die im Verborgenen herrschende Macht des Kapitals gehe. (S. 9) Die Beschränkung auf alle vier Jahre stattfindende Wahlen würde von vielen nicht mehr als zeitgemäße Demokratie akzeptiert. (S. 32) Die Autorin mahnt an, zum Beispiel bei Richtungsentscheidungen wie Krieg und Frieden – das sei der höchste Punkt der Souveränität – das Volk mitentscheiden zu lassen. (S.46)

Was war nach der Befreiung vom Faschismus 1945 angesagt und vordringlich? Der endgültige Bruch mit dem Römischen Recht! Der Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen besonders in Deutschland. Die Chancen waren da. In der damaligen SBZ wurden sie durch die Enteignung der Wirtschaftsmächtigen und Schuldigen am Weltkrieg genutzt. In den „westlichen Besatzungszonen verurteilten CDU/CSU und SPD gleichermaßen scharf das versagt habende ´kapitalistische Wirtschaftssystem´ und setzten auf eine ´gemeinschaftliche Ordnung´, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht“. (S. 52) Welch eine Chance für einen Neuanfang… Doch verpasst. Durch Marhallplan, Währungsunion und „eine Wachstum fördernde Gesetzgebung des Wirtschaftsrates unter dem Einfluß der Westallierten…“ (S. 54)

Gustav Heinemann klagte in den 50er Jahren nach seinem Austritt aus der CDU: „Sieht man denn wirklich nicht, dass die dominierende Weltanschauung (…) aus drei Sätzen besteht: viel verdienen, Soldaten, die das verteidigen, und Kirchen, die beides segnen.“ Für die sich für das Wirtschaftswunder Abrackernden war das schließlich, so Daniela Dahn, eine Luftnummer letztlich ohne Netz. (S. 57)

Das Defizit im System liege in der Allmacht der Besitzenden, in deren Einfluss auf die Politik im Interesse des weiteren Wachstums. In der unechten Demokratie, in der das Volk in Grundsatzentscheidungen überhaupt nicht einbezogen werde. „Demokratie und Freiheit“ als Aushängeschild einer untergehenden Gesllschaft, die nach dem Kollaps des Weltsozialismus nunmehr unverblümt einst soziale Fortschritte in Frage stellt. „Die repräsentative Demokratie der Bundesrepublik, die im Grunde eine Großparteienherrschaft ist, wehrt nach wie vor alle Ansätze direkter Demokratie und Kontrolle von unten ab.“ (S. 109)

Der grosse Vorzug dieser Denkschrift von Daniela Dahn besteht nicht nur in ihrem Weitblick zurück, auch nach vorne lenkt sie mit klugen und diskussionswürdigen Überlegungen die Aufmerksamkeit der interessierten und nachdenklichen Leser. (Ab S. 103) Sie bleibt nicht stehen bei der Aufforderung nach Ungehorsam (S.15) und Empörung. So schwerwiegend das Problem der Mitbestimmung auch ist, jeder solle sich nicht nur fragen „hier bin ich Mensch, hier kaufe ich ein“, sondern auch „hier bin ich Mensch, hier greif ich ein“. (S. 1cool

Aber wie? „Subversiv“, so bezeichnen die Geheimdienste diejenigen, die in den Augen der Obrigkeit aufgrund der krisenhaften Zerrüttung der Politik und der Wirtschaft eine friedliche Systemänderung anmahnen und mit Wort und Tat dafür einstehen. Wie dem „Heiligtum Privat“ und der Phrase von „Freiheit und Demokratie“ – vermittelt durch die in den Seilschaften der Oberen hängenden und von ihnen bezahlten bürgerlichen Medien - kurz- und langfristig beikommen, denn es ist keine Zeit zu verlieren?

Ein weiterer Bruch mit dem Römischen Recht sei dringend nötig, so die Publizistin. Sie wäre nicht die kluge und scharfsinnige Autorin, wenn sie nicht gleichzeitig Wege aufzeichnen würde, wie aus dieser Diktatur des Heiligtums herauszufinden sei. Im Gegensatz zu manchen Männern der Politik und der Medien appelliert sie nicht schlechthin an die Vernunft, schon gar nicht an Gott. Sie fordert dringlich dazu auf, die demokratischen Rechte des Volkes als dem eigentlichen Souverän endlich wahrzunehmen.

Wie soll das gehen? Sich einbringen. Sich rühren. Sich überwinden, um dem Kapital als Ganzem Paroli zu bieten. Der Einzelne – das steht fest – kann da wenig tun. Erst in der Gemeinschaft, im Zusammenhalt und der Solidarität von Hunderttausenden entstünde jene Kraft, die Veränderungen im System erzingen könnte. Was und wie muß etwas getan werden? Aufklären, teilnehmen, aufwachen. Lethargie, uneffektives Verhalten, Gleichgültigkeit - wie ist dieser Politverdrossenheit beizukommen?

Fertige Rezepte gibt es nicht, aber sie plädiert wiederholt für die Verwandlung von „Wutbürgern“ in Aktivbürger. Und diese wiederum müssten „ein ureigenstes Interesse haben, so viele Mitstreiter wie möglich zu gewinnen“. (S. 139) Sie erinnert an die zur Wende installierten „Runden Tische“ in der DDR, an zielgerichtete Aktionen, um Teilnahme an Bürgerversammlungen auf allen Ebenen, an die Installation von Räten und verweist dabei auf die Geschichte. Sie widerlegt das Argument, den Leuten fehle die Sachkunde. Dann könne die praktische Befähigung auf dem Nachweis „eines Zivildienstes, eines Praktikums, einer ehrenamtlichen oder öffentlichen Tätigkeit in sozialen und pflegerischen Einrichtungen,“ (…) in Vereinen usw. beruhen.

Sie schreibt ganz volkstümlich von einer Fahrerlaubnis für Demokratie, von einem „Demokratie-Diplom“, das man erlangen könne und schlägt in diesem Zusammenhang auch materielle Anreize vor. (S. 141) Wolle man aus der Zuschauerdemokratie heraustreten und die Teilnehmerdemokratie anstreben, meint die Autorin, dann ist eine Qualifikation nötig. Es gehe um eine beratende Parallelstruktur von Räten mit Befassungs- und Vetorecht dem Parlament gegenüber. (S. 140) Ohne Umschweife schreibt die Autorin auf Seite 170: „Die Räterepublik als Alternative wird die Parteien auf den zweit- oder drittrangigsten Platz verweisen, der ihnen gebührt.“ (S. 170)

Nur Quasseln ist kein Mitregieren. Dagegen sind Aktivbürger Vorreiter, sind Pioniere des klaren Denkens und Handelns, sind Menschen, die den Glauben an eine menschlichere Zukunft nicht verloren haben, die Veränderungen nicht nur herbeiwünschen, wie es nahzu 80% der BRD-Bürger im Grunde ihres Herzens anstreben, sondern dafür aktiv einstehen. „Wir sind der Staat – das ist Anspruch und Bedingung für Akzeptanz.“ (S. 174)

Der Vordenkerin Daniela Dahn sei gedankt für ihren Mut, für ihre aufklärerische Kraft, geistigen Widerstand zu leisten, für ihre klare Sprache, für ihre tiefe Menschlichkeit. Ja, es bleibt dabei, Unruhe stiften, „subversiv“ sein mit friedlichen Mitteln ist eine Ehre. Die alte Mauer zwischen Oben und Unten, zwischen Arm und Reich, zwischen Kapital und Arbeit muss weg! Wer winkt da ab? Lassen wir noch einmal Jean-Jacques Rousseau zu Wort kommen: „Ich besitze nicht die Kunst, für jemand klar zu sein, der nicht aufmerksam sein will.“ (S. 21)

Daniela Dahn: „Wir sind der Staat. Warum Volk sein nicht genügt“, gebundene Ausgabe: 176 Seiten, Verlag: Rowohlt (12. März 2013), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3498013335, ISBN-13: 978-3498013332, Größe und/oder Gewicht: 21 x 13,2 x 1,8 cm, Preis: 16,95 Euro

Daniela Dahn, geboren 1949 in Berlin, Journalistikstudium in Leipzig, danach Fernsehjournalistin. Seit 1981 arbeitet sie als freie Autorin; Mitglied des P.E.N seit 1991, Gründungsmitglied des «Demokratischen Aufbruchs». Sie ist Trägerin des Kurt-Tucholsky-Preises für literarische Publizistik, der Luise-Schroeder-Medaille der Stadt Berlin und des Ludwig-Börne-Preises. Bei Rowohlt erschienen bislang neun Essay- und Sachbücher.


Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung

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Thema: "Auf der Sonnenseite" - ein lesenswertes Buch von Franz Alt
pomme

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"Auf der Sonnenseite" - ein lesenswertes Buch von Franz Alt 28.03.2013 17:40 Forum: Nachrichten und Zeitgeschehen

Der grosse Abschied

Buchtipp von pomme

Notruf an alle - das Feuer muß weg!! Das Feuer, das jahrtausendelang die Menschen erwärmt, ihnen Kraft und Energie gespendet hat. Das Feuer, das aus der in der Erde gespeisten Sonnenenergie wie Kohle und Gas herausgepresst, ausgeraubt und aufgebraucht wurde. Zu den fossilen Rohstoffen gesellten sich unglücklicherweise noch die atomaren. Und nun ist die Ozonschicht beschädigt, das Klima steht vor dem Kollaps – hauptsächlich durch Menschenhand verursacht - , die Rohstoffquellen sind am Versiegen. Schätzungen ergaben: Bei gleichbleibendem Verbrauch sind nur noch verfügbar: Uran 30 Jahre, Erdöl 40 Jahre, Erdgas 63 Jahre, Braun- und Steinkohle circa 180 Jahre.

Das Lösungswort heißt Energiewende. Franz Alt hat dazu ein hochinteressantes Buch mit dem Titel „Auf der Sonnenseite. Warum uns die Energiewende zu Gewinnern macht“ geschrieben. Er ist Journalist und langjähriger Berater von Konzernen und Regierungen, studierte Politikwissenschaft, Geschichte, Philosophie und Theologie, promovierte 1967. Von 1968 bis 2003 arbeitete er überwiegend beim Südwestfunk (SWF, heute: SWR), für den er 20 Jahre lang das ARD-Politmagazin Report moderierte.

Optimistisch bemerkt der Autor auf Seite 248: „Wir müssen nicht länger nach Kohle, Gas, Öl und Uran in dunklen Löchern buddeln, wir können endlich das neue, große Lagerfeuer am Himmel anzapfen, nur dort gibt es die ewigen ´Fleischtöpfe´. Die Energieträger des alten Lagerfeuers gehen zur Neige, aber das solare Lagerfeuer – bestehend aus Sonnen-, Wind- und Wasserkraft, aus Bioenergie, Erdwärme und Wellenkraft – steht uns auch in Jahrmillionen noch zur Verfügung.“

Franz Alt bezeichnet die Energiewende als Schlacht um die Sonne, als Kultur- und Zivilisationswende. Sie schickt uns kostenlos Energie – alle dreißig Minuten soviel, wie die Menschheit in einem Jahr konsumiert. „Wenn wir nur 1,15 Prozent der Fläche Deutschlands zur Produktion von Solarstrom nutzen würden, (…) wären alle Elektrizitätsprobleme für immer gelöst“, so der Autor. (S. 32)

Gehen wir also dem Morgenrot entgegen. Nie wieder Ressourcenprobleme? Nie wieder Kälte in den Wohnungen? Nie wieder hohe Stromkosten? Nie wieder Zwistigkeiten zwischen den Völkern? Nie wieder fossile-atomare Brennstoffe? Nie wieder Ängste vor dem Klimawandel? Franz Alt als Kenner der Materie stellt in seiner brisanten Analyse auf 268 Seiten nicht nur die Fakten einer bisherigen Vorreiterrolle Deutschlands vor, sondern entlarvt auch die Bremser, die Lobbysten der Energiepolitik, was, wie es im Klappentext heißt, auf wenig Gefallen stoßen wird.

Über 91 Prozent der Deutschen seien laut Umfragen von der notwendig raschen Umsetzung der Energiewende überzeugt. So sehe man auf Dächern zunehmend Photovoltaik-Anlagen (Solarzellen). Die Zielstellung aus dem Jahre 2000, bis 2012 12 Prozent Ökostrom zu nutzen, sei beispielsweise mit 25 Prozent überschritten worden. Der Autor kommentiert: „Beachtlich ist, dass dieses Etappenziel gegen den politischen, publizistischen und wirtschaftlichen Mainstream erreicht wurde.“ (S. 33)

EU-weit war für das Jahr 2030 71.000 Megawatt Windstrom prognostiziert worden. Tatsächlich wurde dieses Ziel bereits 2009 erreicht, viermal so schnell wie vorausgesagt. Der Unterschätzung der erneuerbaren Energie – in diesem Fall von der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris -, stehe die Überschätzung der Ölpreisentwicklung gegenüber, so Franz Alt. Die gleiche Agentur ging nämlich davon aus, dass das Barrel Öl im Jahr 2030 etwa 30 Dollar kosten würde. Doch bereits 2008 kletterte der Ölpreis auf 147 Dollar, sank 2009 auf 40 Dollar, stieg aber 2012 wieder auf 110 Dollar. Er könne, so die Schätzungen, 2020 bei über 200 Dollar liegen. (S. 35) Fakt ist: Der Ökostrom behält zunehmend die Oberhand. Er ist die Zukunft.

Mit zahlreichen Beispielen belegt Franz Alt, dass mit dem Mix von Solarenergie, Wasserkraft, Windkraft, Chemie, Bioenergie, Geothermie und auch Meereswellen die Zukunft der Menschheit mit einer sauberen und nahezu kostenlosen Energie gesichert wäre. Sein geflügeltes Wort: Die Sonne schickt keine Rechnung.

Er weist auf die Gefahren hin, die bei einer „Immer-Weiter-so-Philosophie“ der Menschheit ins Haus stünden. Nicht nur die von Profitjägern hauptsächlich verursachte Klimakatastrophe, auch die Verknappung der Ressourcen würde zu Kriegen führen. Der Kollaps sei vorprogrammiert. „Jeden Tag rotten wir durch Abholzung, industriebedingte Erosion, Raubbau an Bodenschätzen und Emissionen unwiederbringlich 150 Tier- und Pflanzenarten aus. Die Natur braucht 30.000 Jahre, um eine Spezies zu schaffen. Ohne Tiere und Pflanzen wird es auch keine Menschen geben können.“ (S. 6cool Die Geschwindigkeit der ökonomischen und ökologischen Selbstzerstörung sei atemberaubend, schreibt der Autor auf Seite 70. Es sei keine Zeit zu verlieren, die Wende in der Energiepolitik herbeizuführen.

Unbarmherzig nimmt er deshalb auch die Bremser einer Kehrtwende aufs Korn. Er widerlegt die Lüge vom teuren Strom, die Politiker, die die „Energiewende mit freundlicher Unterstützung von E.ON, RWE und Co“ organisieren wollen, was aber scheitern muss. „Den Großkonzernen geht es primär darum, einen Verlust ihrer Marktanteile zu verhindern. Die Energiewende ist für sie allenfalls drittrangig“, meint Franz Alt. (S. 23cool Ins Visier nimmt er u.a. das Projekt, riesige Überlandleitungen für den Stromtransport von der Nordsee nach Bayern und Baden-Württemberg verlegen zu wollen. Das sei Ausdruck alten Denkens in zentralisierten Strukturen (S. 4cool, denn der Süden habe genügend Wind, man müsse die Windräder nur höher bauen, meint Alt an anderer Stelle. Mehrmals gerät besonders der BRD-Wirtschaftsminister Philipp Rösler unter Wortbeschuss, der mit „sogenannten Hermes-Bürgschaften Atomprojekte im Ausland unterstützt (S.65), der im Sinne der Atomlobby gegen die Solar-Einspeisevergütung gewettert hatte (S.106), der zudem den Photovoltaikstrom auszubremsen gewillt ist.(S. 141)

Keiner macht sich da was vor: Vier große Energiekonzerne bestimmen den Strommarkt in Deutschland. Sie rechnen jährlich mit steigenden Milliardengewinnen, denn sie geben die sinkenden Preise am Energiemarkt nicht an ihre Kunden weiter. Nicht zu leugnen ist auch dies: Seit 2007 sind die Verbraucherpreise beim Strom um mehr als ein Viertel, auf heute 26 Cent pro Kilowattstunde im Durchschnitt, gestiegen. Für die Großverbraucher aber sind sie seit dem Jahr 2008 um 22 Prozent gesunken. Gerechtigkeit sieht anders aus.

Einen Spagat vollführt der bekennende Christ und einstige CDU-Mitglied, wenn er an verschiedenen Stellen seines Buches den Raubtierkapitalismus, den neoliberalen Gier-Kaptalismus, das Missmanagement zentraler Ressourcen wie Wasser, Böden, Waldbestände und Fischgründe angreift (u.a. S. 71), gleichzeitig aber an Einsicht und Vernunft appeliert. So schreibt er in Bezug auf die neuen Energieträger von einem neuen Humanismus des 21. Jahrhunderts, von einer dadurch zu erreichenden besseren Welt, vom ewigen Frieden und vom Wohlstand für alle, der allein durch die Energiewende nun möglich werde. An dieser Stelle möchte wohl der Autor nicht so recht glauben, dass den Kapitalmächtigen mit Appellen an die Vernunft nicht beizukommen sei: auch wenn sie auch hierbei Gewinne erzielen – es bleibt beim Klassenkonflikt zwischen Besitzenden und Ausgebeuteten. Einige Seiten weiter allerdings mahnt er, „dass das westliche Modell, das auf ewigen Wachstum und Ausbeutung der Naturressourcen setzt, niemals als weltweites Prinzip funktionieren kann.“ (S. 92)

Während Energieriesen schnelle Fortschritte hin zu erneuerbaren Energien ausbremsen, setzt Franz Alt auf das Volk, auf Genossenschaften, es gäbe „immer mehr kleine Stromer, die eine Energie-Revolution von unten vorantreiben.“ (S. 37) So gab es im Herbst 2012 in Deutschland bereits 138 Regionen, die bis 2020/2030 oder 2050 bei der Stromgewinnung komplett erneuerbar und autonom sein wollen. (S.36/37). Und was soll das kosten? Der Autor meint: Die weltweite Energiewende kostet bis 2030 etwa 100 Billionen Dollar, „ungefähr die Hälfte des Betrags, den wir ohne diese Wende allein für Brenstoffe, Kraftstoffe und Strom weltweit ausgeben müssten“. (S. 39) Er setzt noch einen drauf: Seit 2004 wurde eine Kilowattstunde Solarstrom um 70 Prozent preiswerter, das Erdöl aber um 200 Prozent teurer.

Das Verdienst des Franz Alt: Dies Buch ist gut und spannend zu lesen. Die Diktion ist klar, nicht „hochwissenschaftlich“ verkorkst, sondern auch für Otto Normalverbraucher verkraftbar und lesenswert. Der hohe Anspruch des Autors besteht in seinem moralischen Anliegen, durchsetzt mit knallharten Fakten.

DER GROSSE ABSCHIED von dem alten energiespendenden Feuer und die Besinnung auf erneuerbare Energien – Franz Alt bezeichnet diese Wendezeit als Reformation des 21. Jahrhunderts. Der Abschied von den alten Feuern - er kommt ohne Größe nicht aus. Es braucht eine Zeit, die heute mehr denn je „Riesen an Denkkraft, Leidenschaft und Charakter, an Vielseitigkeit und Gelehrsamkeit“ braucht, wie Friedrich Engels in der Einleitung zur „Dialektik der Natur“ einst die Reformationszeit von 1517 bis 1648 charakterisierte. (Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 20. Berlin/DDR. 1962. »Dialektik der Natur«, S. 311-327.)

Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung

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Thema: "Mein Leben in der Piratenpartei 2012"
pomme

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Piraten 15.02.2013 11:59 Forum: Bücher und Printmedien

Wenn Du einen Verlag vermißt - das Buch hat noch keinen. Anfragen bei Menschenfreund persönlich.
Gruß pomme

Thema: "Mein Leben in der Piratenpartei 2012"
pomme

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"Mein Leben in der Piratenpartei 2012" 14.02.2013 20:22 Forum: Bücher und Printmedien

Ein politisches Tagebuch von Jo Menschenfreund

Buchtipp von pomme

Jeder hat seine eigene Sicht, aber nicht jeder sieht etwas, das besagt ein polnischer Aphorismus. Die Politik macht es uns vor, jeder quasselt auf Teufel komm raus, mehr oder weniger substanzreich. Meist weniger. Unsere Zeit aber benötigt Sehende, Nachdenkliche, Handelnde, kritische Sichten. Licht ins Dunkel zu bringen, Klartext zu sprechen - das ist eine Frage des Überlebens geworden auf diesem Planeten Erde, eine Frage des Charakters, des zielgerichteten politischen Kampfes. So wie das in linksgerichteten fortschrittlichen Zeitungen, in online-Beiträgen und vereinzelt in Parteien geschieht. Das neueste erfeuliche Beispiel: Das 461 Seiten umfassende Buch von Jo Menschenfreund (Pseudonym) mit dem Titel „Mein Leben in der Piratenpartei 2012“.

Jo Menschenfreund ist Gründer der AG Friedenspolitik und zum Zeitpunkt der Erstellung des Buches einer der für drei Monate gewählten Sprecher des basisdemokratisch organisierten „Sozial Progressiven Piratenkreises“ innerhalb der Piratenpartei. Zu seinem Buch meint er, es sei keine vollständige Geschichte der Piratenpartei, er beschreibe lediglich Vorgänge und Erlebnisse „aus der subjektiven Sicht eines engagierten Aktivisten…“

Doch Skepsis ist angebracht. Da sollte man sich schon angesichts der bisherigen politischen Unterprofilierung dieser anfangs in der Gunst der Wähler nach oben geschnellten Piratenpartei fragen, welche Sicht auf die Partei und auf die Welt Jo Menschenfreund hat? Welche Vorstöße unternimmt der Autor, um sich und damit auch die Partei fester zu positionieren? Welche Spuren nimmt er auf?

Ins Auge fällt, mit wie vielen Themen sich der Autor auseinandersetzt. Da geht es laut Inhaltsverzeichnis u.a. um das Innenleben der Piratenpartei, um Basisdemokratie, um Rassismus, um das Grundgesetz, um die Manipulation durch die Medien, um die Bankenkrise, um die Antideutschen und deren versuchtes Eindringen in die Piratenpartei, um Nazis, um Friedenspolitik, um Terrorismus, um Menschenrechte, um Drohnen, um Verschwörungstheorien. Es geht um Erwartungen, Hoffnungen, Initiativen, Auseinandersetzungen, Enttäuschungen und Aussichten. Drei der wesentlichen Themenkomplexe möchte der Leser besonders ins Auge fassen: Krieg, Europa und Antiimperialismus.


Auf den insgesamt 461 Seiten finden sich etwa 222 Vokabeln zum Krieg. Will man Wörter suchen, die die Ursachen von Kriegen markieren, dann gibt es fünfmal die Bezeichnung Monopol, 30 mal das Wort Imperialismus (das man in den bürgerlichen Medien kaum findet), dreimal das Wort Ausbeutung, einmal die Vokabel Mehrwert. Nach solchen Wörtern wie Privateigentum, Eigentumsverhältnisse und Profitmaximierung sucht man allerdings vergeblich.

Bereits im Vorwort positioniert sich der Autor: Er wolle eine politische Programmatik mithelfen zu entwickeln, „die eine moderne Friedenspolitik im 21. Jahrhundert dem Konzept des ´Recht des Stärkeren` aus der Zeit als wir noch in Höhlen wohnten, gegenüber stellt.“ Braucht er dazu Mut? Er beantwortet sich die Frage selbst: Nur wenige würden sich trauen, öffentlich auszusprechen was sie denken, wurde dies doch über Jahrzehnte als "kommunistisch" oder "sozialistisch", als "Spinnerei" oder "weltfremd" bezeichnet, bzw. besonders neuerdings als „antisemitisch“, „rechts“ oder „Querfront“.


Und so nimmt er kein Blatt vor den Mund, die Enttäuschungen nach dem Zusammenbruch des Ostblocks folgendermaßen zu charakterisieren: Es hatten „viele Menschen die Hoffnung, dass jetzt eine Zeit des Friedens, der Abrüstung beginnen würde. Und was haben wir erreicht? Atomwaffen, netterweise jetzt „Mini Nukes“ genannt sind nicht mehr Abschreckungswaffen, sondern Teil des normalen Kriegsszenarios der Nato. Es wird mehr statt weniger in Rüstung in der westlichen Welt ausgegeben. Wir haben mehr Kriege als jemals vorher. Und wir stehen heute vielleicht näher vor einem 3. Weltkrieg als zur Zeit des Eisernen Vorhangs und der gegenseitigen Abschreckung.“ (S.111)


Jo belegt diese Aussage zusammenfassend: „Alle Welt spricht von den ca. 3.000 Toten durch den Terroranschlag von 9/11. Und die toten US-Soldaten aus dem Irak- und Afghanistankrieg werden einzeln als Helden geehrt. Schon viel weniger denken an die über 1,75 Millionen nicht US-Bürger, die durch die Kriege zu Tode kamen. Noch weit weniger reden von den tausenden, vielleicht zehntausenden von missgebildeten Kinder durch Uranmunition 619. Und niemand spricht von den Millionen, die körperlich und / oder seelisch schwerstverletzt wurden, die ihr Leben lang an der Bürde eines Krieges zu tragen haben. Und wieder hört man in Deutschland, dass Krieg ´auch mal notwendig sei´. Man hört, dass es einen ´gerechten Krieg´ gäbe. Man erklärt uns, dass Deutschland ´seinen Beitrag leisten müsse.´ Man erklärt uns, dass wir den Menschen helfen müssten ´sich zu befreien´. Was nichts anderes bedeuten soll, als sich unseren Idealen, unserem Weltbild anzupassen. Was automatisch bedeutet, dass wir Krieg als ewigen Begleiter akzeptieren sollen.“ (S. 44cool


Der Autor und Pirat weiß ebenso wie Millionen andere Bürger: Enttäuschungen türmen sich nur dann auf, wenn sie sich aus Illusionen nähren, aus Gläubigkeit und politischem Unwissen, in Verkennung der wahren Ursachen für imperialistische Machtansprüche. So ist das auch mit den anfänglichen Jubelschreien zur EU. Jo meint, die Piraten würden ja sagen zur Europäischen Union, wollen aber anmerken, die EU-Einheit solle als langfristiges, basidemokratisch vorbereitetes Projekt beginnen. Aber vollkommen unabhängig von der derzeitigen Geldordnungs- und Finanzkrise. Dem widerspreche, das legt der Autor dar, dass es Profiteure der heutigen Krise gebe. Und diese sollten zuallererst herangezogen werden. Wörtlich: „Wenn diese Unternehmen ihre Last dem Staat, also jedem einzelnen Bürger, aufbürden, müssen Sie auch ihr Eigentumsrecht abgeben.“ (S. 109) Auf Seite 110 ergänzt er: „Wir dürfen uns nicht wegen einer Krise, in die uns die Elite der Gesellschaft manövriert hat, dazu bringen lassen, überhastet und übereilt in eine neue Gesellschaftsordnung einzutreten, in der noch stärker Eliten das Sagen haben und Einfluss nehmen werden. Wodurch mehr Sprengstoff entsteht, als wir derzeit durch die Finanzkrise angehäuft sehen.“


Was unternimmt ein vernunftbegabtes Wesen, um sich eine eigene Orientierung zu geben, um sich weitgehend unabhängig von den Nebelschwaden verbreitenden bürgerlichen Medien zu machen? Jo Menschenfreund tut das, indem er sich die Frage stellt, ob er sich einen Antiimperialisten nennen könne. Auf Seite S.198/199 schreibt er: „Nachdem man mich auf Twitter einen ´Piraten-Ober-Antiimperialisten´ genannt und aus dem Grund geblockt hatte, wollte ich der Sache nachgehen, was denn einen ´Antiimperialisten´ heutzutage überhaupt ausmachte. Und so kaufte ich mir das Büchlein ´Mit Kapitalismus ist kein Frieden zu machen´ der Linksjugend Hamburg, um mich auf den neusten Stand zu bringen.“ (Mit Kapitalismus ist kein Frieden zu machen, Christine Buchholz/Stefan Ziefle ed.al, www.papyrossa.de ISBN 978-3-89483-504-0)


In der Einleitung des Büchleins werde darauf hingewiesen, so Jo Menschenfreund, wie die Konsequenzen, die aus dem zweiten Weltkrieg gezogen worden waren, nämlich „NIE WIEDER KRIEG“ und „NIE MEHR FASCHISMUS“ längst der so genannten „Realpolitik“ geopfert wurde. Krieg sei wieder zu einem Mittel der Interessenvertretung geworden, nur klüger verpackt in Rechtfertigungen. „Und selbst wenn diese sich nachträglich als Lügen herausstellen, funktioniert es beim nächsten Krieg wieder wie immer.“


Auf Seite 201 zieht der Pirat Jo Menschenfreund für sich das Fazit: Wer sich mit Friedenspolitik beschäftige, komme um das Thema Imperialismus und Antiimperialismus und auch die Frage einer linken Ideologie nicht herum. Für ihn erschließe sich, dass er wohl tatsächlich ein Antiimperialist sei. Auf Seite 403 fährt er fort: „Aktive Friedenspolitik im oben dargelegten Sinn ist m.E. die einzige Chance, die die Menschheit hat, um mit steigenden Bevölkerungszahlen und schwindenden Ressourcen, sich zu einer friedlichen und nachhaltig wirtschaftenden Gesellschaft zu entwickeln. Wenn der Wert der menschlichen Arbeit und das Engagement der Menschen für Rüstung und Kriege verschleudert wird, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass der nächste Jahrhundertwechsel einen großen Teil der Menschheit wieder in Höhlen leben sieht. Nachdem Millionen und Milliarden qualvoll zu Tode kamen.“


Das Fazit des Rezensenten: „Mein Leben in der Piratenpartei 2012“ sollte ein Lehrbuch sein, wie man nicht nur „basisdemokratisch“ mitspielt in der Piratenpartei, sondern ernsthaft darum ringt, seine eigene politische Position zu erlangen und zu festigen. Die Vielfalt der Interessengebiete, die der Autor ins Spiel bringt und sich damit auseinandersetzt, zeugt von einer hohen kulturellen und politischen Bildung, von einem erstrebenswerten Drang, über sich selbst hinauszuwachsen, durch eifriges Suchen ein Sehender und aktiv Handelnder zu sein.


…doch nicht jeder sieht etwas? Jo Menschenfreund gehört nicht zu denen, die sich verschaukeln lassen.


„Mein Leben in der Piratenpartei 2012“ von Jo Menschenfreund, epubli-Verlagsgruppe Holtzbrinck, 27,90 Euro, Hardcover, DIN A5 quer, 464 Seiten, Erscheinungsdatum: 31.12.2012

Blog des Autors: http://jomenschenfreund.blogspot.com

Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung

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Thema: Nachricht aus Troja
pomme

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Nachricht aus Troja 30.12.2012 20:06 Forum: Bücher und Printmedien

Hans-Dieter Mäde: Fragmente einer Motivation

„Nachricht aus Troja“

Buchtipp von pomme

Wer tief schürft, wird manches finden. Das betrifft bei Weitem nicht nur die damaligen Wismutleute im Erzgebirge, die nach der Befreiung 1945 im Interesse des Weltfriedens nach Uranerz (notwendig für den Bau von A-Bomben in der UdSSR) suchten und fündig wurden. Das geht wohl jedem Menschen so, der nach Erkenntis sucht, nach größerem Wissen forscht, sein Leben zurückblickend neue Nuancen seines Denkens, Fühlens und Tuns abzuklappern gedenkt. Wichtig dabei sei, so Thomas Mann, „daß man mit dem möglichst geringsten Aufwand von äußerem Leben das innere in die stärkste Bewegung bringe; denn das innere ist eigentlich der Gegenstand unseres Interesses.“

Hans-Dieter Mäde hat das getan. Ein bekannter DDR-Regisseur, geboren 1930 in Krakow, aufgewachsen in Schwerin, als Generalindendant und Chefdramaturg an verschiedenen Theatern tätig in der DDR, zuletzt u.a. Regisseur am Maxim Gorki Theater Berlin und Generaldirektor des DEFA-Studios für Spielfilme Potsdam-Babelsberg. (Nach langer schwerer Krankheit 2009 verstorben.)

Was er in seinem Buch (der Text, entstanden seit Mitte der 90er Jahre unter Mitarbeit seiner Frau Karin Lesch und seines Sohnes Michael Mäde, wurde aus dem Nachlaß herausgegeben) „Nachricht aus Troja“ ans Tageslicht förderte, wird all jene begeistern, die ebenso wie er nach 1945 nach neuen Wegen suchten, aus dem Dilemma der Kriegs- und Nachkriegswirren herauszukommen und sich dort einzubringen, wo endlich etwas Neues entstehen sollte: Und das war zweifellos im Osten Deutschlands der Fall.

Bemerkenswert, wie Mäde bereits als Jugendlicher seine Lebensbahnen in die Richtung von Literatur und Theater gerichtet hat und – das ist nicht zu bestreiten – im neuen gesellschaftlichen Milieu den Nährboden und seine Chancen sah, an der großen Umwälzung teilzuhaben. Jedoch nicht nur als Nehmender, als inaktiver Mitarbeiter, sondern als stets Suchender. Eine Position, die ihm wohl Glück in der Arbeit als auch manche Unbequemlichkeiten mit den Staatenlenkern einbrachte. So schreibt Mäde auf Seite 169: „ Das von mir für zeitgemäß gehaltene Losungswort vom Ideal, für das ich Hamlet antreten ließ, ging von diesem Gorkischen Glaubenssatz aus“, der da lautete, der forschende, suchende Held sei für ihn unvergleichlich wertvoller als der, der bereits fest in seinem Glauben steht und sich dadurch „vereinfacht“ habe.

Das Grundgefühl nach der endlichen Befreiung vom Faschismus, ausgehend von den Bedürfnissen der Zuschauer, charakterisiert der Autor so: „Das Ideal von einem vernunftgelenkten Zusammenleben hatte Chance durchzubrechen. Das hieß auch: Wir stehen erst am Anfang. Jetzt kann es beginnen.“ (S. 164) Mit seinen Nachrichten aus dem Vergangenen wolle er, Hans-Dieter Mäde, Wege rekonstruieren, die ihn ans Regiepult führten und Motiven nachspüren, die seine ersten selbständigen Theaterentscheidungen beeinflußten.

Und das tut er so umfassend, dass es den Lesern eine reinste Freude sein kann, den alten Bekannten an Dichtern, Schriftstellern, Schauspielern und Theaterstücken in diesem Buch wiederzubegegnen, u.a. Goethe, Thomas Mann, Tschechow, Brecht, Puschkin, Winterstein, Gorki, Ostrowski, Felsenstein, Shakespeare, Pasternak, Belinski, nicht zu vergessen Ernst Bloch, von dem sich der Autor in philosophischen Fragen an „die Hand nehmen ließ zu einer Wanderung durch die ´menschliche Wunschlanschaft´.“

Wer Ähnliches durchlebt hat, wird verstehen, welch ein Genuß es ist, sich mit Erkenntnissen – sowohl aus der umgebenden Realität als auch aus denen der gelesenen Literaturen jene Motivationen herauszusaugen, die einem Mut machten, immer nach vorne zu sehen, aber auch Kritisches in den Focus zu nehmen. So nennt Mäde Hamlets Ideale, die er in sein „Motivationsarsenal“ aufgenommen hatte, ebenso – um nur ein Beispiel zu nennen – sein persönliches Zusammentreffen mit Walter Felsenstein, dessen Vorstoß auf das Totale, nämlich das „gesamte Beziehungsgeflecht von Werk – Zeit – Wirklichkeit – Darstellung – Zuschauer“ neu zu befragen und Antworten vorzuschlagen. Und: Glück sei ohne Prüfung und Standhaftigkeit nicht zu gewinnen. Felsenstein habe uns mit unseren Halbheiten und unserem alltäglichen Opportunismus konfrontiert.

Felsenstein zitierend schreibt der Autor auf Seite 88: „Ich bin ein Fanatiker der Wahrheit, weil Form ohne Wahrheit Dreck ist.“ Mäde gesteht, den Ensembles, in denen er arbeitete, oft auf die Nerven gefallen zu sein mit seinen „unermüdlichen Ermahnungen und Beispielen, wie man sich ideelle Bereicherung“ aus der Komischen Oper in der Behrenstraße holen könne. „…für das, was ich an der Sache für das Wesentliche hielt, war ich bereit, mich herumzuprügeln, es war für mich zu einer Gesinnungs- und Weltanschauungsfrage geworden“, so der Autor. Schließlich ging es, meint Mäde, um unglaubliche Überanstrengungen im Kalten Krieg, um keine andere Alternative als um „Wer – Wen?“. Doch mit Widerstand hatte es, so Mäde, in keiner seiner Lebensphasen zu tun. Er wolle das anmerken in einer Zeit,, „in der man sich von einer nie geahnten Schar von Regimekritikern und Reformpolitikern umgeben sieht“. Vermittelt durch Lehrer und Künstler der unmittelbaren Kriegsgeneration spricht er Klartext: „Die antifaschistische Position ging als erstes, grundlegendes Element in meine Motivation ein, sie war eine erworbene, durch Erlebnis und Anschauung gestützte, durch gedankliche Verarbeitungsanstrengung fundierte Konstante…“

Im tiefen Schmerz den Untergang „Trojas“, der DDR, bedauernd, kreidet er die politischen Floskeln an, die „bei der Verdrängung mancher individueller Konflikte Hilfsdienste leisteten“ (S. 2cool, die Verdrängung der Generationsfrage als einer Abart der bürgerlichen Ideologie, die totale Ratlosigkeit der Macht vor den „Ansprüchen und Affekten der Generation, die den Krieg nicht mehr gesehen und den gewöhnlichen Kapitalismus nur aus primitiv-vereinfachendem Hörensagen … kennengelernt hatte“ (S. 110), das Festhalten an der liebgewordenen linearen Fortschrittsvorstellung (S.121), dass „die sozialistischen Gesellschaften den Platz nicht auszumachen wußten, den die Lüste, Freuden, Späße und Genüsse in der dynamisch-hierarchischen Struktur der Antriebe“ einnehmen (S. 275) und schließlich, dass die „Hypothesen über die Wechselwirkung von veränderten Lebensumständen und Erziehung“ nicht stand hielten. (S. 276)

Der Autor Mäde resümiert: Heute regeln sich die Dinge wieder über die Brieftasche. Ihn erstaune, in welchem Tempo sich die Neue Ordnung – den Kommerz als einzigen Maßstab zu akzeptieren – durchgriff. (S. 221) Schlimmer noch: Das Ende der europäischen sozialistischen Staaten habe ein Ende der Gewalt nicht näher gebracht, „auch keine Zunahme von Güte und Toleranz.“ Die „neue Weltordnung“ ziehe eine frische, mörderische Spur von Blut und Gewalt aus dem vorigen ins gerade angebrochene Jahrhundert…“ (S. 121)


Dem Autor Mäde stellt der Rezensent den Schauspieler Eberhard Esche (Deutsches Theater) zur Seite, der in seinem Buch „Der Hase im Rausch“ zu den neuen Mißständen u.a. formulierte: „Die Zeitläufe sind so geraten, daß kleinbürgerliche Seelchen die großstädtischen Theater Europas … beherrschen.“ Es lohne nicht einmal die Polemik gegen diese Vize-Lümpchen, die die Zerstörung der Theater und damit unserer Kultur betreiben. Er beklage sich nicht, denn er – Eberhard Esche - hatte das Glück, Maßstäbe zu lernen. So ergänzen sich ein Regisseur und ein Schauspieler, die beide – und mit ihnen viele Millionen DDR-Bürger – ihr behütetes Glück lebten. (S. 102)

Gleich dem Autor Mäde nimmt wohl auch mancher Leser im tiefsten Inneren wahr: Was jetzt Wirklichkeit ist, hat ferngerückt, mit welchen Absichten wir angetreten sind. Immer noch liege Gorki dem Autor mit der Frage in den Ohren, die seine Gestalten mit stoischer Hartnäckigkeit wiederholen: „Und so wollt ihr also tatsächlich leben?“ (S. 239)

„Nachricht aus Troja“ ist ein anstrengendes aber lohnenswertes Buch. Es steht dem Zeitgeist entgegen und ordnet sich gerade deshalb würdevoll in die Reihe der bereits aus über tausend Bänden bestehenden Erinnerungsliteratur zur DDR-Geschichte und ihren Erfolgen und Versäumnissen ein.

Diesem Satz des Autors ist wohl erst recht zuzustimmen: „Die Gründlichkeit, mit der Troja geschleift wurde, konnte nicht verhindern, daß Nachrichten an die Späteren kamen von denen, die trotz allem ´Mut schöpften und gute Hoffnung´.

Tief schürfen - das muß man also erst einmal wollen. Ohne das läuft gar nichts. Ohne dem bist du ein Anhängsel, ein nur Gläubiger, eine Marionette in den Händen anderer. Es sei denn, man gibt sich selbstzufrieden mit einem ewigen Taumel zwischen hoher Sinngebung und Barbarei…


Hans-Dieter Mäde: „Nachricht aus Troja“, Fragmente einer Motivation, Taschenbuch: 292 Seiten, Verlag: Edition Schwarzdruck; Auflage: 1 (8. März 2012), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3935194498, ISBN-13: 978-3935194495, 24 Euro

Erstveröffentlichung in der Neuen Rheinischen Zeitung

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Thema: Auf Rehwildjagd mit Jesus
pomme

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Auf Rehwildjagd mit Jesus 06.12.2012 18:17 Forum: Bücher und Printmedien

Rezension

Meldungen aus dem amerikanischen Klassenkampf

„Auf Rehwildjagd mit Jesus“ / Joe Bageant

Buchtipp von pomme

Das nenne ich Glück - das Erlebnis des Ensembles Cirque du Soleil (Im Zirkus der Sonne). Du fühltest dich wie in eine andere Welt versetzt, gleichsam auch emporgehoben. Wieviel menschliche Leistungsfähigkeit, Akrobatik, Schwung, anmutige Leichtigkeit, begleitet von einer Musik-Produktion, die sich laut Programmheft u.a. von den Beatles inspirieren ließ, von herrlichen Farben, von tollen Lichteffekten. Ein Kunstwerk, was wohl mehr Sehnsucht nach Menschlichkeit nicht ausstrahlen kann. Das Schöne, die Grösse des Menschen wirbelte den vor Beifall tobenden Zuschauern entgegen. Im Programmheft steht: „Der Cirque du Soleil macht sich Gedanken über die Welt von morgen und richtet sein Engagement vor allem auf den weltweiten Kampf gegen die Armut.“ Das trifft nicht nur die Amüsier- und Spassstrecke der Zuschauer, sondern gleichermaßen deren Hirn und Herz, stimmt nachdenklich. Fragt sich, wie weit ist der reale Weg vom Zirkus zur Welt der Sonne?

Dazu hat der amerikanische Autor Joe Bageant (1946-2011) etwas zu sagen. In seinem Buch „Auf Rehwildjagd mit Jesus“ beschreibt er ebenfalls eine Welt – allerdings mit weniger Sonne, eine Welt, die uns in Europa nicht so fremd sein dürfte. Die Größe des Autors: Er besingt förmlich die Schönheit des Menschen, seine Sehnsucht nach Erfüllung und Frieden, abzulesen an den Schicksalen derjenigen, die der Autor in seinen acht Essays vorstellt, darunter eine Karaoke-Sängerin, eine Putzfrau, ein Vorarbeiter, eine Hühner-Schlacht-Gehilfin, ein Folter-Girl oder die verarmte Witwe eines Kurzstrecken-Truckers. Er webt deren Leben ein in die gesellschaftlichen Umstände, in die Widrigkeiten dieses so gelobten Landes, in die angeblich „klassenlose Gesellschaft“. Das alles beschreibt er mit einem gekonnten Schreibstil, mit Liebe, mit Wärme für die Benachteiligten dieser kapitalistischen Gesellschaft, Spannung inklusive.

Auf Seite 27 bekennt er: Ich möchte dem Leser „das Leben der amerikanischen Arbeiter näherbringen, näher, als dies unsere Medien jemals tun würden.“ Sarkastisch beantwortet er sich die Frage, was ihn berechtigt, sich derart gesellschaftskritisch zu äußern: „Eigentlich nichts, bis auf die Tatsache, dass ich der eingeborene Sohn eines Landes von Arbeitern bin, das auf den Hund gekommen ist.“

Joe Bageant – einer, der das Schuften und Mühen Auge in Auge mit der Arroganz der links-liberalen Elite kennengelernt hatte: Als Marinesoldat, Arbeiter, Journalist, Pferdezüchter, Kneipenwirt, Redakteur, Mitwirkender in Sendungen des Radio und in Dokumentarfilmen und im Internet.

Gerade deshalb wird der Autor bissig und wütend, wenn er ganz unbarmherzig die sozialen Zustände dieses großen Amerika anprangert, aufdeckt, entlarvt. Ja, er reißt förmlich die Maske herunter von dem angeblich so tollen auf hohem Pferd sitzenden Amerika. Der oft propagierte „Amerikanische Traum“ bekommt – nicht erst jetzt – einen gewaltigen Kratzer.

Den Titel des Buches könnte man nach dem ersten Lesen bereits abwandeln: Mit der Waffe in der Hand und Jesus im Kopf verteidige ich mein arg geschütteltes Vaterland. In den acht Kapiteln berichtet der Autor u.a. von den Konsequenzen der Globalisierung für die Einwohner einer Stadt, von der Abzockerei beim Erwerb von mobilen Eigenheimen, vom Waffenkult, vom tiefen Glauben an Gott, von den Verwerfungen im Gesundheitswesen. Und, und und…

Dem Autor geht es vor allem um das untere Drittel der amerikanischen Gesellschaft, Menschen, „die sich wie folgt beschreiben lassen: konservativ, politisch fehlinformiert oder passiv und patriotisch, auch wenn es zu ihrem eigenen Schaden ist.“ Viele glauben noch an den Amerikanischen Traum, der sich „ausschließlich über Geld definiert“. (S. 60) Dieser Traum besage auch, „unsere aus dem Bauch kommenden, uninformierten Meinungsäußerungen seien so etwas wie ungeschminkte und fundamentale politische Wahrheiten.“ (S. 231) Es fehle die „Befähigung zum kritischen Denken“, schreibt der Autor auf Seite 287.

Als ein Mensch, der komplex denken gelernt hat, erwähnt er dabei zunächst auch die „Errungenschaften“ dieses Amerika, z.B.: Cineplex-Kinos, Outlet Stores, dreistöckige Straßen, extragroße Wegwerf-Bierdosen Hummers, Honda, Game Boys, Dale-Earnhardt-Gedenk-Dampfkochtöpfe … „die ganze dynamische, blinkende, digitale Phantasmagonie.“

Arbeitslosigkeit? Die nationale Mythologie (S. 35) propagiere Amerikaner, die „schrecklich gesund, gebildet, reich und glücklich sind.“ Der Autor setzt dagegen: Mit mindestens 19 Millionen Arbeitslosen oder arbeitenden Armen unter den Weißen habe man es zu tun, wobei der gewiß höhere Prozentsatz bei den Schwarzen liege. Die Armen und die an der Armutsgrenze angesiedelten Arbeiter unter den Weißen bewegen sich, so der Autor, „analog zu den Schwarzen und Latinos, die in Ghettos ums Dasein kämpfen, innerhalb einer mit einer Sackgasse vergleichbaren sozialen Matrix, bei der ein Scheitern vorprogrammiert zu sein scheint.“ (S. 19) Den Blick auf die Arbeiterklasse richtend, stellt Joe Begeant resignierend fest: „Die Krise, in der die Arbeiterschaft steckt, ist ebenso schrecklich wie unspektakulär. Die Passivität der Arbeiterklasse, ihre Abneigung gegenüber allem, was sie für zu intellektuell halten, und ihre Aggressivität gegenüber der Welt“ würden sich bereits zu Hause und in der Grundschule bemerkbar machen. (S. 46)

Die Folge: „Eine lausige Bildung und ein Leben in der Gladiatoren-Arena einer Marktwirtschaft, in der jeder gezwungenermaßen gegen jeden kämpft, sind ungeeignete Voraussetzungen, um Grundeinstellungen wie Optimismus oder Unvoreingenommenheit zu entwickeln, die den Liberalismus kennzeichnen.“ Ein solcher Hintergrund, meint der Autor, münde in einer Art von düsterer Grobheit und emotionaler Verrohung. Sie führe dazu, dass die betroffenen Arbeiter Kriege des amerikanischen Imperiums hinnehmen, „ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.“ (S. 87) Was Wunder, wenn die mitunter sehr gottgläubigen Menschen darauf hören, was die radikale christliche Konservative predigen, „dass Frieden niemals zur ersehnten Wiederkunft Christi führen kann und dass jeder, der sich um Frieden bemüht, ein Werkzeug Satans ist.“ (S. 186)

Unter dem Dach des peitschenschwingenden Großunternehmentums (S. 294) entpuppe sich die viel gepriesene amerikanische Freiheit größtenteils als Fiktion. (S. 295) Die Kultur basiere auf Fernsehen und Öl. (S. 294) Das Fernsehen entmündige den amerikanischen Durchschnittsbürger, indem es ihm „die politische und intellektuelle Sphäre aus den Händen nahm.“ (S. 296)

Ohne Bildung, meint Joe Bageant, könne sich nichts ändern. Und dann haut er wieder einen sehr persönlichen Satz rein, der ihn ebenfallls sympathisch macht: „Was meine Leute wirklich brauchen, ist jemand, der einmal ordentlich auf den Tisch schlägt und laut und verständlich sagt: ´Hört mal zu, Ihr verdammten Büffelhörner! Wir sind blöder als ein beschissener Hackklotz und hätten dafür sorgen sollen, dass man uns was beibringt, damit wir wenigstens ein bisschen kapieren, was in dieser beschissenen Welt abläuft.´“

Auswege? An die Linke gewandt mahnt er, echte Bewegungen sollten das Protestpotenzial, das unter unzufriedenen und enttäuschten Leuten vorhanden ist, für ihre Ziele im Interesse der Menschen nutzen. (S. 99) Sein persönliches Fazit drückt der Autor auf Seite 213 so aus: „Ich warte begierig darauf, dass mein Streben nach einer besseren Gesellschaft endlich Früchte trägt…“

Alles in Allem: Das Buch ist eine politisch-soziale Fundgrube, auch wenn vieles bekannt ist. Aber nach dem Lesen dieser gesellschaftskritischen Arbeit ist einem die amerikanische Seele näher gekommen. Das liegt auch an der sehr gründlichen Recherche durch den Autor, seinen zahlreichen Konsultationen mit Freunden und Wissenschaftlern. Fremdwörter, spezifischen Vokabeln aus der amerikanischen Geschichte, findet man in den Anmerkungen wider.

Amerika in diesem interessanten und aufschlußreichen Buch - welch ein Erkenntnisgewinn! Dass der bundesdeutsche Leser manches wiedererkennen wird beim Lesen an Zuständen in seinem eigenen Land mag durchaus kein Zufall sein. Solch einen Spiegel vor der Nase möchte man da rufen: „Ach wie gut, dass niemand ahnt, dass wir gar nicht soweit weg sind vom gelobten Land…“ Cirque du Soleil!! Was heißen soll „Im Zirkus der Sonne“. Der Weg ist noch weit von diesem herrlichen Zirkus zu einer Welt der Sonne…

Joe Bageant: „Auf Rehwilsjagd mit Jesus“, gebundene Ausgabe: 350 Seiten, Verlag: VAT Verlag André Thiele; Auflage: 1 (9. Oktober 2012), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3940884928, ISBN-13: 978-3940884923, Originaltitel: Deer Hunting with Jesus. Dispatches from America's Class War , Größe und/oder Gewicht: 21,4 x 13,2 x 2,4 cm

Erstveröffentlichung in der Neuen Rheinischen Zeitung

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Thema: Im Narrenzug ins "Disneyland"...
pomme

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Im Narrenzug ins "Disneyland"... 11.10.2012 11:35 Forum: Bücher und Printmedien

„Euroland wird abgebrannt“. Profiteure, Opfer, Alternativen / Lucas Zeise

Buchtipp von pomme

Da kann man schon schockiert sein: Du sitzt im Schnellzug ohne zu wissen, wohin die Reise geht. Dir wurde zwar ein tolles einheitliches Europa vorgegaukelt, in dem du überall in gleicher Währung zahlen kannst - aber der Zug verlangsamt seine Fahrt, hält nicht mehr an jeder Station, gerät schließlich ins Stocken und ein jeder muß aussteigen und Brennholz (sprich erhöhte Steuern) für eine schwerfällige Weiterfahrt sammeln. Schöne Aussichten. Und kaum einer macht sich über den Preis Gedanken, der für diese Fahrt ins „Glück“ zu zahlen sein wird?

Die bisher zurückgelegte fehlerhafte Strecke und die „Zukunftsaussichten“ dieser Narrenfahrt beschreibt Lucas Zeise in seinem neuesten Sachbuch „Euroland wird abgebrannt“. Der Autor, Finanzjournalist mit einem Studium der Volkswirtschaft und Philosophie, führt den Leser in acht Abschnitten anschaulich und in einer sauberen sprachlichen Diktion vor Augen, wie die EU im Jahre 1992 aus der Taufe gehoben wurde, welche Vorteile der einheitliche Binnenmarkt gehabt hätte und welchen unsinnigen und katastrophalen Zielen wegen seiner fehlerhaften Konstruktion der Eurozug entgegenfährt. Ohne extra auf den großen russischen Klassiker hinzuweisen, der in seinem Aufsatz „Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa“ davor warnte, dass „die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär“ seien, entwirrt Zeise den Knäul des Warum und Wofür dieser Zusammenballung des europäischen Kapitals.

Dies in diesem Beitrag außen vor lassend räumt der Autor gewisse Vorteile des einheitlichen Binnenmarktes ein. Die Pluspunkte wären zum Beispiel: ein großer Währungsraum ermögliche es den beteiligten Volkswirtschaften, „sich weitgehend den irrationalen Bewegungen der Finanzmärkte, speziell des Devisenmarktes entziehen“ zu können. Weiter: „Die Kapitalisten und ihr Staat können sich einfacher und billiger selbst finanzieren.“ So sei die Finanzierung von Unternehmen und Staat weniger abhängig von den Launen der Finanzmärkte. Ein großer Währungsraum könne sich notfalls auch vom internationalen Kapitalmarkt abkoppeln. Nicht zu vergessen: Nach dem II. Weltkrieg ergab sich zum ersten Mal „die Chance, mit den USA hinsichtlich der Vorteile einer Anlage- und Leitwährung gleichzuziehen“. (S. 61)


Nicht ohne Ironie widmet sich Zeise auch den „Vorteilen“ von Spekulationen. So schreibt er: „In spekulativen Hochphasen wird also die Tendenz des neoliberalen Wirtschaftsmodells zu Stagnation und Unterkonsumtion überspielt. Die Spekulation suggeriert steigende Gewinne in der Zukunft. Die Investitionen steigen. Sie schaffen zusätzliche Nachfrage und fördern damit den Aufschwung. Der bei steigenden Vermögenspreisen explodierende Reichtum in den Händen der an der Spekulation Beteiligten, färbt außerdem auf die übrige Gesellschaft ab. Die immer reicher werdenden Spekulanten fragen mehr Luxusgüter nach, sie bauen sich Häuser und Paläste und richten sie ein. Die zahlungskräftige Nachfrage nach Porsches, nach Immobilien, nach Reisen in der Busineß- oder der ersten Klasse steigt. Auch dadurch wird die Realwirtschaft angeregt. Wenn die Spekulationsblase geplatzt ist, schrumpft umgekehrt diese Nachfrage drastisch.“ (S. 27)

Doch zum Kern des Schlamassels: Bereits einleitend stellt Zeise fest, man müsse die Krise der europäischen Währungsunion als Bestandteil der den ganzen Globus umfassenden aktuellen Weltfinanz- und Weltwirtschaftskrise begreifen. (S. cool Auf den Seiten 16/17 legt er vor allem die Finger auf die unüberwindbaren Wunden auf das neoliberale kapitalistische Wirtschaftsmodell: Es gehe radikaler und direkter um die Erhöhung der Kapitalrendite. Folglich: Druck auf die Gewerkschaften, auf die Löhne, denn mit allen Mittel muß die Mehrwertrate gesteigert werden. Kapitalverkehr über alles. Dazu werden auch die nationalen Schutzschranken für den Warenhandel und den Kapitalverkehr systematisch abgebaut. So werden stärkere Kapitale bevorzugt und die Monopolisierung vorangetrieben. „Um die Kosten für das Kapital niedrig zu halten, wird der Staat kurz gehalten und geplündert. Die Privatisierung von Staatsvermögen, die Vernachlässigung der Infrastruktur, von Bildung und Erziehung und Gesundheit der breiten Bevölkerung gehören zum Kern des neoliberalen Credos.“

Dass der Kapitalismus an seinen inneren Widersprüchen krankt, sei allgemein bekannt, aber das helfe nicht weiter, so der Autor. (S. 44) In polemischer Auseinandersetzung mit der Auffassung, das Finanzkapital spiele keine eigenständige Rolle, weist der Autor nach, dass die Banken und das Finanzkapital durchaus fähig sind, „Geld aus dem Nichts zu schaffen“. (S. 4cool

Warum ist die auf einer Konferenz am 7. Februar 1992 im niederländischen Maastricht beschlossene europäische Währungsunion eine verfehlte Konstruktion, wie Lucas Zeise analysiert? (S. 57) Wichtig dabei ist die Feststellung des Autors, daß dieEuropäische Währungsunion „nicht nur den politischen Interessen der deutschen Regierung entsprach, sondern vor allem den wirtschaftlichen Interessen der deutschen Unternehmen.“ (S. 60) Deshalb dürfen sogenannte heilige Kühe einfach nicht geschlachtet werden. Dazu gehört, so der Autor, nicht nur schlechthin das Privateigentum, sondern auch der Wettbewerb (Konkurrenzkampf) untereinander, also auch zwischen den Ländern der Europäischen Union. Von Vorteil für alle (S. 64) wäre eine gewisse Spezialisierung gewesen. Allerdings wurden die Standortvorteile, die ja „höchst ungleich verteilt waren“, „durch die Fehlkonstruktion des Euro und die Wirtschaftspolitik der Kernländer sogar noch verstärkt“. Das Entscheidende dabei: Statt mit Transferleistungen für den Fluß von Überschuss- zu den Defizitregionen zu sorgen, fehlen staatliche Institutionen. Seite 69: „An die Stelle von staatlicher Regulierung tritt dabei der ´Wettbewerb´. Und um die Konkurrenz zu befördern, gilt als oberstes und nachgerade heiliges Prinzip die Freiheit des Kapitalverkehrs.“

Welche Lösungswege bietet der Autor an? Will man die Währungsunion erhalten, so Zeise, sollten die grundsätzlichen Mängel der Euro-Konstruktion beseitigt werden. Sie könne nur durch „einen höheren Grad der staatlichen Integration (…) überleben.“ (S. 130) Dazu müsse jedoch „das Prinzip des Wettbewerbs der Staaten (um die Gunst des Kapitals)“ aufgegeben und „durch staatliche Institutionen“ ersetzt werden. Er plädiert für eine Angleichung der Steuersysteme, der sozialen Systeme und für den Aufbau einer zentralen EU-Regierung.(S. 130) Auch müssten die „neoliberale Umverteilung von unten nach oben gestoppt und umgekehrt werden; zweitens muss der Finanzsektor massiv geschrumpft und damit die Macht des Finanzkapitals beschnitten werden.“ (S. 132)

Auf den Punkt gebracht: „Der Euro scheitert nicht deshalb, (…) weil die an der Währungsunion beteiligten Länder kulturell und ökonomisch so unterschiedlich sind. Er scheitert vielmehr daran, daß er ein Produkt des Neoliberalismus ist.“(S. 142) Fakt ist: „Das Scheitern des Euro-Projektes bedeutet eine schwere Niederlage des europäischen und deutschen Kapitals.“ (S. 141)

Was steht schon jetzt fest? Die im Zug Sitzenden werden zum Narren gehalten. Sie werden das angestrebte Ziel nicht erreichen. Rechnen müssen sie mit Gehälterkürzungen, Entlassungen, reduzierten Renten, Sozialleistungen und Ausgaben für Forschung und Bildung, mit weniger Investitionen in Straßenbau, Eisenbahn, Wasser- und Stromversorgung. So verschärft auch der Fiskalpakt die Krise, schreibt Lucas Zeise. (S. 126) Trotzdem meinen 73 Prozent der Deutschen laut einer Umfrage (siehe „nd“ vom 29.09.2012): Uns geht es ja gut. Man hat ja seine einheitliche Währung, man hat ja in Deutschland sein Auskommen, nicht wahr?

Mag manch einer sagen, das alles seien olle Kamellen. Man lasse uns in Ruhe, sollen die da oben nur ihr Zeug machen. Außerdem: Die das Euroland kritisch gegenüberstehenden Schriften nehmen zu, häufen sich. Der große Vorzug Zeises ist es, in sachlicher und gründlicher Weise die eigentlichen Ursachen des gewollten Eurolandes als rein kapitalistisches Streben nach Maximalprofit in den Vordergrund gerückt zu haben. Im Klartext: Euroland kann nicht funktionieren, da die inneren Widersprüche des Kapitalismus eine einvernehmliche Zusammenarbeit zwischen den sehr unterschiedlichen Ländern im europäischen Raum auf der nur Wettbewerbsebene einfach nicht zulassen.

Es ist ein meines Erachtens sehr gut und verständlich verfasster Text besonders dann, wenn er, wie auf Seite 62, die konkrete Situation eines Vorstandschefs als Beispiel anführt. Auch die grau unterlegten Begriffserklärungen wie über Rating-Agenturen und Eurobonds dienen dem leichteren Verständnis.

Der Narrenzug schaukelt weiter ins Land, in ein Land der Märchen und Illusionen. Die Zuginsassen fühlen sich genarrt, und die da oben halten fest an ihren nebelhaften Illusionen, einer von Fehlkonstruktionen und Pleiten bestückten Strategie. Wir leben in einer Gesellschaft der Blendungen und Verblendungen. Disneyland läßt grüßen. Der Preis, der für die Fehlplanungen zu leisten sein wird, ist schon jetzt nicht mehr kalkulierbar. Und die Bundeskanzlerin, an die Adresse der Jugendlichen gerichtet, ruft: „Das Europa der Zukunft liegt in euren Händen!“ (siehe Märkischer Sonntag, 23.09.2012)

Na dann – weiter eine gute Fahrt ins Glück!!

(„Euroland wird abgebrannt.“ Profiteure, Opfer, Alternativen, Autor: Lucas Zeise, Papyrossa Verlagsges.; Auflage: 1 (September 2012), ISBN-13: 978-3-89438-483-8, 19,6 x 13 x 1,4 cm, Deutsch, Broschiert: 142 Seiten.)

Thema: Aufs "Shoppen" reduziert
pomme

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Aufs "Shoppen" reduziert 11.10.2012 11:31 Forum: Politik

Eine Studie zur Lebensqualität in Großstädten / „ServiceValue GmbH“

Besprechung von pomme

Der Mensch steht im Mittelpunkt. Schon gehört und gelesen? Früher, vor der „Wende“ und auch heutigentags. Je nachdem, wer auf den Menschen blickt, erweitert sich oder verengt sich der Blickhorizont. Der wahre Humanist sieht in ihm eine Persönlichkeit, die sich allseitig fachlich und kulturell bildet und sich in Würde entwickeln möge, vor allem im Arbeitsleben und im Privaten. Der im Dienste des Kapitals stehende Politiker sieht ihn ihm vor allem ein Kreuzchenmacher bei Wahlen. Ein Unternehmer und Wirtschaftsboss allerdings hat naturgemäß den engsten, raffiniertesten und trickreichsten Blick. Er berücksichtigt alle Umstände, die den Einzelnen veranlassen könnte, immer tiefer in den Geldbeutel zu fassen. Der Mensch ist für diese Truppe der „Fürsorglichsten“ nichts weiter als ein Käufer, ein Konsumidiot.

Und so sieht denn auch das nicht erst heute propagierte Menschenbild der Meinungmanipulation aus: Shoppen, Saufen, Essen. Darauf, und nur darauf richtet sich das große „menschliche Interesse“ der Kapitalmachthaber. Und nur so funktioniert die Wirtschaft.

Diesem natürlichen Streben nach Profit und noch immer mehr Geldakkumulation, um im Luxus überleben zu können, dienen selbstverständlich auch gewisse Analysen und Statistiken. Schließlich sollten die oberen zehntausend Staats- und Wirtschaftlenker schon unter die Nase gerieben bekommen, wo sie günstig und mit hohem Gewinn weiterhin investieren können.

Wie wohl fühlen sich die Menschen in deutschen Großstädten? Was und wer gibt den Ausschlag, dass sie sich gut oder weniger gut fühlen? Ist es das Vergnügen, das Essen und Wohnen oder mehr das grundlegende, nämlich die Arbeit, also das Gebrauchtwerden?

Wen aber interessieren derlei Fragen? Es sei denn, man wolle in eine andere Stadt umziehen und will wissen, was der neue Wohnort denn so zu bieten hat. Auskunft gibt eine Studie, die die „ServiceValue GmbH“ verfasst hat. Sie ist ein auf Servicequalität und Wertemanagement spezialisiertes Analyse- und Beratungsunternehmen. Vielsagend ist die Studie überschrieben mit „Bürgerbefragung: Lebensqualität in Deutschlands Großstädten 2012“. Die Online-Befragung hatte sich im September 2012 an 2101 Einwohner der 15 Großstädte gewandt. Sie gibt in Zahlen Antwort über die Lebensqualität in diesen Städten Deutschlands. Die Analytiker kommentieren das so: Was verbindet die Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Großstadt? Nicht die Arbeit – vielmehr das Flair und die Atmosphäre. Diese beiden Aspekte haben den größten Einfluss auf die Identifikation, die Treue, die Weiterempfehlung und auch die emotionale Geborgenheit. An zweiter Stelle folgen „Leute und Mentalität“, dann „Leben und Wohnen“, „Essen und Trinken“ sowie „Einkaufen und Shoppen“. Auf dem letzten Platz von insgesamt 19 untersuchten Teilqualitäten landen „Arbeit und Ausbildung“. Das Ziel sei, so die Macher, aufzuzeigen, „wie sich der Unternehmenswert durch optimale Servicegestaltung gegenüber Kunden, Mitarbeitern und Partnern entwickeln lässt.“

Und an dieser Stelle sollte man bereits stutzig werden. Den größten Anteil befragten Einwohner stellen die 25 bis 34jährigen, also die zur sogenannten Wendezeit noch Kinder waren. Gleichfalls wurden Leute mit 1.501 bis 2.000 Euro Haushaltsnettoeinkommen in den Fiskus genommen. Also gut Situierte, vor allem jene, die bis zu 5000 Euro verdienen und darüber. Auffällig: 62 Prozent der Befragten sind in Vollzeit beschäftigt und 68 Prozent im Angestelltenverhältnis. Leider befinden sich lediglich 13 Prozent Arbeiter und 14 Prozent Selbstständige/Freiberufler unter den Befragten. (Sie fallen durchs Sieb bei der Zielgruppenfindung.)

Die Statistik ist also vor allem ein Wegweiser für die Wirtschaft und macht klar, wo das Geld locker sitzt und wo noch mehr zu holen ist. Das sind – aufgepaßt, liebe Unternehmer – zum Beispiel Düsseldorf. In allen Parametern wie Arbeit und Ausbildung, Leben und Wohnen und Einkaufen und Shoppen haben die Düsseldorfer die Nase vorne.

Besonders aufschlußreich: Die Kriterien „Einkaufen und Shoppen“, „Essen und Trinken“ sowie „Events und Feste“ besitzen die höchste Priorität. Selbst in Berlin, wo „Arbeit und Ausbildung“, „Leben und Wohnen“, „Schulen und Bildung“ und „Umwelt und Sauberkeit“ die roten Laternen bei der Befragung bilden, behaupten sich auf Platz Eins u.a. „Events und Feste“, „Freizeit und Tourismus“, „Ausgehen und Nachtleben“ sowie „Einkaufen und Shoppen“.

Wenn Arbeit und Ausbildung nahezu unter den Tisch fallen, wie soll man dann die Spaßgesellschaft verstehen, da doch die Würde des Menschen und sein Geldbeutel geradezu von diesen so sehr grundlegenden Faktoren abhängen? Die Antwort liegt auf der Hand: Schon vergessen - wir sind ja beim Thema Dienstleistungen für unternehmerische Initiativen und nicht beim allseitigen sozialen Wohl für die Bürger.

Wie froh und glücklich kann sich ein Staat wie Deutschland also wähnen, wenn es stets zufriedene Bürger hat, die – trotz Arbeitslosigkeit und zunehmendem Zwiespalt zwischen Arm und Reich - mit jedem Spaß und Ulk ihr mitunter zukunftsloses Dasein fristen. Aber das ist ja – das sollte man eben nicht vergessen – kein Thema für die Großverdiener. Insoferm ist diese Untersuchung an die richtigen Adressaten gerichtet. Und die richten ihren spezifischen Eng-Blickwinkel auf die Kaufkraft Mensch, wie sollte es anders sein in diesem System.

Das Signal für die Staatenlenker und Wirtschaftsbosse: Laßt uns weiter Gewinne machen und genießen – Dank der zufriedenen Geborgenheit unserer Bürger. So mucken sie nicht auf und halten still. Im Klartext: „(…) Indem man die Menschen auf ihren wirtschaftlichen Nutzen reduziert, nimmt man ihnen das, was sie eigentlich erst dazu macht. Sie fristen ihre Existenz als gesellschaftliche Nutztiere und werden auch als solche behandelt…“ (Max Horkheimer, „Die gesellschaftliche Funktion der Philosophie“, Frankfurt/M. 1979. S. 73)

Dennoch, die ServiceValue, nachzulesen im Internet, darf sich des vielfachen Dankes ihrer Kunden rühmen. Hier nur ein Beispiel: 30.9.2010, Thomas Steck, Direktor Kundencenter und Außendienst, OTTO (GmbH & Co KG): "Wesentlicher Erfolgsfaktor unseres Unternehmens ist die starke Kundenorientierung, denn „Gute Gewinne“ schaffen langfristiges Wachstum – „Schlechte Gewinne“ werden auf Kosten der Kundenbeziehung erwirtschaftet, d.h. dem Kunden wird Wert entzogen. Dr. Dethloff und sein Team zeigen den Weg zu guten Gewinnen. Und auch Danke für Ihre beispielhafte Initiative beim Aufbau des branchenübergreifenden Wettbewerbs „Deutschlands kundenorientiertester Dienstleister“.


(ServiceValue GmbH, Köln, Autoren: Dr. Claus Dethloff / Jan Hoffmann, ISBN 978-3-939226-47-5)

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Thema: Zwischen Froschgesang und Revolte
pomme

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Zwischen Froschgesang und Revolte 14.07.2012 17:43 Forum: Nachrichten und Zeitgeschehen

„Unter Piraten“
Erkundungen in einer neuen politischen Arena

Buchtipp von pomme

Ins Reich der Märchen fällt das „vernetzte Froschgequake“, mit dem diese empört die Trockenlegung ihres Heimattümpels durch Immobilienhaie verhindern wollen. Ins Reich der unsterblichen Illusionen fällt der versöhnlerische „vernetzte Menschenprotest“, mit dem endlich menschliche Verhältnisse gegenüber der Macht des Kapitals erkämpft werden sollten.

Versprüht die im Aufschwung befindliche Piratenpartei Hoffnung und „Erlösung“? Immerhin: Sie wolle im Kleinformat und im kommunalen Bereich jedwege Bürgerinitiative – je nach Projekt – zum Durchbruch verhelfen - stramm vernetzt, Massen mobilisierend und in Minutenschnelle in unserer so sehr schnelllebigen Zeit.

Indessen sind auch mögliche Zweifel der mitunter im politischen Halbschlaf befindlichen Wähler für die Piratenpartei wie weggewischt: die jungen und forschen Leute können unbefleckt von Häme und Nerds-Vorwürfen auch weiterhin in die Parlamente einziehen. Dank der ersten wissenschaftlichen Erkundung in dem Sachbuch „Unter Piraten“ ist nun nachgewiesen – nein, die Piraten sind keine Biertrinker, keine einseitig bekloppten, sondern einfach andersartig. Ernst zu nehmende Internetmacher. Zunehmend politisch engagiert. Nicht säbelrasselnd, sondern eben leise bewaffnet mit Laptops. Ja, sie wollen Breschen schlagen in des politischen Stumpfsinns Mauern. Für mehr Bürgerrechte und mehr persönliche Freiheit. Scheint die Freude verfrüht? Denn nur 10% habe die Partei auf Grund der Inhalte gewählt, 80% geben als Wahlmotiv die „Unzufriedenheit“ mit den anderen Parteien“ an (S. 21cool.

„Unter Piraten“ weist nach – akribisch belegt mit Fakten und Tabellen und auf der Grundlage von Umfragen – die Piratenpartei ist in der Welt keine Einzelerscheinung. Sie kommt nicht aus dem Nichts. Schweden hatte sie zuerst im Parteienspektrum, anfängliche Bewegungen gab es in den 80er Jahren in den USA.

Schon im Vorfeld war sichtbar: Einerseits wirft man den Piraten vor, die politische Landschaft entpolitisieren zu wollen, andererseits schwören jene, eindeutig antikapitalistische Positionen zu vertreten. Was stimmt? Liegt die Wahrheit genau in der Mitte? Wer Neues wagt, dem sollten keine Steine in den den Weg gelegt werden.

Lesen wir, was die 24 Autorinnen und Autoren zu dem Phänomen der Piratenpartei für den Leser entdeckt haben. In 18 Beiträgen – unterteilt in die Abschnitte Entern, Ändern und Neustart – erkunden sie u.a. das Milieu, die geschichtliche Einordnung, das politische Denken sowie den demokratischen Veränderungswillen der Piratenpartei.

Nicht nur Politverdrossenheit…

Der Häme ist einer Bewunderung gewichen: Innerhalb von sechs Jahren (formale Gründung am 10. September 2006) habe die Piratenpartei Land gewinnen können und sitzen bereits in Länderparlamenten, so der Herausgeber Christoph Bieber bereits in seiner Einleitung (S. 9). Erstaunlicher als die Erfolge an der Urne erscheine jedoch die Organisationsentwicklung sowie die immer hitziger werdende öffentliche Debatte. Es sei eine Bewegung von der Zuschauer- zur Beteiligungsdemokratie zu verzeichnen (S. 10). Weder neue Themen noch neue Inhalte wären die Ursache des Aufstiegs gewesen, sondern möglicherweise hätte die Internetsperrung zur Politisierung geführt sowie das „Versprechen auf eine neue Form der Teilhabe am politischen Prozess“ (S. 13). Und weiter: „Nicht so sehr die inhaltliche Auseinandersetzung (…) konturieren den Markenkern der Partei, sondern eher Arrangement und Stil der innerparteilichen Meinungs- und Willensbildung.“ (S. 15) Kurz: Nicht nur Politikerverdrossenheit sei im Spiel gewesen, sondern die Andersartigkeit: Das Alter der Mitglieder, deren Sozialisation hätte besonders Jung- und Nichtwähler angezogen. Vor allem auch die Offenheit, das Sichtbar-Machen -Wollen politischer Prozesse, die Infragestellung gängiger Routinen des politischen Systems… (S.17) Die Piratenpartei verstehe sich als Bürgerrechtspartei. Es gehe „nicht um Computer und Internet an sich, sondern um uneingeschränkten Zugang zu Sozialstrukturen.“ Politische Forderungen im Bereich Bildung, kostenloser Nahverkehr, Versammlungsrecht, Freigabe von Drogen etc. – das ist von starkem Interesse für Jungwähler, auch wenn kein konkretes Programm existiert, wie solche Forderungen gegen den Widerstand von Staat und Kapital durchgesetzt werden könnten. Und genau dies ist es, was genauer unter die Lupe zu nehmen ist.

Ziele im Klartext

Was die Autoren ausgegraben haben, liest sich in Auszügen so: (S.176-177): Es gehe u.a. um „… Protest gegen das politische Establihment, das als ´nicht-(mehr)-responsiv´ gegenüber den Bedürfnissen und Wünschen der Bevölkerung wahrgenommen wird.“ Piraten seien Teil der weltweiten „Facebook-Revolutionen“, deren gemeinsames Merkmal es ist, mit Hilfe digitaler Kommunikation und Vernetzung in kürzester Zeit , ohne zentrale Steuerung und ohne hierarchische Koordination, große Empörungs- und Mobilisierungswellen hervorzurufen und zu bündeln.“ (Nur Feuerwehr- und Löscheinsätze? H.P.) Politik habe ihre Funktion als „Schrittmacher“ sozialer Entwicklungen längst eingebüßt, (…) Verdienst derPiratenpartei - sie stelle ein „Instrument zur experimentellen Lösung oder Überwindung der demokratischen Dynamisierungskrise in Aussicht….“ (S. 17cool

Piraten seien allerdings „eine politische Sammlungsbewegung, deren programmatische und organisatorische Strukturbildung noch weitgehend offen ist.“ (S. 180-185) „Sie erinnern daran und sensibilisieren dafür, dass jenseits von Staat und Markt, die mit den Mitteln der Autorität und des Geldes operieren, noch andere Formate sozialer Ordnungsbildung existieren, (…)“ Die Mittelposition der Piraten: sie beteiligen sich an staatlicher Rechtsetzung „wenn auch als Opposition , die sich zunächst darauf konzentriert, die Lösungsansätze der Regierungen als einseitige Parteinahme für Wirtschaftsinteressen oder als autoritären und intransparenten Missbrauch der neuen Medien für Überwachungszwecke öffentlich zu kritisieren…“

Transparenz und Illusionen

„Zeitarmut ist das Kennzeichen einer digital beschleunigten Demokratie…“, schreibt Karl-Rudolf Korte auf den Seiten 200-205. „Regieren im Minutentakt“, der Piraten Querschnittsthema sei Transparenz. Sie sei „die erste Partei, die historisch aus Kommunikationstechnologie und der zugehörigen Nutzerkultur hervorgegangen ist.“ Nicht die Nutzung des Internets sei dabei von Bedeutung, sondern die Haltung der Nutzer gegenüber einem gesellschaftlichen Grundkonflikt zwischen Freiheit und Sicherheit.“ Die Teilhabe am politischen Dskurs sei oft wichtiger als die Übereinstimmung mit dem Ergebnis der politischen Entscheidung.“ „Piraten spiegeln Bürgerinitiativen-Klientelismus wider.“ … „Mehr ernsthafte Beteiligung, mehr sichtbaren Nutzen (…), mehr Bewegung und Netzbarkeit als hierarchische Großorganisation.“ „So könnte politische Repräsentation in Deutschland modernisiert werden.“ (S. 206/207)

(S.76/77): Technik habe uns passiver gemacht, Technologie habe den Amateur zurück in die politische Arena gebracht. Siehe Open-Source-Politik. (S.78/79): „Wir leben im Zeitalter des Open-Source-Prinzips: bei der Technologie, in der Kultur und nun auch in der Politik. Es zeichnet die gesellschaftlichen Bewegungen aus, ,,die mit Hilfe vernetzter Technologien möglich machen, dass wir Gemeinschaft anders (er)leben. Dies sei der ´Reichtum von Netzwerken´, die Yochai Benkler vor fünf Jahren beschrieb (vgl. Benkler 2007). Er wächst und gedeiht überall, und so ist es endlich an der Zeit, dass die Menschen ihn als das erkennen, was er ist: die Macht von heute.“ Ergänzend heißt es auf der Seite 94 hierzu: „Das Internet hat die Zugangsmöglichkeiten zu Wissen schlagartig erweitert… Aber eben nicht auf einer gesicherten Eigentumsbasis, sondern als gewährten Zugang.“ Der werde also „die zentrale politische Forderung der Zukunft werden.“ Der Autor Michael Seemann bezieht sich dabei auf Jeremy Rifkin, der dies bereits zur Jahrtausendwende in seinem Buch „Access“ formuliert und hellsichtig darauf hingewiesen habe, „dass der Zugang zu Ressourcen aller Art immer weniger über Eigentum (…) organisiert wird, sondern über Modelle des Zugangs.“

(Randbemerkung von H.P.: Wer hat Zugang, wer kann sich das leisten, welche Mitwirkung ist dadurch gegeben? Denn, so lesen wir es auf Seite 98: „Die gleichen technischen Möglichkeiten bedingen noch nicht den gleichen Zugang.“)

Falltüren

Auf Gefahren bei der Nutzung des Internet für die Piraten verweist Alexander Hensel auf Seite 47: Es seien die Unverbindlichkeiten und die Flüchtigkeit, die bewältigt werden müssen, denn die Piraten würden „kaum über Mechanismen der Steuerung oder gar Disziplinierung ihres Milieus verfügen.“ Der Druck werde wachsen, sich an Bedürfnisse neuer Wählerschichten anzupassen.

Weiter lesen wir auf den Seiten 108-110 u.a.: Die Piraten wollen eine Partei sein, die „nicht einfach Elemente direkter Demokratie stärker in die gegenwärtige Politik einbringt, sondern die für die Demokratie konstitutiv grundlose Spaltung in Regierende und Regierte auf neue Weise in den Bürger_innen verankert und dynamisiert.“ Mal herrschen, mal beherrscht werden. So würde die innere Spaltung der Bürger in Regierende und Regierte individualisiert und zugleich dynamisiert. Eine Demokratie, „deren Herrschaftausübung zu jeder Zeit mit dem zählbaren Volkswillen übereinstimmt: eine totale Identität der Gesellschaft mit ihren Herrschaft ausübenden Institutionen.“ In der totalen Sichtbarkeit bleibe kein Raum für Subjektivierung des Volkes, es kann in der Falle der Transparenz nicht mehr entkommen. Alles ziele „auf eine entpolitisierte Verwaltung im Namen der öffentlichen Meinung.“ Die Piraten würden sich in der Rolle der Vermittlerin sehen, die „Bedingungen der restlosen Versöhnung der Bürger_innen mit ihrer Herrschaft produziert.“

Gefahren und Visionen

(S. 235): „Und hier bleiben Fragen, ob die Piraten mit dem politischen Produktionsmittel Internet dieses als Distributionsmittel nicht falsch einschätzen und so einen Hauptgegner unterschätzen, nämlich die Produzenten und Eigentümer der Netzmedien.“ (S.237): Keiner dürfe die Zensur- und Kontrollmacht der Medienkonzerne übersehen, das wäre fahrlässig und fatal, „bei ihnen konzentrieren sich schon ökonomisch alle Mittel, die öffentliche Meinung zu formatieren.“ Klar erkennbar hier der wesentliche Punkt: „Die Machtfrage wird nicht gestellt.“

Zur nahen Zukunft der Piratenpartei wird festgestellt: (S. 132): „Zunächst wird es darum gehen,, bundesweit in sämtliche Parlamente … einzuziehen.“ Sie muß Farbe bekennen, muss eine Koevolution anstoßen, „die Schritt hält mit dem Wandel, dem sie, nicht zuletzt durch sich selbst, fortlaufend ausgesetzt ist.“

Hier sei folgender Einschub gestattet: Joachim Paul, Medienpädagoge und promovierter Biophysiker in einem Interview mit dem „neuen deutschland“ am 16. Mai 2012: Der Kapitalismus sei tot - juhuu!! Aber er denke, es dauert noch ein bischen, bevor er seine letzten Zuckungen mache. Er würde sich wünschen, dass die Linken und die Piraten in naher Zukunft zusammenarbeiten und so eine starke Front für eine neue Gesellschaft schaffen könnten. Er stelle sich vor, dass die Menschheit bei diesem System nicht sehenbleibe, „so dumm kann der Mensch nicht sein oder?"

Kritisch sei angemerkt: Im Umschlagtext ist zu lesen: Auch die Wissenschaft sei gefordert, „ihren Beitrag zu einer anspruchsvollen Zeitdiagnose zu leisten.“ Es ist nachzuhaken, ob durch Umschreibungen (wie z. B. Protestkulturen statt Klassenkampf) wahre Sachverhalte wieder einmal in Nebelschwaden verschwinden und dem Versöhnlertum mit den Herrschenden Tor und Tür weiter geöffnet werden. Das wahre Konfliktpotential bleibt im Verborgenen. Transparenz? Was würden die Piraten selbst dazu sagen?

Auf Seite 110 gesteht Frieder Vogelmann: Offen bleibe, „ob wir diese Gegenwart tatsächlich zu unserer Zukunft machen wollen.“ Der Rezensent würde das so formulieren: Alles ist offen… alles befindet sich in der Schwebe zwischen Froschgesang und echter und wirksamer Revolte. Quo vadis Deutschland? Dies könnte eine Antwort sein: „Die Piraten positionieren sich (…) mit den Parteien des linken Spektrums.“ (S. 229)

Frösche haben es gut – sie wissen nichts von ihrem sinnlosen empörten Gequake.
(„Unter Piraten“ Erkundungen in einer neuen politischen Arena, Herausgeber: Christoph Bieber, Claus Leggewie, transcript Verlag, Bielefeld, 248 Seiten, ISBN 978-3-8376-2071-9, Preis: 19,80 Euro, broschiert)

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Thema: Der Ruf der Kassandra
pomme

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Der Ruf der Kassandra 05.04.2012 12:14 Forum: Nachrichten und Zeitgeschehen

„Das elfte Gebot: Israel darf alles“ (Evelyn Hecht-Galinski) / Buchtipp von pomme

Wer wagt es, eine „HEILIGE KUH“ zu kritisieren, auch wenn sie furchterregend um sich beißt? Nein, das wagt kaum einer. Erst recht nicht eine gewisse „Anstalt“, deren Auftrag es ja ist, ihre „geistigen“ Abfälle in die Ätherwelt zu schleudern. So am Abend des 30. März. (Gemeint ist die Meldung über den „Marsch auf Jerusalem“, an dem sich Zehntausende beteiligten.) Da wenden sich die von der „KUH“ Geschädigten, die jahrelang Drangsalierten, Entrechteten und Entmündigten in einer Demonstration gegen diese Knechtschaft, auch mit Steinwürfen… Was aber holt die „Medien-Anstalt“ vor die Kamera? Lediglich die Klamotten werfenden „Randalierer“. Sie macht aber keine Anstalten, den eigentlichen Urheber zu benennen. Die „HEILIGE KUH“ bleibt ungeschoren. Sie darf alles…!

Auch Israel darf alles? Reden wir doch Klartext. So, wie es Evelyn Hecht-Galinski immer gekonnt und mutig macht. In ihren Texten, Schriften, Büchern. Letztens auch in ihrem neuesten mit dem Titel „Das elfte Gebot: Israel darf alles. Klartexte über Antisemitismus und Israel-Kritik.“

(Palmyra Verlag 69117 Heidelberg 2012, www.palmyra-verlag@.de , ISBN 978-3-930378-86-9, 224 Seiten.)

Wenn die Autorin den Staat Israel in den Fokus nimmt, dann bestreitet sie nicht dessen längst anerkannte Existenz. Vor allem geschichtlich bedingt, wer wüßte das nicht. Nein, sie empört sich über das Unrecht, das von ihm ausgeht. Doch kommen wir zur Sache: Auf 224 Seiten und in vierundvierzig kurzweiligen Texten – Artikel, Reden, online-Beiträge – prasseln dem Leser Fakten, Fakten und nochmals Fakten sowie Namen und Orte entgegen. Sie entlarvt das völkerrechtswidrige Tun Israels gegenüber den Palästinensern. Sie sticht zu, wenn es nötig ist, sie analysiert genau, sie betrachtet die Konflikte komplex, sie schlägt einen Bogen zur Mitverantwortung der nur zuschauenden Welt, besonders der Deutschen. Sie wehrt sich entschieden gegen den Vorwurf des Antisemitismus, sie attackiert sogenannte kleinkarierte Wadenbeißer, die unter der vorgegebenen „Staatsräson“ sich den Israelis anbiedern. Und sie wirft dies schmähliche Gebaren nahezu allen etablierten deutschen Parteien vor. Lob und Dank, begleitet von Herzenswärme, findet sie für Gleichgesinnte, die im Namen des Völkerrechts und der Humanität an der Seite Palästinas stehen, die mit Recht Widerstand leisten, ohne auch deren Fehler zu übersehen und kleinzureden.

Sie, eine Deutsche mit jüdischer Herkunft. Sie, die Tochter des einstigen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski (1912-1992). Ihr Motiv: „Ich habe mir das Lebensmotiv meines Vaters zu eigen gemacht: ´Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen.´“

Leuchten wir näher in den Text hinein. Mit welcher Herzenswärme, mit wieviel verinnerlichter Menschlichkeit die unabhängige parteilose Bürgerin das Leid der Palästinenser beschreibt -, das geht einem sehr nahe. Es gehe um einen Konflikt, schreibt sie, „der eigentlich gar keiner zu sein bräuchte, da Israel ganz relaxt in den anerkannten Grenzen von 1967 völkerrechtskonform in Frieden mit seinen Nachbarn existieren könnte.“ (S.36) Sie schreit es heraus: Zwischen 1967 und 1994 wurden etwa 140 000 Palästinser vertrieben, indem ihnen das Aufenthaltsrecht entzogen wurde. 14 000 Einwohnern Ostjerusalems ging es ebenso. Die Siedler – über 300 000 - kontrollieren bereits 42 Prozent des Palästinensergebietes. 2700 neue Wohneinheiten seien geplant. (S. 51) Man spreche von einem „größten Freiluftgefängnis der Welt“. (S. 96) Nicht zu vergessen die „über 10 000 palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen – unter ihnen auch Frauen, Kinder und alte Menschen.“ (S. 132) Seit 1967 wurden 700 000 Menschen verhaftet, die zum Teil bis heute auf ihre Gerichtsverfahren warten. Warentransporte würden nur nach „Lust und Laune“ nach Gaza reingelassen. Gewährleistet seien weder Strom noch Wasser, noch medizinische Versorgung. 40 000 Kinder seien nicht eingeschult worden, da Schulen wegen fehlenden Baumaterials nicht gebaut werden konnten. (S. 97) „1,5 Millionen eingeschlossene Palästinser im Gaza-Streifen und 1400 Tote bei der ´Operation Gegossenes Blut´klagen uns an“, schreibt die Autorin (S. 2cool Die Unterschiede zwischen palästinensischen Dörfern und den jüdischen Siedlungen: Wellblechhütten, Zelte, Geröllstraßen und Schlamm. Daneben: Geteerte Straßen, Blumenbeete und Palmenhaine. (S. 212)

Israel, so charakterisiert die deutsch-jüdische Querdenkerin den Staat, sei heute keinesfalls das arme kleine, von Feinden umzingelte Land. Im Gegenteil, es gehöre zu den hochgerüsteten Militärmächten, die sich nicht scheuen, anderen Staaten mit einem Präventivschlag – auch atomar – zu drohen. (S. 1cool Israel existiere seit 63 Jahren auf ehemaligem palästinensischem und seit 44 Jahren auf unrechtmäßig dazugeraubtem Land. (S. 137) Es hält dies Land widerrechtlich besetzt und den Palästinensern entzieht es seine grundlegenden Rechte, seine Freiheit und Unabhängigkeit. Das gehöre vor das Haager Kriegstribunal, so Evelyn Hecht-Galinski. (S. 22) Israel schaffe Tatsachen mit der „Abrissbirne“, aber man siedelt und baut weiter, die „ethnische Säuberung“ halte an. (S. 35) Über 50 000 neue Wohnungen – natürlich nur für jüdische Käufer und Mieter. Palästinenser brauchen keine Wohnungen. Für sie wurden seit 1967 nur circa 600 Apartements gebaut, obwohl mindestens 40 000 gebraucht werden. Eine weitere Enthüllung: Israel sei ein Meister im Tarnen und Verschleiern, wenn es zum Beispiel um das Atomprogramm in Dimona geht, meint die Autorin. Israel findet Unterstützung von AIPAC, der größten Israel-Lobby in den USA. Jahresbudget: 70 Millionen US-Dollar. (S. 116) Auf Seite 210 warnt die Autorin vor einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Iran. Und sie läßt daran keinen Zweifel: Dieser Angriffskrieg wäre nur möglich auch durch die Waffenlieferungen der Schutzmacht USA. (S. 210) Sie nimmt kein Blatt vor den Mund besonders gegenüber den Deutschen. Dem Verteigungsminister hält sie vor, folgende Aussage von Kanzlerin Merkel als unzutreffend ungenügend entkräftet zu haben: Sie habe geäußert, die Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson zu betrachten, und das Deutschland im Ernstfall bereit sei, Israel, wenn es den Iran angreifen sollte, zu unterstützen. Und wer klagt die Hamas einseitig als schuldig an? Frage an die Kanzlerin: Verwechseln sie da nicht Ursache und Wirkung? Die vollständige Blockade sei die Ursache, die Wirkung sind die Kassam-Raketen. (S. 19) Das Grundgesetz bezeichnet die Deutsch-Jüdin als Makulatur, mit der proklamierten Staatsräson nicht vereinbar. Weiter: Die würdigste Form der Holocaust-Erinnerung: Sich das Recht nehmen als Deutsche, aktuelle Verbrechen anzuprangern. (S. 43) Die scharfsichtige Autorin polemisiert, es gehe nicht darum, einseitig und parteiisch zu sein, sondern um Recht und Unrecht. Mit der angeblichen „Selbstverteidigung“ Israels, verhöhne es die Völker. Wenn Politiker Verbrechen gegen die Menschlichkeit rechtfertigen, dann geißelt sie deren „vorauseilenden Gehorsam“. (S. 93) Jede Israel-Kritik sei als Antisemitismus zu bewerten? Wörtlich dazu Evelyn Hecht-Galinski: „Ich bemerke auch immer mehr, daß diese schleichende Politik der Verdummung in Deutschland ihre Wirkung zeigt. Die Bevölkerung weiß immer weniger über die wirklichen Zusammenhänge dieser politischen Intrigen Bescheid.“ (S.129)

Und sie, die enorm treffend komplex denkt, scheut sich auch nicht, die tieferen Ursachen ohne Wenn und Aber beim Namen zu nennen: Sie kreide die Verlogenheit der gesamten westlichen Politik in dieser Region an, die „primär von Wirtschaftinteressen bestimmt ist“. (S. 112) Sie warnt, durch die Menschen- und Völkerrechtsverletzungen sowie die Kriegsdrohungen und Angriffe, die man dem jüdischen Staat durchgehen läßt, „wird die internationale Politik massiv in Gefahr gebracht“. (S. 195) Wer wundert sich da, wenn sich die deutsch-jüdische Aktivistin und scharf politische Seherin für diesen Staat Israel schämt, der nicht in ihrem Namen spricht und handelt.

Ihre Sprache: Locker, sehr persönlich, sehr emotional, überaus engagiert, teilweise mit Wut im Bauch – warum nicht? Es überwiegen kurze Sätze mit hoher Anschaulichkeit. Dafür sorgen u.a. die immer wiederkehrenden bohrenden Fragen – an die Politik, an die Bürger, an sich selbst.

Im Nachwort stellt Gilad Atzmon fest, die Humanistin Evelyn Hecht-Galinski erhebe ihre unschätzbare Stimme nicht als Einzelperson, sondern „gesellt sich zu der wachsenden Zahl von Juden, die sich von ´Stammesdenken´, Chauvinisnus, Überlegenheitsdünkel und Auserwählten verabschiedet haben“. (S. 217) Nicht zuletzt empört sich die Autorin auch mit Stephané Hessel gegen gegebene gesellschaftliche Zustände. (S. 121)

Wer ihr Buch gelesen hat, wird es bereichert zunächst zur Seite legen – erkenntnismäßig, gefühlsmäßig. Und wiederholt hineinsehen müssen, wenn „Anstalten“ wieder einmal die Wahrheit auf den Kopf stellen. Ganz gewiß wird diese Lektüre der mutigen und politisch hellwachen Kassandra ebenso für Anbeter der „HEILIGEN KÜHE“, für Politiker mit „vorauseilendem Gehorsam“, wie die Autorin schreibt, ein wahrer Genuß sein. Mögen diese dabei die Gardinen an ihren Fenstern zuziehen…Noch!!


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Thema: Der Mensch vor dem Supermarkt
pomme

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Der Mensch vor dem Supermarkt 19.03.2012 18:06 Forum: Politik

Die Nachdenklichkeit – sie hockt verkümmernd im letzten Wagen des Zeitenzuges / Von pomme

Da gerinnt das Blut in den Adern: In der ZDF-Serie „Reich und obdachlos“, in der Begüterte in der Kluft Obdachloser für einige Tage Probleme der Armen kennenlernen sollten, „erkannte“ eine Hamburger Galeristin empörend, ja, Obdachlose werden mißachtet, werden als der letzte Dreck angesehen, nicht als Menschen. Man merkte es ihr an, ihr war nach Heulen zumute. Sie fragte aber nicht, warum das so ist. Warum diese sich vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich? Keiner der teilnehmenden Millionäre dachte darüber nach. Warum eigentlich nicht?

Unglaublich: Sie sehen mit eigenen Augen das Elend, spüren aber auch den Reststolz der am Rande der Gesellschaft Lebenden. Machen also persönliche Erfahrungen – und doch bleibt ihr Denken in der bloßen Anschauung stecken, im Symptom. (Auch im Falle des Bundespräsidenten.) Warum? Wegsehen, weil man angeblich nichts bewirken könne, Zufriedenheit, die einen zudeckt? Wo doch täglich aufs Neue Pleiten in der Gesellschaft passieren. Taube Ohren? Taube Augen? Tote Seelen?

Fahre mit der S-Bahn, gehe in die U-Bahnschächte, laufe durch die Straßen: Überall triffst du sie: Die Ärmsten der Armen. Manchmal eine zu verkaufende Obdachlosenzeitung unterm Arm, manchmal ein Musikinstrument spielend, oft knieend auf dem Bürgersteig und einen Hut oder Teller vor sich. Und diese Augen!! Sie sprechen Bände. Sie schreien stumm: Bitte, bitte…! Und das deutschlandweit, weltweit. Im „Schattenblick“ war per Internet zu lesen: „250 000 Menschen gelten in Deutschland als wohnungslos - Tendenz steigend. Jeder sechste Deutsche ist armutsgefährdet, könnte abrutschen und - wenn es ganz schlimm kommt, auf der Straße landen. Das Risiko zu verarmen hat längst die Mittelschicht erreicht. So weit die Fakten. Grund genug für Journalisten, das Thema Obdachlosigkeit aufzugreifen und darüber zu berichten. Aber wie?“

Nun, das ZDF - und nicht nur diese Medium - hat es versucht – und ist erbarmungslos in den Augen wohl der meisten Zuschauer abgerutscht, weil die Serie zu flach und oberflächlich daherkam. Ohne Tiefe, ohne ein gesellschaftliches Resümee zu ziehen. Schade um die Steuergelder!

Auch ich sehe oft einen, der bettelnd vor dem Eingang des Supermarktes steht. Einen Menschen. Nahezu täglich, nun schon Jahre, da man ihn sieht, bei Wind und Wetter. Nicht die Hände ausgestreckt. Keinen Hut vor sich auf dem Erdboden. Ruhig und lächelnd steht er da wie eine Statue. Jeden höflich „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ ansprechend. Blaue Augen, tränenlos. In unseren Taschen finden wir etwas Kleingeld. Jedesmal. Er bedankt sich.

Wie gerne würde ich mehr über ihn erfahren. Woher er kommt, wie er in diese entwürdigende Lage gekommen ist. Wie schwer er es hatte. Ob er Angehörige hat. Und und und… Ist es Mitleid? Eher Mitgefühl. Und was würde es ändern an seinem Zustand? Könnte man etwas über ihn schreiben? Würde er das befürworten? Und wer soll das veröffentlichen? Das ist doch keine Sensation, die sich gut verkaufen läßt.

Da steht er also, was mir vorkommt, er stünde er auf einem Bahnhof und dürfte und könnte nicht in einen Zug steigen, der ihn mitnähme in ein menschenwürdiges Dasein. Und die an ihm Vorübereilenden: Da er öfter dort steht, ist er kein unbekannter. Sicher, einige reichen ihm Almosen. Und gehen befriedigt weiter, etwas Gutes getan zu haben. Warum nicht? Andere senken verschämt die Köpfe, sausen schnell vorbei an einem für sie unfaßbaren Häuflein Unglück. Ihm ein paar Cent geben? Ist das die Lösung? Vor Jahren fragte ich mal einen Obdachlosen: Gibst du mir auch etwas, wenn ich arbeitslos bin? Aber ja, antwortete er und wir lachten beide und ich steckte ihm einen Almosen zu.

Wegschauen! Verächtlich dreinschauend! Flink vorübergehen! Feigheit? Sich als etwas Besseres fühlend, trotz der glitzekleinen „Erfahrungen“ wie der Frau in der ZDF-Serie? Ist das zur Gewohnheit geworden? Hat sich Kälte eingefressen in unser noch wohlbehütetes Dasein? Die Macht der Selbstzufriedenheit! Wie stark muß die Mauer um einen sein, wenn man außerhalb seines Ichs, außerhalb seiner „Geschäfte“ nichts mehr sieht, nichts mehr wahrnehmen will? Ist es nicht an der Zeit, diese sehr schwerwiegenden inneren Widerstände einzureißen? Schauen wir etwas genauer hin: Wer macht es denn den Leuten schwer, mehr Kopfarbeit zu leisten?

Ist es die Gewöhnung an die nahezu täglichen Abstürze, an die andauernden Misere? Nicht nur. Keinem kann man es verübeln, jeder hat seine eigene Sicht. Die Wahrheit ist auch: Aber nicht jeder sieht etwas!! Etwa dies zur Auswahl: Arbeitslosigkeit, geheuchelte Bewerbungsschreiben, , wackelnde und stürzende Minister- und Präsidentensessel, Vertuschungen, Lügen über die Geschichte, Reduzierungen auf Unwesentliches, Lieblosigkeiten, geheuchelte Liebe, Verdummungsprozesse per Medien, Betrug der Massen, Fluglärm der Wirtschaftlichkeit wegen, „Reparaturkolonnen“ statt „Demokratie“, Schönheitsoperationen, um sich besser verkaufen zu können, Bettler, hungrige Augen, Gewalt, Messerstecher, Autoanzünder, Mieter, die wegen steigender Mieten hinausgeekelt werden, Mütter, die bei kriegerischen Auslandseinsätzen ihre Söhne verlieren, Finanzpleiten, die das ganze System der Gesellschaft ins Wanken bringen. Menschen, die von Pleite zu Pleite torkeln und das Vertrauen in die Politik mehr und mehr verlieren!!! Ein Sumpf, der täglich neue Blüten produziert!

Die flunkernden Medien, die Politik - alle machen sie einen großen Bogen um tiefere gesellschaftliche Ursachen. Nicht, daß das Wort Profitmaximierung nicht fiele, das vor Jahren noch stets totgeschwiegene Wort „Kapitalismus“. In allen Tolk-Shows hört man es, hin und wieder. Und dann? Wie weiter? Keine Lösung angedacht? Sind die Deutschen zu feige, an der Macht zu rütteln? In der DDR ging das doch so einfach, aber aus ganz anderen Gründen. Und nun? Keiner glaubt doch mehr an ein Land des Aufblühens. Niemand. Eine Alternative muß her, so unverzüglich wie möglich! Da ist aber die Sperre im Kopf: Die wird nichts angedacht. Komplexes Denken, dies hat Gesine Lötzsch (die Partei Die Linke) mal in einer TV-Gesprächsrunde auf den Punkt gebracht. Man verstand sie erst gar nicht… Wo sind wir gelandet? Wohin fährt der Zeitenzug?

Bleiben wir beim Symbol des Bahnhofs. Der Zug fährt ein. Alle wollen und müssen mitkommen. Die Egoisten, die Ereiferer, die Arroganten, die Narzisten, die Herrschenden, die Volksverdummer. Sie haben nur ein Ziel: Nichts zu verpassen. Weder den noch existierenden Arbeitsplatz noch den Anschluß an die Gesellschaft. Mithalten ist die Devise. Sich verkaufen müssen. Die Furcht vor Verlusten treibt sie voran, der Konkurrenzkampf. Ganz oben sein. Auf Biegen und Brechen. Zurückschauen auf den zurückbleibenden Obdachlosen? Warum? Jeder muß zusehen, dass er über die Runden kommt. „Das Bewußtsein der Vielen fuhr immer im letzten Wagen des Zeitenzuges“, schreibt Maximilian Scheer in seinem Buch „Paris-New York“.

Einst kam ich mit einer „feinen“ Dame aus dem künstlerischen Bereich über die Arbeitslosigkeit ins Gespräch. Sie schwörte unverdrossen auf die Kultur ihres Abendlandes. Und die am Straßenrand hockenden, die Ausgestoßenen, was ist mit denen, fragte ich sie. „Die interessieren mich nicht“, war ihre furchtbare arrogante Antwort. Und ein Geistlicher äußerte im persönlichen Gespräch auf die Frage nach Kriegen und den Leuten, die ganz unten stehen, das sei Gottes Fügung…

Wie weit muß eine Gesellschaft noch sinken, um so viel Ignoranz den Bedürftigen gegenüber für ewig zu akzeptieren? Welch eine Gefühlskälte spielt da mit? Sicher, nicht jedem Außenstehenden kann man Almosen zustecken, aber haben sie nicht mindestens unsere Achtung verdient, wie sie sich durchs Leben durchboxen zu müssen? Und nochmals: Wohin führt unser Zeitenzug?

Was sagt zum Beispiel der französische Philosoph Lucien Sève in seinem Artikel „Der Mensch im Kapitalismus“ (siehe „Das Blättchen“, 14. Jahrgang | Nummer 26 | 26. Dezember 2011) zu diesem sehr menschlichen Problem? „Wir stehen an der tragischen Schwelle zu einer Welt, in der der Mensch nichts mehr wert ist.(2) Das drückt sich im „Schicksal“ derer aus, die arbeitslos, obdachlos, heimatlos oder perspektivlos sind. Aimé Césaire hat in diesem Zusammenhang von der „Fabrikation von Wegwerfmenschen“ gesprochen. Dabei werden diejenigen fett, die alles zu Geld machen – unvorstellbar hohe Gehälter, goldener Handschlag – , aber es läuft auch bei ihnen auf dasselbe hinaus: den Verfall aller Wertmaßstäbe. Der einzige „Wert“, der sich zum Maß aller anderen macht, ist nur noch selbstbezüglich und ohne jeden eigenen Wert. Der Finanzsektor hört nicht auf, sich mit virtuellen Nullen aufzublähen, die milliardenweise verschwinden, sobald die Blase platzt. Zurück bleibt die harte Wirklichkeit für die Produzenten des Realen. Ist diese Auflösung der Werte weniger schlimm als das Abschmelzen der Pole? Unsere Menschlichkeit selbst steht auf dem Spiel – ist uns das in vollen Ausmaß bewusst?“

Der Mensch im Kapitalismus. Na schön, sagen viele Zeitgenossen. Wir leben, und ändern können wir ohnehin nichts. Daniil Granin stellte in seiner interessanten Reisereportage „Garten der Steine“ u.a. fest, daß der Kapitalismus auf der Straße recht unsichtbar ist und nicht so leicht zu entlarven, womit er recht hat. Aber die Bettelnden – sind sie nicht ein augenfälliges Beispiel für die seelische und physische Armut dieser Gesellschaft, die überdies immerfort von der Einhaltung der Menschenrecht faselt?

Ich sehe ihn noch vor mir: Den Bettler vor der schwedischen Kirche in Karlskrona, als wir einst für viele Jahre in Schweden wohnten. Da steht eine Holzfigur, genannt der „Gubben Rosenbom“. Durch den Roman „Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson“ von Selma Lagerlöf weltberühmt geworden, jetzt der meistfotografierte Alte in Schweden und das Erkennungsmerkmal von Karlskrona. Was mich aber sehr bewegte, das ist der Spruch auf einer kleinen Tafel: „Demütig ich bitte sehr, die Stimme ist nicht gut, gib mir ein Taler her, doch lüpf dafür den Hut.“ Wie würdevoll!

Ich hoffe, später einmal, da werden die – aus welchen Gründen auch immer - ,rücksichtslos aus der Lebensbahn Geworfenen ihren Bettelplatz mit einem Arbeitsplatz vertauschen können. Dann erst zieht auch unser einstiger Mann vor dem Supermarkt seinen Hut vor denen, die die Welt verändert haben. (Ich sehe sie vor mir, die Kapitalanbeter, die Nutznießer, wie sie sich kaputtlachen…)

Zunächst aber bitte Hut ab vor den Armen. Ja, sind wir denn ganz von Sinnen, nur das Geld und dessen Allmacht zu akzeptieren? Man sagt zurecht: die auffälligste Fehlentwicklung unserer Zivilisation ist die Vermarktung alles Menschlichen. Wohin führt uns also der Zeitenzug, da heute uralte kulturelle Werte der Kälte des Kokurrenzkampfes geopfert werden – und zwar weltweit? Und die meisten Medien spielen da ohne Zögern mit.

Da schreibt die Moskauerin Ljubow Pribytkowa im Internet über die Medien, die ja nach bürgerlichem Verständnis wachen müssten über den Zustand der Gesellschaft: „Sie produzieren gefälschte `Erinnerungen`, schreiben unbequemen Politikern fiktive Reden zu, starten provokatorische Verhöre, verbreiten schmutzige Anekdoten usw.… Politische Ereignisse und gesellschaftliche Tatsachen werden gerade so interpretiert, wie es der Bourgeoisie von Vorteil ist. Vom kritischen oder sozialistischen Realismus in der Kunst, von der Wahrhaftigkeit der politischen Propaganda können wir jetzt nur träumen. Rundfunk und Fernsehen überfluten in breiten Strömen die Welt mit Lüge, Irreführung und Verleumdung. Da werden Tatsachen unterstellt, Begriffe verzerrt, falsche Videos produziert. Die Demagogie wurde zu einem Hauptinstrument der Bearbeitung des Bewußtseins der Massen. Nur mit Mühe kann man im Internet ein Programm mit objektiven Interpretationen über die Ereignisse in der Welt finden.“

Der Zeitenzug! Er rast wohin? Eines steht fest: Die Oberflächlichkeit, die menschliche Kälte, die Diktatoren des Geldes – sie fahren in den vordersten Waggons. Die Nachdenklichkeit, das Bewußtsein vom schlimmen Zustand unserer Welt, sie werden auf den letzten Waggon verbannt. Da sollte man doch schnellstens die Lokomotivführer wechseln und ihnen die Weichen stellen zur Fahrt in eine humanistischere Welt. Nicht die Ausgestoßenen, die auf dem Bahnsteig zurückbleibenden, sind die Ärmsten, nicht sie…

Vielmehr hochgradig jene, die mit politischer Blindheit Geschlagenen, die Finanzkraken dieser Welt, die personifizierte Gier – noch sitzen sie bequem in der ersten Klasse, verteufeln jegliche Alternativen und träumen vom „Kohlemachen“, vom nächsten Extraprofit, die Welt in den Abgrund schleudernd… Und ahnen nicht einmal, wie gefährlich, wie verbrecherisch und überflüssig sie in einer nur finanzbeherrschten globalisierten Welt geworden sind…

"Die Unwissenheit läßt die Völker nicht nur in Schlaffheit versinken, sondern erstickt in ihnen selbst das Gefühl der Menschlichkeit."
(Helvétius)

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Thema: Dieser Geist unter´m Helm / Buchtipp
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Dieser Geist unter´m Helm / Buchtipp 19.11.2011 14:11 Forum: Geschichte

Von Harry Popow

„Ich habe in der Bundeswehr gedient. Die hat mit ihrem Auftrag und ihrer Präsenz den Krieg damals verhindert und sichert Deutschland weiterhin! Auch im Einsatz!! Mir jedenfalls genügt das und es macht mich stolz!“

Schön für ihn. Es ist ein User, der diese Zeilen in einem Forum schreibt.

Sicher, jeder hat so seine eigene Sicht, das muß man wohl jedem zugestehen. So auch dem einstigen Bundesgrenzschutz, seit dem 01.März 2008 umbenannt in Bundespolizei. Das betrifft vor allem die Aufgaben und Ziele. Nach der Lesart und Überzeugung der Unterführer und Dienstanfänger dienten sie der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ der BRD gegen „innere und äußere Feinde“. Wenn alleine das genügend Fragen aufwirft, dann macht doch folgendes bereits stutzig: Der BGS besitzt zwei Helme. Den blankgeputzten Helm aus der Nazizeit und den Polizeihelm mit klappbarem Visier für den inneren Notstand.

In einem Aphorismus heißt es: „Jeder hat seine eigene Sicht, aber nicht jeder sieht etwas.“

Es ist einem ehemaligen DDR-Grenzer seiner Sehstärke zu verdanken, dass er als Autor des Sachbuches „Zwei Helme im Spind“ (Verlag Wiljo Heinen, 282 Seiten, 2011, ISBN 978-3939828-84-6) diesen Nebelvorhang über dieses Machtinstrument der Regierung der BRD durchleuchtet und Fakt für Fakt nachweist: Der BGS war und ist nicht das, wofür er sich ausgibt, nämlich friedfertig.

Horst Liebig ist in der Literatur kein unbekannter. Vor Jahren schrieb er seine Autobiografie „Ein Leben in Reih und Glied“. Der 1929 in Leipzig geborene überlebte den Zweiten Weltkrieg als Flak-Helfer. In der SBZ und später in der DDR sieht er als Grenzer und u.a. als Militärjournalist seine Hauptaufgabe darin, dem Kriegsgebaren der Westzonen und der BRD einen Riegel vorzuschieben. Hautnah also dran an einem aggressiven Gegenüber erlebte er den wahren Charakter des BGS.

Und nun, mit über achtzig Jahren, holt er noch einmal aus und reißt den scheinheiligen Friedensengeln mit seinem Enthüllungsbuch die Maske vom Gesicht.

Mit einer erstaunlichen Akribie sucht und findet er in Büchern, Zeitungen und im Internet die vor allem selbstentlarvenden Fakten. Dabei holt er weit aus: Von der Gründung der BRD im Jahre 1949 bis zur Umformierung als Bundespolizei. Dies ist nachzuvollziehbar: „… der Bundesgrenzschutz (war) ein äußerst wichtiges Machtorgan … und diente vor allem der Sicherung und Aufrechterhaltung der monopolistischen Eigentumsverhältnisse und der Herrschaft des Großkapitals.“ (Seite 281)

Adenauer in einem Tagesbefehl: Er bezeichnet die Angehörigen des BGS „als Träger bester deutscher Tradition (…) bei der Wiedergeburt deutschen Soldatentums. (…) Der im BGS lebende Geist möge auch ihre fernere Arbeit (…) beseelen bis zu dem Tag, an dem ein wiedervereinigtes Deutschland ihnen danken wird.“ (Seite 49)

Welch eine gefährliche Ignoranz, den tatsächlichen Charakter der Grenze zwischen der BRD und der DDR lediglich in „innerdeutsch“ bzw. in „Zonengrenze“ umzudichten. Dazu ein Zitat aus dem Buch mit dem Titel „Wir tragen den Adler des Bundes am Rock…“ von einem Hans-Jürgen Schmidt. Zur Planung, den BGS per Gesetz in die Streitkräfte zu überführen, sagt er: „Damit wäre gleichzeitig auch seine sogenannte ,Pufferfunktion‘ an der Nahtstelle zwischen den beiden Machtblöcken entfallen und Soldaten beider Paktsysteme, der NATO und des Warschauer Paktes, hätten sich im Krisenfall unmittelbar gegenüber gestanden.“ Ein nicht gewolltes Eingeständnis?

Der gleiche Schmidt läßt die Katze aus dem Sack, indem er die Leistungen der Väter und Großväter in den beiden Weltkriegen gewürdigt wissen will. Man solle wachsam sein gegen alle Versuche, „unsere Freiheit zu untergraben“. (Seite 145)

Noch schlimmer. Er markiert den künftigen Weg des BGS, indem er aus dem letzten Wehrmachtsbericht des Oberkommandos zitiert. Da hieß es: „Die einmaligen Leistungen von Front und Heimat wird in einem späteren Urteil der Geschichte ihre endgültige Würdigung finden… (…) Horst Liebig kommentiert: Kein Wort vom Autor zu den Verbrechen der Faschisten zum millionenfachen Mord (…) Schmidt beklage nur die deutschen Verluste an Menschen und Territorium. Und: Keine Frage nach den Ursachen! (Seite 11cool

Wofür die Angehörigen des BGS der aggressiven Zielstellung zufolge nicht alles gut waren: Als NATO-Späher, als Zünder zum Konflikt, als Grenzprovokateure, als Fluchthelfer, als Truppe des ersten Schusses, als Sprachrohr des Kalten Krieges und nicht zuletzt als Unterdrücker jeglicher friedlicher Demonstrationen gegen die Macht der Monopole im Innern des deutschen Landes.

Hasserziehung auch gegen Andersdenkende. So forderte der ehemalige Bundesinnenminister Genscher von den BGS-Leuten, „mit aller Konsequenz gegen jene“ vorzugehen, „die nicht Reformen wollen, sondern Revolution“. (Seite 95)

Für Kenner der Materie kein Wunder, u.a. auch auf folgende bezeichnende Schlagworte zu stoßen: Gefahr des Kommunismus, nuklearer Erstschlag, Feindbilder, Anwendung des ersten Schusses, präventive Aufstandsbekämpfung, Rammkurs auf der Elbe, Seelsorge. Genug davon.

Zu danken sind dem Autor vor allem die Aussagen über die Geisteshaltung der Männer und Frauen des BGS. Charakterisiert dies doch ohne jeden Zweifel am stärksten deren Absichten und Motive, die ihnen aufdoktroiert und in manipulierender Weise eingetrichtert wurden. Auf den Seiten 32 bis 38 zählt der Autor allein dreizehn Offiziere und Generäle namentlich auf, die als Stammväter des BGS bezeichnet werden. Man hat nichts dagegen, wenn sie allesamt der faschistischen Wehrmacht entstammten und deren Geist nun in die Köpfe der Jüngeren einfließen ließen.

Wenn Ende der siebziger Jahre laut Aussagen des Autors allein an den Grenzen zur DDR und zur CSSR 93 Prozent des BGS standen und sie einer Geisteshaltung entsprachen, die nicht weniger als stockreaktionär,weitgehend demokratiefeindlich und als aggressiv bezeichnet werden kann, dann Hut ab vor den jungen DDR-Grenzsoldaten, die – auch trotz mitunter fehlerhafter Handlungen – im Grunde zuerst ihren Kopf hingehalten haben für alle Bürger im Hinterland der DDR. Die bei Gefahr ihres eigenen Lebens standhaft ihren Mann an dieser Systemgrenze gestanden haben, die klug und sehr besonnen zig Provokationen abgewehrt haben, denn jede einzelne hätte zu einem Weltbrand führen können. Darauf waren diese ja kaltblütig angelegt. Den Mutigen und Standhaften also sei dies Buch empfohlen und auch sonst allen politisch aufgeweckten und geschichtsinteressierten Leuten.

Das Buch des Autors, in einem sachlichen Stil geschrieben, nur mit kurzen Kommentaren bestückt und die Schlußfolgerungen weitgehend den Lesern überlassend, reiht sich ein in die Literatur der wiederzugewinnenden Deutungshoheit der DDR-Geschichte und ihrer Widersacher. Man denke dabei nur an das heiße Diskussionen herausfordernde Buch „Ohne Mauer hätte es Krieg gegeben“ von den beiden NVA Generälen Heinz Keßler und Fritz Streletz.

Auch diesmal, so ist zu vermuten, werden die Fetzen um diese Veröffentlichung fliegen. Gemach: Es ist wie es ist: Der Invasion der Vernebelungen und Lügen über die Ursachen des Kalten Krieges kann nicht genug Paroli geboten werden. Um der Zukunft willen!

Nicht jeder sieht etwas? Die Frage erübrigt sich in diesem Fall. Der Autor – ein ehemaliger Grenzer der DDR – er hatte in seinem Spind nur einen Helm. Ohne Visier, versteht sich. Und unter diesem – wie unter allen Helmen der Soldaten des Friedens - herrschte wahrlich ein anderer Geist. Ein ganz anderer…

Thema: Menschenkette rund um den Müggelsee
pomme

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Menschenkette 31.08.2011 17:38 Forum: Nachrichten und Zeitgeschehen

Hallo Grubendol, das ist eine sehr gute Frage. Bis gestern beim rbb sagten auch die Grünen jein, aber Frau Künast jetzt klipp und klar gegen Nachtflugverbot von 22 Uhr bis o6 Uhr. Die Linke für Verbot von 23 bis 06 Uhr. Wowereit gegen Nachtflugverbot, CDU eierte "gekonnt" und sagte nicht einmal jein. Dabei sind Nachtflüge in der Nähe der Großstadt und überall äußerst gesundheitsschädigend. Mit anderen Worten: Die Dienerschaft vor der sogenannten "Wirtschaftlichkeit" ist für die Politiker "lebenswichtig", nicht aber die Gesundheit der Menschen. Interessant: Die Bürgerinitiativen kriechen aus keinem Parteienbauch, brauchen also auf Wahlkämpfe keine Rücksicht nehmen.
Herzlichst pomme

Thema: Menschenkette rund um den Müggelsee
pomme

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Menschenkette rund um den Müggelsee 31.08.2011 15:47 Forum: Nachrichten und Zeitgeschehen

Da strömten am 28. August 24.000 Menschen zu den Ufern des Müggelsees. Diesmal nicht um zu baden. Jung und Alt, Familien mit ihren Kindern, mit fröhlichen Gesichtern, im Gefühl starker Gemeinsamkeit, in fester Solidarität – wie lange nicht mehr. Ein Volksfest, eine Volksdemonstration, wie sie der Müggelsee so noch nie gesehen hat. Mit großer Hoffnung, letztendlich doch etwas bewirken zu können, was die Politik als Marionette des Kapitals ihnen verwehrt: Die glasklare demokratische Mitbestimmung! Über das Verbot, das großartige Naturschutzgebiet und Wasserreservoir für ganz Berlin, mit Fluglärm und ablassendem Kerosin zu überfliegen. Über das Verbot von Nachtflügen von 22 Uhr bis 06 Uhr früh. Über den Wahnsinn, ein internationales Drehkreuz in Schönefeld errichten zu wollen. Mehr noch: Über das Nein zur Arroganz, die Wirtschaftlichkeit über die Gesundheit der Menschen und den Umweltschutz triumphieren zu lassen. Es war keine lokalbegrenzte Aktion – es war ein Warnruf des Volkes, sich nicht wie Schafe veräppeln zu lassen.
Gruß von pomme

(Mehr zum Thema bei www.gegen-fluglärm.de, www.fluglaerm15566.de und www.fbi-berlin.org )

Thema: "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben" /Buchtipp von Harry Popow
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21.07.2011 16:01 Forum: Nachrichten und Zeitgeschehen

Hallo, welche Quelle meinst Du? Das Buch erschien - wenn Du danach fragst, bei edition ost, wie oben auch erwähnt.
Herzlichst
Harry (pomme)

Thema: "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben" /Buchtipp von Harry Popow
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"Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben" /Buchtipp von Harry Popow 21.07.2011 13:00 Forum: Nachrichten und Zeitgeschehen

Nachhilfe für Ewiggestrige

Wie nicht anders zu erwarten: Das Buch mit dem Titel "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben" von Armeegeneral Heinz Keßler a.D. und Generaloberst Fritz Streletz a.D. (edition ost, 220 Seiten), wirft gehörig Staub auf. Zerrt es doch ans Licht, was allzu gerne totgeschwiegen wird: Die Schuld des Westens am Kalten Krieg, der ein heißer zu damaliger Zeit zu werden drohte. Und nach der sogenannten Wende fürchten die Kapitaloberen und ihre Marionetten in der Politik nichts so sehr wie ein Dacapo einer echten Alternative zum jetzigen Herrschaftssystem. Das sind sie - die echten Ewiggestrigen, die von einer dringend notwendigen Veränderung des Gesellschaftssystems nicht nur nichts halten, sondern jede Idee zum Besseren für das Wohl der Menschheit mit Füßen treten und jede Idee dahin im Keime ersticken wollen.

Das ist in der krisengeschüttelten Gegenwart nicht verwunderlich, ruft doch selbst so ein gestandener Mann wie der Franzose Stéphane Hessel dazu auf, sich gegen das weltweit agierende Finanzkapital zu erheben, sich zu empören. Ist es doch eine Frage des Überlebens geworden, den nationalen und internationalen Profitjägern, Verdummern, Lügnern, Geschichtsfälschern mit knallharten Tatsachen ins Handwerk zu pfuschen. Deshalb auch dieser Stich ins Wespennest: Die beiden NVA-Militärs schreiben Klartext. Faktenreicher gehts wirklich nicht - endlich ist es da, das sehr gründlich recherchierte, für die Geschichte so wichtige Buch.

Wie viele andere hatte auch ich kürzlich die Freude, es anläßlich der ersten Mitgliederversanmmlung des Traditionsverbandes der NVA e.V. nicht nur schlechthin zu kaufen, sondern es von den Autoren signieren zu lassen: Die 220 Seiten habe ich in nur wenigen Stunden regelrecht "verschlungen". Natürlich liest man Bekanntes, Ablauf und Gründe für den Bau der "Mauer". Richtig interessant und bisher weitgehend unbekannt sind die in die Tiefe gehenden Passagen, die - weiter ausholend - die Fakten im Zusammenhang betrachten, so zum Beispiel, als bereits im Frühjahr 1945 in der Schweiz mit der Geheimoperation "Sunrise" der eigentliche Anstoß für den Kalten Krieg gegeben wurde. Ganz zu schweigen vom Verlauf der internen und offenen Kriegsvorbereitungen nach 1945 gegen die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder. Ich erspare mir hier die zahlreichen und unwiderlegbaren Details der Kausalkette des knallharten Kampfes gegen den Osten anzuführen. Nicht unerwähnt soll sein: Auch dadurch wird der "Nur-Rührseligkeits-Welle" mit Tränen der Opfer die Einseitigkeit genommen. Die Reduzierung großer politischer Zusammenhänge aufs Detail, aufs Pars pro toto (Teil fürs Ganze), wie es im Stilistischen heißt - das ist Methode!! (Geht es den Hassern des Fortschritts etwa um die Menschen, um deren Schicksale? Sie werden nur benutzt, denn da spielen ganz andere Dinge eine Rolle und die Heuchelei feiert ihre Triumphe!!)

Es ist nicht nur unverschämt und zeugt von einer Nicht-Gewollten-Wahrheitsfindung, wenn die jetzigen Machthaber samt ihrer Medien zum Beispiel vom Verhöhnen der "Opfer" des Mauerbaus faseln. (Jedes Opfer ist immer eins zuviel, aber ohne zusammenhängendes Denken und Analysieren gelangt man nicht zur Wahrheit.) Vergessen sind also die insgesamt etwa 80 Millionen Toten des II. Weltkrieges? Und die 17 Millionen des I.Weltkrieges? Und wenn man die 70 Millionen Opfer dazurechnet, die es bei einer bewaffneten Auseinandersetzung allein in den USA gegeben hätte? (Siehe im Klappentext Kennedys Aussage!!) Ich wage gar nicht die tödliche Leere und Stille im europäischen Raum nach einem großen Knall zu beziffern! Und wer verhöhnt vor allem diese Opfer? Nicht diejenigen, die dem Kriege und deren kapitalherrschaftliche Ursachen endgültig den Garaus machen wollten, sondern jene, die um die Ursachen von weltweiten Konflikten große Bogen machen und alle Schuld auf "Terroristen", auf "Linksradikale", auf jene lenken wollen, die nicht müde werden - dankenswerterweise - der Welt eine andere, friedvollere Perspektive zu geben. Nicht, weil sie es möchten, sondern weil es längst nach zwölf Uhr ist, den Ewiggestrigen mit Worten und Argumenten, mit Demonstrationen und mit der gesamten breiten Palette der Kunst und Kultur in den Arm zu fallen. Dafür stand auch die DDR ein. Dafür und darum stand die "Mauer", von der Kennedy einst sagte, sie sei nicht schön, aber tausendmal besser als Krieg. Möge die neuerliche Mauer zwischen Ost und West, zwischen oben und unten, zwischen Arm und Reich, zwischen Dummköpfen und Sehenden Stück für Stück durchlöchert werden - so wie das die hochbetagten und verdienstvollen beiden NVA-Generäle ihr Leben lang und mit diesem wunderbaren Buch getan haben. Wer heutige gesellschaftliche Widersprüche mißachtet, sie nicht sehen will, macht sich wieder einmal mitschuldig - wie 1933 und danach... Deshalb die nachdrückliche Nachhilfe für Ewiggestrige.
Oberstleutnant a.D. Harry Popow

Link am 21.07.2011 16.09 Uhr nachgetragen / Andreas

http://www.politopia.de/politik/7759-ohn...arry-popow.html

Thema: "Kriegsende" 1945 / von pomme
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"Kriegsende" 1945 / von pomme 06.05.2011 16:06 Forum: Geschichte

In diesen Tagen - da gehen die Gedanken wieder einmal zurück...
Hier meine persönlichen Eindrücke, damals war ich gerade acht Jahre alt.

Wir wohnen in Berlin-Schöneberg... Ende April/Anfang Mai:

Noch heulen herzzerreißend und furchterregend die Sirenen. Nacht für Nacht, manchmal auch tagsüber. Wir müssen im Keller bleiben. Provisorisch sind Bettgestelle aufgebaut, manchmal liegen nur Matratzen da. Brot auf Zuteilung, gleich für mehrere Tage. Wenn irgendwo Bomben heulend und krachend in Häuser schlagen und die Erde bebt, dröhnt und stöhnt, dann bleibt das Herz stehen vor Angst. Jede Sekunde kann es auch das eigene Miethaus erwischen, jede Minute ... Papa muß nun doch noch an die Front, zum Volkssturm, wie er sagt. Nach drei Tagen ist er wieder da. Dort, wo er sich melden sollte, seien schon die Russen. Wie froh die Kinder sind ... Henry hört, wie er Mama von Menschen berichtet, die an Laternen aufgehängt wurden, an ihnen ein Schild mit der Aufschrift: Ich bin ein Verräter. Es ist alles so schrecklich und gruselig. Eines nachts nimmt Papa seinen Größten mit aufs Dach des Hauses. Der Ängstliche sieht die langen bläulich-weißen Strahlen der Scheinwerfer, die den Himmel nach Flugzeugen abtasten. Dann schrillen wieder die Sirenen. Henry schaut tapfer und zitternd. Papa läßt ihn wieder frei und Mama schimpft unten im Keller.

Nach vielen, vielen Tagen stehen an der Kellertür Soldaten, später erfährt Henry, es waren Mongolen. Sie wollen irgendetwas. Man holt Mama, sie sei doch Russin. Die Soldaten wollen nur etwas Tee, doch zuvor muß sie einen Schluck nehmen. Das ist selbstverständlich, sagt Mama, sie müssen vorsichtig sein, sind natürlich mißtrauisch. Es muß der neunte Mai gewesen sein, Henry streift sich nach dem Aufstehen soeben lange Strümpfe über, da sagt seine Mutter ganz leise, als würde sie es noch nicht glauben, den folgenschweren Satz: „Ab heute ist Frieden.“ Sie drückt ihren Ältesten und hat Tränen in den Augen ...

Für mich, pomme, bleibt es immer ein Tag der Befreiung!!

Thema: Herzlichen Gruß aus Schöneiche b. Berlin
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Herzlichen Gruß aus Schöneiche b. Berlin 05.05.2011 17:56 Forum: Mitglieder: Vorstellen, begrüßen, verabschieden...

Ich bin pomme:

Geboren 1936 in Berlin Tegel, erlebte ich, Henry Orlow (siehe Buchtipp „In die Stille gerettet“), alias Harry Popow, noch die letzten Kriegsjahre und Tage.

Ab 1953 war ich Berglehrling im Zwickauer Steinkohlenrevier. Eigentlich wollte ich Geologe werden, und so begann ich ab September 1954 eine Arbeit als Kollektor in der Außenstelle der Staatlichen Geologischen Kommission der DDR in Schwerin. Unter dem Versprechen, Militärgeologie studieren zu können, warb man mich für eine Offizierslaufbahn in der KVP/NVA. Doch mit Geologie hatte das alles nur bedingt zu tun…

In den bewaffneten Kräften diente ich zunächst als Ausbilder und später als Militärjournalist. Das Zeugnis Diplomjournalist erwarb ich im fünfjährigen Fernstudium. Nach Beendigung der fast 32jährigen Dienstzeit arbeitete ich bis zur Wende als Journalist und Berater im Fernsehen der DDR.

Von 1996 bis 2005 lebte ich mit meiner Frau in Schweden und kehrte 2005 nach Deutschland zurück. Ich bin glücklich verheiratet und habe drei Kinder und zwei Enkel.

Thema: "Fast ein ganzes Menschenleben" Buchtipp von pomme
pomme

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"Fast ein ganzes Menschenleben" Buchtipp von pomme 05.05.2011 17:48 Forum: Nachrichten und Zeitgeschehen

Nordlichter! Wer wünschte sich nicht, dieses faszinierende Naturschauspiel selbst erleben zu dürfen. Faszinierend, wie der Autor des Buches mit dem Titel „Fast ein ganzes Menschenleben“ dies beschreibt. Ein seltsamer Tanz der Farben und des Lichts. Kalt zwar, aber das Herz erwärmend. Der Autor war dort im Norden. Nicht nur einmal. Als Globetrotter hatte er mit seiner Frau u.a. Finnland, Schweden und Norwegen bereist. Und das gezeigt, was Menschen auszeichnet: Entdeckerfreude und Neugier. Und nun hat der 1932 in Breslau geborene Mann eine Autobiographie geschrieben.

(Harry Luckner „Fast ein ganzes Menschenleben. Auf holprigen Wegen vergangener acht Jahrzehnte“; ISBN 978-3-86268-205-8, 1.Auflage 2011, Engelsdorfer Verlag Leipzig, Preis: 16,00 EURO)

Der Titel klingt etwas müde, aber ich habe dieses Buch mit großem Interesse gelesen. Warum? Weil meine Frau und ich selber neun Jahre in Schweden wohnten und nicht eine Minute bereut haben. Wir kehrten nach der sogenannten Wende Deutschland aus unterschiedlichen Motiven den Rücken. Vor allem ich wollte abschalten.

Kurz: Der Autor des obigen Buches, er wohnt in Westfalen, wollte einen Ostler finden etwa gleichen Alters, um zu verstehen, wie der denn alles so erlebt hatte. Er fand im gleichen Verlag das Buch mit dem Titel „In die Stille gerettet“. Er suchte meine Adresse heraus und sendete mir eine E-Mail: „..stöberte ich in den Verlagsseiten und stieß auf Ihren Autorensteckbrief. Ihr Buch habe ich bestellt um es zu lesen. Persönlich möchte ich sie um ein paar Ratschläge bitten,…“

Den Ostautor freute das. Nicht aus kommerziellen Gründen – das kann ein namenloser Schreiber bei diesem Buchgetümmel auf dem hart umkämpften Markt vergessen, sondern aus menschlichen Gründen. Möchte er doch mithelfen, Brücken zwischen Ost und West zu bauen, mehr von den Lebensläufen voneinder zu erfahren. Die sind besonders dann interessant und spannend, wenn es – von beiden Seiten - um ehrliche Rückblicke geht, wenn aus ganz persönlicher Sicht sowohl Privates als auch Gesellschaftliches miteinander eng verwoben beleuchtet werden, wenn auch Uneingeweihte einen Einblick in die inneren Motive, in das alltägliche Denken und Handeln bekommen.

Nun aber wollte ein „Normalbürger“, wie er sich selber bezeichnet, mein Buch lesen. Auch ich kaufte sein Buch. Und bin nicht enttäuscht worden. Da blättert er sein Leben vor dir als Leser auf. Seine Kindheit in Breslau, seine Erlebnisse nach 1945, als die Familie – wie tausende andere auch – nach Westdeutschland evakuiert wurden. Die Schwierigkeit, als Kriegs- und Flüchtlingskind einen Schulabschluß hinzukriegen. Sehr früh gründet er eine Familie. Er versucht sich immer wieder in neuen Berufen, bis er mit seiner Familie gut von seiner Tätigkeit leben kann.

Seine Beobachtungsgabe, seine Kontaktfreudigkeit zu anderen Menschen, seine Naturliebe, seine Lust am Abenteuer, nicht zuletzt – sein urwüchsiger Witz und seine große Liebe zu seiner Frau und den Kindern – das alles wird erst so richtig sichtbar in seinen Berichten u.a. aus den Reisen nach Skandinavien. Da leuchtet etwas auf an Natürlichkeit, an Menschlichkeit, die in einer egoistischer werdenden Welt aufhebenswert ist für die Nachkommen.

Harry Luckner betont, dass Heimat für ihn dort ist, wo er gut leben kann. So einfach ist das. Man denke an die Geschichte von Leo Tolstoi „Wieviel Erde braucht der Mensch?“ Darin ging es um die Gier eines Bauern, mehr Land haben zu wollen, als er eigentlich bearbeiten kann. Daran ging er zu Grunde. Heute sind die Läden zwar voll mit allem was das Herz begehrt, aber das, was ihn erst innerlich reifen läßt und seine Würde unterstreicht, das ist die Arbeit, eine bezahlbare Wohnung und eine bezahlbare Gesundheitsversorgung. Und die Liebe. Und das in einem Gesellschaftssystem, das dies durch eine andere Verteilung des Reichtums als Rahmenbedingung garantieren könnte.

Erstaunlich, zu welcher Erkenntnis der westdeutsche Autor kommt, wenn er schreibt, trotz anfänglicher Staatsgläubigkeit heute den Glauben an den Staat wegen der Globalisierung, der zunehmenden Proftgier und der starken Kluft zwischen Arm und Reich verloren zu haben.

Die Offenbarungen des Autors sprechen von einer rückhaltlosen Ehrlichkeit – ohne Wenn und Aber. Er pflegt von Anbeginn einen faktenreichen Berichtsstil, gewürzt mit zahlreichen interessanten Vergleichen, einem selbstkritischen Ton und herzhaftem Humor.

Nordlichter? Sie wärmen nicht, aber sie muß man entdecken wollen – und so wirkt auch jeder ehrlich geschriebene Lebenslauf wie ein faszinierendes Feuer der Lebenslust, ansteckend und nachdenklich stimmend.

Und was meint Harry Luckner zum Buch seines Ostlers, der auch Harry heißt: „Zu deinem Buch muß ich Dir sagen, das auch wir Deine aufrichtige Ehrlichkeit entdeckt haben, und um Deine Gefühle nach der Öffnung der Mauer zu begreifen, haben wir beide, Waltraud und ich, Dein Buch ein zweites mal mit ´Verstand´ gelesen. Heut möchte ich fast sagen, diese beiden Bücher gehören zusammen. Wir widersprechen uns darin in keinster Weise, obwohl sich unser Leben in zwei total gegensätzlichen Systemen abspielte, und wir beide uns bis heute noch nie gesehen haben.“

Thema: Leseprobe zu "In die Stille gerettet"
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Leseprobe zu "In die Stille gerettet" 04.04.2011 13:41 Forum: Nachrichten und Zeitgeschehen

Textauszüge: Harry Popow - „In die Stille gerettet“. Persönliche Lebensbilder. Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3

Leseprobe
Die „alternative“ List (Seite 233)

September 1994. Henrys „Nebenverdienst“: Kleine Werbeartikel schreiben für wenig Geld; Leute für Renten- und Lebensversicherungen gewinnen; bei Verlagen redigieren; für „Eismann“ Kataloge an Haustüren anbieten und Eis bestellen lassen; Kunden für ein Kleinunternehmen werben. Und wie geht es weiter? Wie kann man den Miethaien entfliehen? Blättert in Zeitungen, liest Immobilien-Anzeigen. Eine fällt immer wieder ins Auge, stimmt ihn nachdenklich: Haus in Schweden zu verkaufen. Mit Grundstück. Für erschwingliches Geld. Was? Kann man in so einem Haus leben? Auch im Winter? Zunächst schiebt Henry diesen Gedanken wieder weit weg. In Schweden! So weit im Norden. Sagt nichts zu Cleo. Doch eines Tages wirbt eine Agentur mit einer kleinen Ausstellung Schwedenhäuser. Neugier packt ihn. Was hat es damit auf sich? Informieren ist alles. Doch wie bekommt er Cleo dorthin, wie sie überreden? Sie wollte doch von „Häuserkauf“ usw. nichts mehr hören, da das nicht mehr zu schaffen sei. Henry trickst: „Wollen wir spazieren gehen, mal nach Friedrichsfelde?“ Dagegen ist nichts zu sagen. Also setzen sich Cleo und Henry in die S-Bahn. Im Schaufenster der Agentur sieht Henry die Prospekte mit Häusern. „Sieh mal“, sagt er scheinheilig. Sie darauf: „Was soll schon sein.“ Als sie jedoch die Situation erfaßt hat, wehrt sie entschieden ab: „So’n Quatsch nicht wieder, haben kein Geld dafür.“ Sie hat ja so recht, seine Finanzministerin. Aber sie gibt sich einen Ruck, läßt ihren Henry doch nicht alleine in die Ausstellung. Viele Besucher. Deutsche und schwedische Laute. An den Wänden Fotos von sehr schönen Häusern. Darunter auf kleinen Schildern die Preise: 200.000 Kronen, mal mehr, mal weniger. Cleo übersieht die Abkürzung „Kr.“. „Nein, komm, wir gehen, viel zu teuer ...“ Hinter ihr eine zarte Stimme, gebrochenes Deutsch: „Nein, es sind Schwedenkronen, sie müssen rechnen durch fünf.“ Cleo dreht sich um, sieht in ein freundliches Frauengesicht. Da fällt ihr der Denkfehler ein, und da sie superschnell rechnen kann, ruft sie aus: „Das wären ja dann nur etwa vierzigtausend D-Mark!“ Die Schwedin nickt. Henry holt tief Luft. Ein Hauptgewinn kündigt sich an. Diese Hürde wäre genommen. Und tatsächlich, das ist nun „das Thema“ auf dem Nachhauseweg. „Das ginge doch zu machen“, sagt sie nahezu atemlos vor innerer Erregung. Und schon werden Pläne geschmiedet, wird das Für und Wider abgewogen, wird das vielleicht Machbare durchgehechelt. Henrys List für einen guten Zweck.
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Blind gekauft (Seite 237)

Henry hat Zeit und ist gedanklich beim zukünftigen Schwedenhaus, jagt Faxe los an einen schwedischen Makler und an deutsche Immobilienhändler. Wartet auf Angebote. Die kommen prompt. Die Preise der Häuser liegen ab 50.000 DM und weit darüber. Eine bekannte Westberliner Immobilienfirma läßt seine Mitarbeiterin ins Telefon flöten: „50.000 DM! Meine Dame, ich bitte sie, unser Klientel ist Teureres gewöhnt, und auch sie wollen doch keine Hundehütte kaufen.“ Man würde ja auch bei der Finanzierung helfen, man sei es ja den Brüdern und Schwestern im Osten schuldig.

Zwei Tage später Anruf von Cleo an die Geschäftstüchtige: „Wir haben unsere Hundehütte gefunden mit 4 Zimmern, Küche mit Eßplatz, Alkoven, Garage, knappe 900 Quadratmeter Garten am Wald: Preis 48.000 DM!“ Denn wir hatten unser kleines „Traumhäusel“ gefunden. Super gepflegt, wichtig für Cleo, da ich absolut kein As im Handwerklichen bin. Cleo und Henry entscheiden sich aus dem Bauch heraus – das hat bisher immer gut geklappt. Das Exposeé mit aussagekräftigen Farbfotos überzeugt beide. Doch es gibt weitere Interessenten, so kommt es, daß sie 15.000 DM anzahlen, ohne je schwedischen Boden betreten, geschweige das Haus vorher gesehen zu haben. Der Grund: Der längst geplante und bezahlte Österreich-Urlaub mußte angetreten werden. Wichtige Dinge wurden fernmündlich mit dem sympathischen schwedischen Makler geklärt. Letzte Gewißheit, daß der „total in Ordnung sei, und wenn da stehe „gepflegtes Haus“, dann stimme das, bestätigten unsere Freunde Gerda und Dieter, die zufälligerweise gerade auch bei diesem Makler gekauft hatten. Trotzdem schmunzeln nicht nur unsere Kinder, alle Freunde und Bekannten, auch der Makler selbst und die Gadderoser über diesen „Blindkauf“. Haha! Wir lachen mit, denn wir wurden nicht enttäuscht. Hatte die Wahrsagerin von Teupitz in der Silvesternacht 92/93 doch ihre Finger im Spiel?

Pfingsten 96. Auf der Fähre über´s „große Wasser“ von Rostock nach Trelleborg. Wie oft hatten sie am Strand von Ahrenshoop davon geträumt, mit so einem großen weißen Schiff über die Ostsee zu fahren. Nun sitzen sie mit Tochter Patricia und Enkel Flu an Deck. Was die Kinder zunächst nur für eine Vision hielten, wird Wirklichkeit. Es geht zum Hauskauf! Der Enkel war vor wenigen Stunden mit seinem Papa erst aus den USA zurückgekehrt - und nun die weite Tour nach Norden. Dem Knirps von dreieinhalb Jahren schien das nichts auszumachen. Na und, er wolle unbedingt dabei sein, sagte er. Das erste Mal in ihrem Leben sahen sie die schmucken schwedischen Holzhäuser und jubelten bei jedem neuen und schönen Anblick der Landschaft. Doch Schweden ist riesengroß. Diese Wälder! Endlos schien die Fahrt zu dauern, bis sie vor Ort waren. Blumen am Ortseingangsschild Gadderos. Sie biegen in ihre Straße ein, am Ende das ersehnte Eckgrundstück. Aus vier Mündern: „Da ist es!“ Weiß-braun, schmuck, großer Garten mit Haselnußhecken. Eine ältere Frau läßt sie ein. Zwei Zimmer unten, zwei in der oberen Etage. Durch alle Fenster flutet viel Licht in die Wohnung. Cleo und Henry sind begeistert. Sie umarmen die Schwedin. Dann ging alles schnell. Zunächst ein Gespräch mit dem Makler und der Hausverkäuferin. Das alles wickelt Cleo gekonnt ab. Patricia filmt das ganze Anwesen und die Räume und Flu macht Faxen. Die schriftlichen Formalitäten werden allerdings in der Bank Orrefors erledigt. Die zwei ahnungslosen Deutschen richten sich auf stundenlange Prozeduren ein. Doch dann die riesengroße Überraschung: Nach genau 25 Minuten war die Verkaufshandlung – unglaublich professionell vorbereitet – abgeschlossen. Die Schwedin lädt zum Mittagessen ins Värdshus (Gaststätte) ein.
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Thema: "In die Stille gerettet" / Buchtipp
pomme

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"In die Stille gerettet" / Buchtipp 10.03.2011 22:38 Forum: Nachrichten und Zeitgeschehen

DDR-Erinnerungsliteratur ist gefragt. Sie wird besonders dann interessant und spannend, wenn es um ehrliche Rückblicke geht, wenn aus ganz persönlicher Sicht sowohl Privates als auch Gesellschaftliches eng verwoben beleuchtet werden, wenn auch Uneingeweihte einen Einblick in die inneren Motive, in das alltägliche Denken und Handeln bekommen. Herz, Geist und Gutwilligkeit vorausgesetzt, können so weiter Brücken entstehen – zwischen Ost und West. Einer von jenen DDR-Bürgern, die dies versuchen, ist mit seinem erst kürzlich veröffentlichten Buch „In die Stille gerettet“ Harry Popow, alias Henry Orlow, ein einstiger Reporter im Bereich der Nationalen Volksarmee.
In Tagebuchnotizen erzählt er, warum „Henry“, ein fast 60jähriger Mann – der den Krieg noch als Kind hat erleben müssen, der sich voller Überzeugung im DDR-Alltag einbrachte und die Wende heil überstand – mit seiner Frau in die Stille der schwedischen Wälder abhaute. Sechs Jahre nach der Deutschen Einheit? Niemand trieb sie, keiner wurde steckbrieflich gesucht, keiner verunglimpft … Träume einerseits und Unvereinbarkeiten mit neuen Zuständen andererseits?
In der Einsamkeit einer kleinen schwedischen Waldsiedlung und im eigenen Holzhaus kramt er in alten Aufzeichnungen, in Briefen und Erinnerungen, sammelt und hält fest, was ihn am großen Vorhaben fesselte, ein dem Frieden verpflichtetes neues Deutschland aufzubauen.
Angesichts des gesellschaftlichen und staatlichen Absturzes 1989 blickt der damalige Militärjournalist und Oberstleutnant zurück in die Kindheit mit seiner liebevoll sorgenden russischen Mutter, die 1935 zu ihrem Ehemann von Moskau nach Berlin übergesiedelt war. Er berichtet episodenhaft von Pommern, wohin auch die Ziebers (der Name des Vaters) evakuiert wurden. Von Bombennächten in Berlin, von der endlichen Befreiung. Von der beeindruckenden Kundgebung – mit Fackeln in den Kinderhänden - auf dem Lustgarten am 11.Oktober 1949 zur Gründung der DDR. Von der Lehrzeit im Zwickauer Kohlenrevier, von der Arbeit als Kollektor bei der Staatlichen Geologischen Kommission der DDR. Vom Dienst als Offizier und Ausbilder in der NVA und später als Reporter in der Wochenzeitung „Volksarmee“ und - nach Beendigung einer 32jährigen Armeezeit – als Journalist im Fernsehen der DDR.
Was aber bewegt ihn, als er 1989 angeblich wegen „ungenügender Wachsamkeit“ in die Mühle der durch den Kalten Krieg überspitzten Parteidisziplin gerät? Und was geht ihm durch den Kopf, als seine größte Tochter mit ihrem Freund – wie tausende andere junge Menschen - nach Budapest reist und nicht wiederkehrt?
Letztendlich führt der sprachlich angenehm zu lesende und interessante und authentische Lebensbericht den Leser wieder nach Schweden und dem unbeschwerten Dasein in der kleinen Waldsiedlung. Dort lebt er mit seiner Frau, die er als Offiziersschüler 1957 kennengelernt und 1961 geheiratet hatte, und aus der Ehe drei Kinder und zwei Enkel hervorgingen – tolle neun Jahre. Im engen freundschaftlichen Kontakt mit allen Ortsansässigen – bei Geburtstagen, Mitsommerfeiern und gegenseitigen privaten Besuchen. 2005 kehren beide zu ihren Kindern und Enkeln zurück.
Es ist eine bewegende Liebesgeschichte, einer glücklichen „Cleo“ und eines glücklichen „Henry“, der auch im Alter nicht abläßt von den Visionen eines besseren Deutschland.

Harry Popow: „In die Stille gerettet“. Persönliche Lebensbilder. Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3

Und dies schreibt eine Lektorin (Verlag Haag+Herchen GmbH) aus Hanau zu diesem Buch:
Da ich immer erst den Text anschaue … , konnte ich ganz entspannt lesen und mich freuen – über die wunderschöne Liebesgeschichte zweier Menschen, die harte Zeiten erlebt haben und doch im Herzinneren stets beieinander waren und sind.
Das Buch ist schön aufgebaut. Natürlich chronologisch, ich meine aber inhaltlich. Es besteht im Grund aus zahlreichen Mosaiksteinchen des Lebens, die wie eine Loseblattsammlung beginnt und dann nach und nach zu einem dichten Lebensteppich zusammenwächst unter einem Grundthema – Liebe.
Erinnerung … , es sind die kleinen Momente, … die unser Erleben prägen, … In Ihrem Fall ist das Cleo, grad heraus, unverblümt, herzlich und konstant, wissend und mutig und Sie, Lehrling, NVA-Offizier, Journalist, dann die Arbeit beim Fernsehen und die zweite Karriere, Schreiben, Malen, Auswandern.
Es sind kleine Spotlights, die den Weg zurück beleuchten, angefangen bei den Erinnerungen der jungen Mutter Tamara, die ihre Zukunft träumt und sie doch nie finden wird, anders als ihr Sohn, der sofort weiß – die ist es.
… Die Momente des Mauerfalls aus dieser Sicht sind sehr interessant, zumal es im ehemaligen „Westen“ bis heute nicht wirklich klar ist, was das für ehemalige Ostler bedeutet hat – die Tochter flüchtet, der Vater muss Rede und Antwort stehen in einem System, das es nicht mehr gibt, in dem aber alle aufgewachsen sind, das für alle als „wahr“ galt – eine ausgesprochen schwierige Situation.
Das Leben in Schweden bringt wieder Ordnung innen und außen, Ruhe und Gemeinschaft und das, was wirklich wichtig ist – menschliche Nähe, Gespräche und Zweisamkeit, die Natur und die enge Verbundenheit innerhalb der Familie, auch das sehr auffallend im Gegensatz zu so vielen Berichten der gleichen Zeitepoche aus „Westsicht“, in denen es überwiegend um Egoismus und Trennung geht und um die Frage, wer wen wie ausnimmt.
… Starke Frauen begleiten Ihren Lebensweg, das hat mich sehr beeindruckt.
Sie fragten, … ob manches nicht zu privat ist - … Es ist eher berührend und zauberhaft und von daher kostbar, nicht nur für Sie als Paar, sondern auch für den Leser, der sich so etwas wie Ihre Ehe natürlich auch wünscht (und hoffentlich lebt). … Es ist ein Herzenstext, …
Christine Krokauer, Lektorat

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